Flüchtlinge: Kroatien vollzieht Kehrtwende und bringt Flüchtlinge nach Ungarn

Flüchtlinge: Kroatien vollzieht Kehrtwende und bringt Flüchtlinge nach Ungarn

18.09.2015, 18:16

Vom Flüchtlingsandrang überwältigt, hat auch das EU-Land Kroatien seine Grenze zu Serbien weitgehend dicht gemacht - wie vor drei Tagen Ungarn. Die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft, begründete das Innenministerium in Zagreb den Abschottungsversuch.

Rund 14'000 Menschen kamen seit Mittwoch in Kroatien an. Mehr als 1000 Flüchtlinge wurden am Freitag von Kroatien aus in Bussen an die ungarische Grenze gebracht, die Budapest indes hastig schliessen will. Kroatien vollzog innerhalb von zwei Tagen eine dramatische Kehrtwende.

Noch am Mittwoch hatte Regierungschef Zoran Milanovic Flüchtlingen versprochen, sie in die Regionen zu «leiten», in die sie wollten. Doch der Ansturm von Tausenden überwältigte das Land. In der Nacht auf Freitag wurde der Verkehr an sieben von acht kroatisch-serbischen Grenzübergängen «bis auf Weiteres» eingestellt.

Ungarn hatte am Dienstag seine Grenze zu Serbien vollständig dicht gemacht. Seitdem versuchen zahlreiche Flüchtlinge durch Kroatien Richtung Nordwesten zu kommen. Tausende campieren in den Feldern in der Nähe der Kleinstadt Tovarnik.

«Die Lage ist völlig dramatisch, wenn kein Zug kommt, werden sie sich prügeln», sagte der Notfalldirektor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Peter Bouckaert, der Nachrichtenagentur AFP. Die Menschen hätten weder zu essen noch zu trinken und seien sich selbst überlassen.

«Klägliches Verhalten»

Am Freitagnachmittag kamen mehr als 20 kroatische Busse aus Tovarnik und Beli Manastir mit jeweils etwa 60 Menschen an Bord an der ungarischen Grenze an. Zunächst fuhren zwei Busse nach Ungarn weiter, etwas später zehn weitere, wie Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP beobachteten.

In Ungarn mussten die Flüchtlinge unter den Augen von 200 Polizeibeamten und 50 Soldaten in andere Busse umsteigen. In diesen wurden sie an einen unbekannten Ort gebracht. Örtliche Medien mutmassten, dass ein ungarisches Erstaufnahmelager angesteuert wurde, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete.

Nach von der Nachrichtenagentur Reuters zitierten Angaben der ungarischen Polizei sollten die Migranten registriert werden. Ungarn hatte zuvor angekündigt, nach der Grenze zu Serbien auch die Grenze zu Kroatien mit einem Zaun zu sichern. Dem Nachbarland wirft Ungarn «Versagen» bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise vor.

Aussenminister Peter Szijjarto beschuldigte den kroatischen Regierungschef Milanovic eines «kläglichen Verhaltens». «Vielleicht sollte er einmal die Frage beantworten, was er (....) alles verbockt hat», hiess es in der ungewöhnlich scharfen Erklärung Szijjartos, die in Budapest verbreitet wurde.

EU-Kommission kritisiert Kroatien

Die EU-Kommission kritisierte Kroatien wegen der Umleitung der Flüchtlinge nach Ungarn. Migranten weiterreisen zu lassen, ohne sie zu registrieren, sei «in der Tat nicht mit den EU-Regeln vereinbar», sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel.

Nach den Regeln des Dublin-Abkommens ist dasjenige EU-Land für einen Asylbewerber und dessen Asylverfahren zuständig, in dem dieser erstmals europäischen Boden betreten hat. Das Land muss ihn registrieren und seine Fingerabdrücke nehmen. Weigerten sich Flüchtlinge, Asyl zu beantragen, könnte ihnen die Einreise verweigert werden, sagte die Sprecherin.

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, fordert sicheres Geleit für Flüchtlinge durch Europa. «Entlang der bekannten Fluchtrouten sollten Hilfseinrichtungen geschaffen werden, wo die Menschen Nahrung und Obdach bekommen und medizinisch versorgt werden», sagte er dem Magazin «Spiegel».

Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier bot derweil der Türkei weitere Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise an. Bei einem Besuch in Ankara lobte er den NATO-Partner für die Aufnahme von um die zwei Millionen Menschen allein aus Syrien.

213'200 Schutzsuchende in der EU

Die Türkei hat bereits mehr als 2.3 Millionen Menschen aufgenommen, auch aus dem Irak und Afghanistan. Viele wollen weiterreisen nach Europa, weil sie kaum noch Hoffnung auf eine baldige Lösung der Konflikte in ihrer Heimat haben.

In den 28 EU-Staaten suchten zwischen April und Juni 213'200 Menschen Schutz, wie aus am Freitag veröffentlichten Quartalszahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat hervorgeht. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl verzeichnete Ungarn die meisten erstmaligen Asylanträge in Europa. (sda/afp/dpa/reu)

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