Der Weltcuptross ist wieder in Kitzbühel angekommen. Dort herrscht, wenige Tage vor der berühmt berüchtigten Streifabfahrt, Ausnahmezustand. Für ein ausführliches Interview und die grossen Themen – das Leben und die Liebe, Gott und die Welt – reichte die Zeit leider nicht aus. Aber «geht nicht», gibt's nicht. Für einen kurzen Kaffee mit Kumpel Marco «Büxi» Büchel reichte es dann doch noch. Hier der Einblick in das gesellige Plauder-Viertelstündchen mit Hannes Reichelt.
watson: Du hast den Schweizern am Lauberhorn die Party vermiest, hast
vergangenes Jahr die berühmte Streif in Kitzbühel gewonnen und überhaupt
findet man dich regelmässig in den Top-Ten.
Gleichzeitig bist du ein ruhiger, fast etwas unscheinbarer Athlet – der Traum
aller Schwiegermütter quasi. Wie passt das zusammen, wo es doch immer
heisst, in der Welt des Spitzensports leben vor allem Egoisten?
Hannes Reichelt: Naja, ich hab mir gedacht, nachdem du – der Traum aller
Schwiegermütter – aufgehört hast, müsse ich deinen Job übernehmen (lacht.)
Ach was … du bist so ein ruhiger, zurückhaltender Typ. Passt das überhaupt zu
einem Abfahrer?
Ich glaube schon. Ich bin halt nicht der grosse Sprücheklopfer und halte mich selber
gerne am Boden der Realität. Ich find's einfach cool, wenn ich schnell skifahre und
wenn ich Rennen gewinne. Ganz
normal halt.
Also kein Egoist?
Ein bisschen Egoismus hab ich schon auch.
Wie äussert sich das?
Ich gehe meinen eigenen Weg und schaue auf mich, so dass ich für mich das Beste
rausholen kann. Aber ich reite deswegen sicher nie einen anderen in irgendeine
Geschichte rein. Wenn mich jemand was fragt, gebe ich eine ehrliche Antwort.
Jeder Abfahrer möchte einmal in seiner Karriere Kitzbühel gewinnen. Du hast
das letztes Jahr geschafft. Wie hat dich dieser Sieg verändert?
Mich selber hat der Sieg nicht verändert. Aber in der Öffentlichkeit hat sich schon
was verändert. Wenn ich in meiner zweiten Wohnheimat Innsbruck unterwegs bin,
dann kennen mich seit diesem Sieg viel mehr Leute. Das hätte ich echt nie
gedacht, dass ein einziger Sieg soviel auslösen kann. Diese Streif ist halt schon
ein Mythos und mit dem Kinofilm One Hell of a Ride ist in Sachen Bekanntheit
nochmal was dazugekommen.
Ist das positiv oder negativ?
Mich freut's, ich seh' das nur positiv. Und wenn's mich mal nervt, dann gibt es immer
Wege und Mittel, wie ich das wieder einstellen kann. Ich lasse mich dadurch nicht
einschränken. Überhaupt nicht.
Nach deinem Lauberhornsieg am letzten Sonntag sagtest du in einem
Interview: «Jetzt kann ich einen weiteren Punkt auf meiner To-Do-Liste
abhaken.» Was steht denn da sonst noch drauf?
Auweh, da gibt's noch einige Abfahrten zu gewinnen. Auch die in Beaver Creek.
Da ärgert's mich einfach, dass ich die noch nicht gewinnen konnte. Ich habe natürlich
schon geschaut, was ich beim letzten Mal falsch gemacht habe und gesehen, dass
ich es in den Kurven vermasselt hab. Sonst war ich echt schnell. Das muss ich noch
ändern.
Wie praktisch, dass du dort bald wieder eine Chance bekommst. Auf dieser
Strecke findet ja im Februar die WM-Abfahrt statt.
Genau, das steht auch auf der To-Do-Liste (lacht). Im Ernst, mich ärgert das
einfach, dass ich als Skifahrer in einem einzigen Teilabschnitt soviel Zeit verliere,
dass ich das Rennen dann nicht mehr gewinnen kann. Und sonst bin ich überall
gleich schnell wie der Kjetil Jansrud, der das Rennen gewonnen hat.
Wird deine To-Do-Liste mit deinen Erfolgen eigentlich immer kürzer oder wird
sie länger, weil du immer mehr willst?
