In genau einem Jahr wählt die Schweiz ein neues Parlament. Landauf, landab werden Kandidaten nominiert und Parteiprogramme erarbeitet. Die SVP, die wählerstärkste Partei, hat diese Woche den Wahlkampf offiziell eröffnet. Das erste SRG-Wahlbarometer sieht SVP, CVP, Grüne und BDP als Verlierer. SP, FDP und Grünliberale würden zulegen.
Thema Nummer eins bleibt die Ausländerpolitik. Die Debatte um die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative und die Zukunft der bilateralen Verträge wird die Schweiz auch im Wahljahr in Atem halten. Die SVP will profitieren, die anderen Parteien werden versuchen, den Ball so flach wie möglich zu halten.
Eine Prognose zu diesem Zeitpunkt ist schwierig, in den nächsten zwölf Monaten kann viel passieren. Steigt die Zahl der Asylgesuche weiter an? Kommt es bei den Verhandlungen mit der EU zum Durchbruch oder zum Eklat? Verdüstern sich die konjunkturellen Aussichten? Dennoch sei ein Versuch gewagt:
Sie wollte 2011 das Stöckli stürmen und den Wähleranteil auf 30 Prozent steigern. Doch die letzten Wahlen wurden für die Volkspartei zum Debakel. Erstmals seit Beginn ihres Siegeszugs 20 Jahre zuvor verlor sie Wähleranteile sowie Sitze im National- und Ständerat. Die anderen Parteien hatten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Sie liessen sich von der SVP nicht mehr thematisch vorführen und verweigerten ihr konsequent Listenverbindungen.
Inhaltlich hat sich die Blocher-Partei weiter radikalisiert, doch im Wahlkampf möchte sie mit einem Softie-Image punkten. Der Slogan «Frei bleiben» wirkt nett und unverbindlich, im Ständerat setzt sie auf mehrheitsfähige Kandidaten, und sie umgarnt die lange verhöhnten Freisinnigen, mit denen sie flächendeckend Listenverbindungen eingehen will. Selbst das neue Maskottchen, der Sennenhund Willy, ist zahnlos – es gibt ihn nur als Plüschtier.
Prognose: Die neue Strategie birgt Risiken. Sie könnte die Hardliner an der Basis enttäuschen, ohne bei den angepeilten Mittewählern Anklang zu finden. Weil ihre Kernthemen Ausländer und Europa im Wahljahr dominieren werden, ist es dennoch wahrscheinlich, dass die SVP Wähleranteile und Sitze gewinnen wird. Allerdings nicht genug, um die Verluste von 2011 zu kompensieren und den Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat mit voller Wucht geltend machen zu können.
Vor vier Jahren «kaperten» die Linken unter Führung der Juso den SP-Parteitag in Lausanne und setzten durch, dass radikale Ziele wie die Abschaffung der Armee und die Überwindung des Kapitalismus ins Parteiprogramm aufgenommen wurden. Die Parteispitze war perplex, und ein Jahr später gab es die Quittung: Mit 18,7 Prozent erzielte die SP das drittschlechteste Ergebnis seit 1919. Nur dank Proporzglück konnte sie im Nationalrat drei Sitze zulegen.
Die Hauptproblem der SP: Sie politisiert so weit links wie kaum eine andere sozialdemokratische Partei in Europa, wird aber überwiegend von Mittelständlern mit sozialem Gewissen gewählt. Diesem Segment bieten sich die Grünliberalen als Alternative an. Die «kleinen» Leute, für die sie sich in erster Linie einsetzt, hat die SP weitgehend verloren, vor allem an die SVP.
Prognose: Das Wahlbarometer sieht die SP als Gewinnerin. Doch diese Momentaufnahme ist trügerisch, sie wird grosse Mühe haben, ihren Wähleranteil zu steigern und die 2011 eroberten Restmandate zu verteidigen. Denn auch die Grünen, ihr wichtigster Partner bei den Listenverbindungen, schwächeln. Ein Plus sind ihre beiden Bundesräte Simonetta Sommaruga und Alain Berset, die ihre schwierigen Departemente kompetent und zupackend führen.
Seit Philipp Müller den glücklosen Fulvio Pelli als Parteipräsidenten abgelöst hat, fühlen sich die gebeutelten Freisinnigen im Aufwind. Kaum ein Schweizer Politiker erhält so viel Medienpräsenz wie der kernige Aargauer. Die Resultate der kantonalen Wahlen seit 2011 können den Aufwärtstrend allerdings nicht bestätigen: In zehn Kantonen büsste die FDP Sitze ein. Nur in vier Kantonen konnte sie zulegen. Bedrängt wird sie von zwei Seiten: Rechts von der SVP, links von den Grünliberalen.
Das Wahlkampfmotto «Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt» hat intern für Diskussion gesorgt, vor allem der Begriff Gemeinsinn, der manchen Parteigängern zu sehr an linke Ideale erinnert. Mehr als ein Schlagwort ist das kaum, die FDP wird einen (rechts-)bürgerlichen Wahlkampf führen und sich gleichzeitig als konsequente Verteidigerin des bilateralen Wegs inszenieren.
