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Das vergessene Wunder in Lausanne oder der Irrtum, der unsere Hockey-Landkarte für immer verändert hat

Christobal Heut zeigt in Lausanne noch einmal, was in ihm steckt.
Christobal Heut zeigt in Lausanne noch einmal, was in ihm steckt.Bild: KEYSTONE
Huet und Ehlers die zentralen Figuren

Das vergessene Wunder in Lausanne oder der Irrtum, der unsere Hockey-Landkarte für immer verändert hat

Jetzt auch noch die ZSC Lions auswärts besiegt: Lausanne hat sich in der NLA etabliert. Dank des grössten Irrtums unserer neueren Hockeygeschichte.
18.01.2015, 09:1618.01.2015, 15:14
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Im Laufe der Saison 2011/12 entscheidet Gottérons Trainer und Sportchef Hans Kossmann künftig auf den alternden Cristobal Huet (36) zu verzichten und alles auf den 16 Jahre jüngeren Benjamin Conz zu setzen.

Es ist damals der richtige Entscheid. Der eingebürgerte Franzose hat die Zukunft hinter sich. Benjamin Conz hingegen gilt als einer der besten jungen Goalies der Welt. Er war der beste Torhüter der U20-WM.

Das hat ein Hockey-Erdbeben ausgelöst: Christobal Huet wird 2012 bei Fribourg aussortiert. 
Das hat ein Hockey-Erdbeben ausgelöst: Christobal Huet wird 2012 bei Fribourg aussortiert. Bild: KEYSTONE

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Im Oktober 2012 zeigt sich noch einmal, wie richtig dieser Entscheid war. Nach einer 1:4-Niederlage in Langenthal rutscht Aufstiegsanwärter Lausanne auf den 6. Platz ab. Trainer John van Boxmeer wird gefeuert. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie er nach dem Spiel resigniert sagte, was er denn machen solle mit einem wie Cristobal Huet im Tor. Der habe ja in der NHL längst seine Millionen gemacht und man könne nicht mehr erwarten, dass ein 36-jähriger, ehemaliger Stanley Cup-Sieger in der NLB motiviert sei.

Heute wissen wir: Auf Cristobal Huet zu verzichten, war einer der grössten Irrtümer unserer neueren Hockeygeschichte.

Falsche Einschätzungen eines Spielers durch hochkarätige Kenner gibt es immer wieder:

  • SCB-Bandengeneral Bill Gilligan schätzte einst  Mark Streit als untauglich für die NLA ein
  • Die Kloten Flyers liessen Damien Brunner zu Zug gehen. Weil ihm auch Felix Hollenstein keine NLA-Karriere zutraute

Aber keine andere Fehleinschätzung hat so weitreichende Folge wie Hans Kossmanns Verzicht auf Cristobal Huet. Der SCB ist auch ohne Mark Streit das mächtigste Hockeyunternehmen im Land geworden. Kloten erreichte ohne Damien Brunner den Playoff-Final und Zug ist auch mit Damien Brunner nicht Meister geworden.

Hans Kossmann wurde bei Fribourg im Oktober 2014 entlassen.
Hans Kossmann wurde bei Fribourg im Oktober 2014 entlassen.Bild: KEYSTONE

Aber wenn Hans Kossmann damals den Vertrag im Frühjahr 2012 mit Cristobal Huet verlängert hätte, sähe die Hockey-Landkarte heute anders aus.

  • Lausanne wäre immer noch in der NLB
  • Die SCL Tigers wären nicht aus der NLA abgestiegen
  • Der SCB hätte die Playoffs im Frühjahr 2014 nicht verpasst
  • Gottéron wäre 2013 Meister geworden
  • Hans Kossmann wäre bei Gottéron immer noch im Amt

Nach der Entlassung von John van Boxmeer hat Gerd Zenhäusern Lausanne in die NLA zurückgeführt. Huet machte den wundersamen Triumph über die SCL Tigers in der Liga-Qualifikation und den Aufstieg erst möglich.

Lausanne: Starkes Kollektiv und ein überragender Torhüter.
Lausanne: Starkes Kollektiv und ein überragender Torhüter.Bild: KEYSTONE

Huet vollbringt seither Wunder. Er hat Lausanne als Aufsteiger 2013 auf Kosten des SC Bern in die Playoffs gehext und jetzt sein Team nach einer schweren Krise wieder auf Kurs gebracht. Lausanne hatte 10 von 11 Spielen verloren, nur noch zwei Punkte Reserve auf Kloten und war nach Verlustpunkten unter den Trennstrich gerutscht. Das Management dachte daran, Trainer Heinz Ehlers durch Hans Kossmann zu ersetzen.