Es gibt soviel auf dieser Liste … so lange kann ich gar nicht Skifahren, bis ich das
alles abgehakt habe.
Kann es sein, dass du dann am erfolgreichsten bist, wenn du vor dem Rennen
unten durch musst? Du hast vergangenes Jahr Kitzbühel gewonnen trotz eines
bedrohlichen Bandscheibenvorfalls. Und vor deinem Lauberhornsieg hat dich
eine Männergrippe geplagt.
Naja, was ich letztes Jahr durchmachte mit den Bandscheiben und das jetzt, das
ist komplett was anderes. Das jetzt war eine Verkühlung, das hatten andere auch.
Und ich habe zum Glück in Beaver Creek den Super-G gewonnen und war komplett
gesund. Das macht jetzt vielleicht so den Anschein, aber ich kann auch gewinnen,
wenn ich 100 Prozent fit bin.
Und wenn du am Start stehst, blendest du eh alles aus …
Wenn ich am Start bin, dann bin ich 100 Prozent fit. Wenn nicht, dann mach ich den
Rest mit meinem Wahnsinn wieder wett (lacht).
Du musst immer wieder deine Grenzen überwinden. Fällt dir das eher leicht
oder doch etwas schwerer?
Gerade in Kitzbühel muss ich mich schon sehr überwinden und über meine Grenzen
hinauswachsen. Es ist einfach nicht normal, wenn du da oben stehst und die
erste Kurve in der Hocke durchziehen musst. Ja, in Kitzbühel ist dieser Grad sehr schmal.
Ich hatte am Morgen beim Aufstehen vor der Streifabfahrt immer einen grossen
Stein auf meiner Brust. Wie ist es bei dir, kriegst du das Butterbrot beim
Frühstück gleich gut runter wie vor anderen Abfahrten?
Beim Aufstehen spüre ich den Stein noch nicht. Aber nach der Besichtigung, je näher
der Start kommt, desto stärker wird das Herzklopfen.
Wie ist das oben im Starthaus, in den letzten Minuten. Da ist man ziemlich
allein, oder?
Definitiv. Du weisst ja, keiner redet mehr und alle stehen unter Anspannung. Das ist
irgendwie schön, weil du halt komplett deine Ruhe hast. Aber irgendwie merkt man
halt auch, was für ein Grenzgang diese Abfahrt ist.
Warum bist du eigentlich ausgerechnet in Kitzbühel immer so schnell?
Die Abfahrt liegt mir einfach. Du musst ein kompletter Skifahrer sein, um da zu
gewinnen. Mutig, technisch versiert, ein schneller Gleiter. Kitzbühel und Wengen,
da sind auch die meisten Zuschauer, da ist die grosse Bühne. Ich liebe das, es motiviert mich zusätzlich.
Mal abgesehen von Kitzbühel – wenn du mit Leuten redest, gibt es da Sachen
die dich nerven?
Mich fragten die Leute manchmal, was ich eigentlich im
Sommer arbeite.
Wenn man mich fragt, was meine Erwartungen seien, das nervt mich. Oder ob ich
mich als Favoriten sehe. Das sind halt die langweiligsten Fragen.
Du kennst aber auch die langweiligste Antwort auf die langweiligste Frage,
oder?
«Ich werde mein Bestes geben und dann werden wir sehen, was dabei
herauskommt.» Meine Standard-Antwort ist immer: «Mein Ziel ist, dass ich ans Limit gehe und nicht
darüber hinauschiesse.»
Wow, das ist ja schon richtig kreativ (lacht). Warum bist du eigentlich
Skirennfahrer geworden?
Ich kann nichts anderes, echt! Ich bin zwar handwerklich einigermassen begabt, aber
sportlich gesehen? Ich hab zwei linke Füsse was Ballsport angeht und Skifahren ist das Einzige, was ich hinbekommen habe. Zum Glück relativ gut.
Dann geht es dir gerade wie mir, ich konnte auch nichts anderes.
Du hast dafür eine grosse Klappe, das ist doch auch schon was (lacht).
Felix Neureuther hat bei unserem Interview gesagt, den Fahrstil eines
Skifahrers könne man fast eins zu eins auf den Menschen übertragen. Was
sagt dein Fahrstil über dich aus?
Ich bin ruhig, gefühlvoll und mache nicht zu viele überflüssige Bewegungen.