Prognose: Seit den Wahlen 1983 ging es für die Gründungspartei der modernen Schweiz nur noch bergab. Nun hat sie reelle Chancen, erstmals wieder Wähleranteile zu gewinnen. Grosse Sprünge liegen aber nicht drin. Philipp Müllers erklärtes Ziel, die SP zu überholen, ist illusorisch. Der zweite FDP-Bundesratssitz ist alles andere als gesichert. Ins Zittern geraten wird der oft glücklos agierende Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.
Das SRG-Wahlbarometer attestiert CVP-Chef Christophe Darbellay die grösste Glaubwürdigkeit unter den Parteipräsidenten. Was ausser seinem Welschwalliser Charme zu diesem positiven Image beigetragen hat, ist schleierhaft. Darbellay fällt in der Öffentlichkeit vorwiegend durch seinen Hang zu populistischen Schnellschüssen auf. Unvergessen bleibt, wie er sich nach dem Ja zur Minarett-Initiative mit zweifelhaften Aussagen zu jüdischen Friedhöfen ins Abseits schwadronierte.
Politisch bleibt Darbellay auch nach acht Jahren als Präsident schwer fassbar. Er steht ziemlich genau in der Mitte seiner Fraktion, deren Spektrum traditionell besonders breit ist. Das macht es schwierig, eine klare Linie zu formulieren und mit einem anderen Thema als der Familienpolitik zu punkten. Im Wahljahr will die CVP eine Volksinitiative lancieren. Noch ist aber nicht klar, zu welchem Thema – irgendwie typisch.
Prognose: Die CVP ist neben der FDP die zweite Schweizer Traditionspartei, wie diese kämpft sie seit Jahren mit rückläufigen Wähleranteilen. Daran wird sich 2015 nichts ändern, im Gegenteil: Die CVP nähert sich immer mehr dem einstelligen Prozentbereich. Teilweise kompensieren kann sie den Niedergang durch die starke Vertretung im Ständerat.
Ökologie bleibt ein Dauerbrenner, trotzdem leiden die Grünen unter Formschwäche. An der Parteispitze stehen zwei Frauen, die kaum jemand kennt. Ausserdem politisiert die Partei in vielen Bereichen prononciert links, was den Grünliberalen in die Hände spielt. Diese hatten sich vor zehn Jahren von der «Mutterpartei» abgespalten. Nun zeichnet sich eine sachte Annäherung ab. Ziel ist unter anderem ein gemeinsamer «grüner» Bundesrat.
Prognose: Der Grünen müssen darauf hoffen, dass die Volksabstimmung über die zweite Gotthardröhre bereits im Juni 2015 stattfinden wird. Sie könnte der Partei zu einem Schub verhelfen. Wahrscheinlicher ist eine Fortsetzung des Abwärtstrends, die Grünen werden in einem Jahr zu den Verlierern gehören.
Es gibt nur eine Partei, von der man mit Sicherheit sagen kann, dass sie zulegen wird: die Grünliberalen. Am Personal liegt das nicht. Noch immer mangelt es der Partei neben Präsident Martin Bäumle und der Zürcher Ständerätin Verena Diener an profilierten Köpfen. Auch an politischen Inhalten lässt sich der Erfolg nicht festmachen: Die am letzten Wochenende beschlossenen «Leitlinien» wirken beliebig.
Die Attraktivität der Grünliberalen beruht auf ihrer Eignung als Projektionsfläche. Sie gaukeln die Illusion vor, man könne die Umwelt schützen und dennoch unseren verschwenderischen Lebensstil beibehalten. Ökologie auf die schmerzlose Tour, der technologische Fortschritt soll es richten. Grünliberal ist in erster Linie eine schöne Verpackung.
Prognose: Prozentual werden die Grünliberalen zulegen. Trotzdem müssen sie um ihre zwölf Sitze im Nationalrat bangen. Einige errangen sie 2011 nur dank Listenverbindungen mit anderen Mitteparteien. Diese haben wenig Lust, den «Emporkömmlingen» erneut als Steigbügelhalter zu dienen. Der Schmusekurs mit den Grünen ist auch vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Ihr Parteipräsident, der Glarner Nationalrat Martin Landolt, zählt zu den markanteren Figuren im Bundeshaus. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf erfreut sich beachtlicher Popularität. Trotzdem hat die BDP bei kantonalen Wahlen einige herbe Niederlagen erlitten, vor allem in Bern, ihrer zweiten Hochburg neben Graubünden.
Das Problem der BDP ist ihr mangelndes Profil. Bis heute ist nicht klar, was die Partei eigentlich sein will, ausser ein EWS-Wahlverein oder eine «anständige» SVP. Anders als die Grünliberalen regt sie auch keine Fantasien an. Die BDP droht, in der stark bevölkerten Mitte zerrieben zu werden. Ihr Heil sucht sie deshalb in der Annäherung an die CVP, mit der sie ab Frühjahr eine gemeinsame Bundeshausfraktion bilden will.
Prognose: Die BDP wird zu den Verlierern gehören. Sie muss um ihre neun Sitze im Nationalrat ebenso bangen wie um das einzige Ständeratsmandat, falls der Berner Werner Luginbühl nicht mehr antritt. Neue Diskussionen um den Bundesratssitz von Eveline Widmer-Schlumpf sind deshalb programmiert.