Ständerat steuert Zuwanderung mit Privilegien für Stellensuchende

Ständerat steuert Zuwanderung mit Privilegien für Stellensuchende

01.12.2016, 11:40

Auch der Ständerat setzt die Masseneinwanderungsinitiative nicht wörtlich um. Er geht aber weiter als der Nationalrat: Inländische Stellensuchende sollen von den Arbeitsämtern bevorzugt behandelt werden. Das soll die Zuwanderung einzudämmen.

Die Gesamtabstimmung steht noch aus. Mit 26 zu 16 Stimmen bei 1 Enthaltung gutgeheissen hat die kleine Kammer das Konzept, das Philipp Müller (FDP/AG) vorgeschlagenen hatte: In Berufsgruppen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit müssen offene Stellen den Arbeitsämtern gemeldet werden. Diese Inserate sind zunächst nur für jene Stellensuchenden zugänglich, die bei der Arbeitsvermittlung gemeldet sind.

Firmen könnten unter hohen Strafdrohungen verpflichtet werden, einige geeignete Stellensuchende zum Bewerbungsgespräch einzuladen. Ablehnungen müssten begründet werden. Die Massnahmen könnten regional begrenzt werden, Ausnehmen sind ebenfalls möglich. Falls sich die Probleme am Arbeitsmarkt so nicht lösen lassen, darf das Parlament weiter gehende Massnahmen beschliessen. Diese müssten mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar sein.

Tragbare Lösung

Laut Müller handelt es sich um eine einfache, zielgerichtete und administrativ tragbare Lösung. Betroffen wären nach seiner Einschätzung nur einige tausend Stellenwechsel pro Jahr. Dort, wo die Massnahmen zum Tragen kämen, seien sie umso dringender, sagte Müller. Die Schweiz könne es sich sozial- und finanzpolitisch nicht mehr leisten, dass in Berufsgruppen mit hoher Arbeitslosigkeit jedes Jahr Arbeitnehmer aus dem Ausland geholt würden.

Die SP unterstützte Müllers Konzept. Paul Rechsteiner (SP/SG) sprach von einem «Arbeitslosenvorrang». Dieser sei eine direkte, zielgerichtete und unbürokratische Lösung jener Probleme, die am 9. Februar 2014 zur Sprache gekommen seien. Besonders älteren Arbeitslosen könne sie eine besondere Hilfestellung bieten.

Laut Justizministerin Simonetta Sommaruga verträgt sich das Konzept mit einigen kleinen Anpassungen mit dem Freizügigkeitsabkommen. Die EU hat ebenfalls bereits grundsätzliche Zustimmung signalisiert.

CVP auf Konfrontationskurs

Unterlegen ist die CVP. Sie will einer Konfrontation mit Brüssel nicht um jeden Preis aus dem Weg gehen. Ihr Vorschlag glich in den Grundzügen jenem von Müller. Der wesentliche Unterschied war, dass das Parlament bei schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen Abhilfemassnahmen auch ohne die Zustimmung der EU hätte beschliessen können.

«Die EU muss uns nicht lieben, es genügt, wenn man uns beachtet», erklärte Stefan Engler (CVP/GR). Die eigenständige Steuerung der Zuwanderung sei der zentrale Gedanke des Zuwanderungsartikels, erklärte sein Parteikollege Beat Rieder (VS). Die CVP-Lösung hätte der Verfassung zwar besser entsprochen als jene der Mehrheit, doch auch sie hätte den Zuwanderungsartikel nicht wörtlich umgesetzt.

Am nächsten kam diesem der Vorschlag von SVP-Ständerat Peter Föhn (SZ), der jedoch chancenlos war. Föhn verlangte im Wesentlichen Kontingente für alle ausländischen Arbeitskräfte und einen echten Inländervorrang. «Ich will ganz einfach die vom Volk angenommene Bundesverfassung umsetzen», sagte er.

Dass damit das Freizügigkeitsabkommen gefährdet worden wäre, schreckte die Befürworter dieser Lösung nicht ab. Die Schweiz sei wirtschaftlich so gut aufgestellt, dass sie keine Personenfreizügigkeit brauche, sagte Thomas Minder (parteilos/SH). «Die Fachkräfte kommen von selber.»

Der vom Nationalrat beschlossene «Inländervorrang light», der sich auf eine Stellenmeldepflicht beschränkt, war im Ständerat kein Thema. Der Bundesrat zog seinen Vorschlag zurück, ab einem bestimmten Schwellenwert Höchstzahlen einzuführen. Als Grund nannte Sommaruga die mit der Personenfreizügigkeit vereinbare Lösung. Der Konflikt mit der Verfassung soll später mit einem Gegenvorschlag zur RASA-Initiative ausgeräumt werden.

Hektik auf der Zielgeraden

Nach Abschluss der Beratungen im Ständerat ist wieder die grosse Kammer an der Reihe. Sie hat das Geschäft am nächsten Montag traktandiert. Bereits am Donnerstagnachmittag entscheidet die vorberatende Kommission über das weitere Vorgehen. Die Schlussabstimmung findet am letzten Tag der Wintersession statt.

Bis am 9. Februar 2017 muss die SVP-Initiative umgesetzt werden. Das verlangt die Verfassung. Die fristgerechte Umsetzung ist auch Bedingung für die Ratifikation des Kroatien-Protokolls, mit dem die Personenfreizügigkeit auf das jüngste EU-Mitglied ausgedehnt wird. Das wiederum ist die Voraussetzung für die Teilnahme der Schweiz an der EU-Forschungszusammenarbeit Horizon 2020.

Umsetzung in Etappen

Das letzte Wort in Sachen Zuwanderung ist mit der Schlussabstimmung aber nicht gesprochen. Zunächst ist offen, ob die SVP das Referendum gegen die Umsetzungs-Vorlage ergreift. Hängig ist auch die RASA-Initiative und der Entscheid über einen Gegenvorschlag.

Mit Blick auf eine mögliche Änderung des Zuwanderungsartikels war im Ständerat mehrmals von einer «schrittweisen Umsetzung» die Rede. Thomas Hefti (FDP/GL) rief den Bundesrat dazu auf, mit der EU weiter über die Anpassung der Personenfreizügigkeit zu feilschen. «Es wird ein zweiter Schritt kommen», sagte Daniel Jositsch (SP/ZH). (sda)

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