Inzwischen hat Lausanne acht der letzten zehn Partien gewonnen, führt auf Platz 6 die zweite Tabellenhälfte an und hat auf Kloten 17 Punkte Reserve. Soeben hat Cristobal Huet in Zürich 97,37 Prozent der Schüsse abgewehrt, das Penaltyschiessen und damit das Spiel gegen die ZSC Lions 2:1 gewonnen. Und im Team stehen vier Spieler aus Langnaus Abstiegsmannschaft (Genazzi, Lardi, Rytz, Froidevaux).

Die zweitstärkste Defensive der Liga

Cristobal Huet und Heinz Ehlers sind die zentralen Figuren des vergessenen Hockey-Wunders Lausanne. Die Waadtländer haben erst 87 Tore erzielt. Gleich viele wie die Lakers und 25 weniger als Biel. Lausannes Topskorer finden wir in der Liga-Skorerliste erst auf dem 33. Platz. Aber Lausanne hat lediglich 89 Gegentreffer zugelassen.

Nur die ZSC Lions sind defensiv noch stabiler (82). Es ist der ultimative Beweis, dass im Eishockey das Kollektiv über bessere Gegenspieler triumphieren kann. Dass Eishockey tatsächlich der letzte wahre Mannschaftssport ist, wie die Nordamerikaner immer wieder betonen.

Heinz Ehlers ist der Architekt des Lausanner Hockey-Wunders.
Heinz Ehlers ist der Architekt des Lausanner Hockey-Wunders.Bild: KEYSTONE

Es lässt sich auch darüber spekulieren, was wäre, wenn Heinz Ehlers im Frühjahr 2013 Trainer in Zug, Lugano oder Kloten geworden wäre. Aber als NLB-Trainer hatte er nur einen geringen Marktwert.

Wir können mit einem Blick auf die Statistik sagen, dass Heinz Ehlers in Lausanne «Beton-Hockey» spielen lässt und als Beweis dafür den jüngsten Sieg gegen die ZSC Lions anführen. Es war tatsächlich kein grosses Spiel – aber das lag mehr an den ZSC Lions als an Lausanne.

Tatsächlich ist Heinz Ehlers ein Alchemist des Defensivhandwerkes, dem die Herstellung von taktischem Gold gelungen ist. Die Alchemisten haben einst versucht, Steine in Gold zu verwandeln. Sie erfanden bei ihrer Arbeit nebenbei zwar das Schiesspulver und das Porzellan. Ansonsten aber scheiterten sie. Doch Heinz Ehlers hat das defensive Gold gefunden.

Die Lausanner «Tempo-Defensive»

Viele Trainer, die auf «Beton-Hockey» setzen, sind gescheitert. Weil das Einüben eines Defensiv-Systems leicht zu passivem Verhalten der Spieler und zu destruktiver Spielweise führen kann. Stark vereinfacht gesagt: Heinz Ehlers Erfolgsgeheimnis ist die laufende, die aktive Defensive. Wir können seine Philosophie auch als «Tempo-Defensive» bezeichnen.

Will heissen: Lausanne spielt ein aktives und kein abwartendes oder destruktives Defensivhockey. Lausannes Spieler stehen immer auf den Zehenspitzen, immer sprungbereit und nie abwartend auf den Fersen.

Lausanne kann sich schon mal auf den Playoff-Jubel vorbereiten.
Lausanne kann sich schon mal auf den Playoff-Jubel vorbereiten.Bild: KEYSTONE

Es ist die taktisch anspruchsvollste Spielweise. Die Laufwege müssen gut einstudiert und eingeübt sein. Jeder muss wissen, wo er zu stehen und wohin er zu laufen hat. Der Trainer muss dazu in der Lage sein, ein Höchstmass an taktischer Disziplin durchzusetzen. Die Spieler für dieses Hockey müssen sorgfältig rekrutiert werden Leicht zu erkennendes Talent ist nicht die entscheidende Qualität. Sondern die Einsatzbereitschaft, die Disziplin und die Spielintelligenz. Lausannes Jan Alston ist der meistunterschätzte Sportchef der Liga. Noch selten ist mit so wenig Geld so gut gemanagt worden wie in Lausanne.

Aber am Ende des Tages gilt, was der kanadische Hockey-Weltreisende und Trainer Dave King jeweils zum Schluss seiner Vorträge sagt: «…und wenn Sie keinen guten Torhüter haben, dann vergessen Sie alles, was wir heute besprochen haben.» Heinz Ehlers hat Cristobal Huet. Umgekehrt gilt auch: Cristobal Huet hat mit Heinz Ehlers einen Trainer, der die Mannschaft so organisiert hat, dass er mit 39 Jahren immer noch der beste Torhüter der Liga sein kann.

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