Ausgerechnet einen Ausspruch der überzeugten deutschen Kommunistin Rosa Luxemburg (1871–1919) zitierte der neugewählte Bundesrat Ignazio Cassis in seiner Antrittsrede. Es handelt sich um das berühmte Zitat «Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden». Diese Art von Freiheit halte die Schweiz zusammen, führte der Tessiner Politiker aus – und er habe es sich zur Aufgabe gemacht, diese Freiheit zu schützen.
Ignazio Cassis zitiert in seiner Rede Rosa Luxemburg: "Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden". Herzliche Gratulation zur Wahl.
— Min Li Marti (@minlimarti) 20. September 2017
Dummerweise übersah Cassis, dass Luxemburg mit «Andersdenkenden» wohl etwas anderes meinte als er. Cassis, höhnte die linke Website Sozialismus.ch, habe weder die historische Figur Luxemburg noch das Zitat verstanden.
Tatsächlich gehört das Luxemburg-Zitat zu einer Reihe von berühmten Worten, die regelmässig falsch verstanden, falsch wiedergegeben oder der falschen Person zugeordnet werden:
Rosa Luxemburg, die Anfang 1919 die KPD mitbegründet hatte, wurde nur wenige Tage später im Auftrag der SPD-Regierung von rechten Freikorps-Offizieren ermordet. Ihren Ausspruch über die Freiheit hatte sie nach der Oktoberrevolution in Russland gemacht – sie geisselte damit den wachsenden Dogmatismus der Bolschewisten unter Lenins Führung:
Ihre Kritik richtete sich damit vornehmlich gegen die bolschewistische Tendenz zur Diktatur, die zunehmend auch Revolutionäre mit abweichenden Meinungen unterdrückte. Dass sie nach wie vor überzeugte Sozialistin war, die keinem bürgerlich-liberalen Freiheitsbegriff anhing, zeigt sich zum Beispiel an diesem Zitat: «Sozialismus heisst nicht, sich in ein Parlament zusammensetzen und Gesetze beschliessen, Sozialismus bedeutet für uns Niederwerfung der herrschenden Klassen mit der ganzen Brutalität, die das Proletariat in seinem Kampfe zu entwickeln vermag.»
Wer kennt ihn nicht, den berühmten Spruch des stoischen römischen Philosophen Seneca (1–65 n. Chr.)? Man greift gern auf ihn zurück, um schulmüden Teenies, die den Sinn des Unterrichts in Zweifel ziehen, ein im Wortsinn klassisches Argument entgegenzuhalten. Glücklicherweise machen sich die jungen Leute nie die Mühe, das Zitat zu überprüfen. Würden sie dies nämlich tun, könnten sie es für ihre Zwecke nutzen und die elterlichen Vorhaltungen damit pulverisieren:
Richtig gelesen: Wir lernen nicht fürs Leben, sondern für die Schule, sagt dieser Römer, der unter anderem als Erzieher des späteren Kaisers Nero in die Geschichtsbücher einging. Seneca übte damit Kritik an den damaligen römischen Philosophenschulen:
Eifrige Übersetzer «korrigierten» das Zitat in späteren Zeiten aus pädagogischen Gründen, sodass es heute in der umgekehrten Form viel bekannter ist.
Ist dieser Spruch nicht einfach herzlos? Und passt er nicht perfekt zu Marie Antoinette, der lebenslustigen französischen Königin, die für ihren verschwenderischen Lebensstil gehasst wurde und für ihre Hochnäsigkeit auf dem Schafott büsste?
Allein, das Zitat passt fast zu gut, um wahr zu sein. In Wahrheit sagte Marie Antoinette nichts dergleichen. Der Satz stammt aus den «Confessions» von Jean-Jacques Rousseau, einem der intellektuellen Wegbereiter jener Revolution, der die Königin 1793 zum Opfer fallen sollte. 1766 oder 1767 hatte Rousseau in seinem autobiographischen (1783 erschienenen) Werk diese Worte einer «grossen Prinzessin» in den Mund gelegt. Möglicherweise meinte der Aufklärer aus Genf damit Maria Theresia von Spanien – mit Sicherheit aber nicht Marie Antoinette, die damals elf oder zwölf Jahre alt und noch nicht mit dem späteren französischen König Ludwig XVI. verheiratet war.
Hohn und Spott waren Al Gore sicher. Der Vizepräsident der USA, der nach zwei Amtszeiten unter Bill Clinton vergeblich versuchte, das Weisse Haus selber zu erobern, hatte im März 1999 in einem Interview mit CNN gesagt, er habe das Internet erfunden.
Oder etwa doch nicht? Tatsächlich sagte Gore wörtlich:
Keine Rede also von «erfunden» – wer den Satz im Kontext liest, muss Gore zugestehen, dass er hier lediglich seine politische Rolle bei der Förderung des Internets herausstreicht. Nachdem aber ein Artikel in «Wired» Gore als selbsternannten Vater des Internets dargestellt hatte, dauerte es nicht lange, bis ihm allenthalben unterstellt wurde, er habe behauptet, das Web erfunden zu haben.
Später verteidigten zwei tatsächliche Väter des Internets – Vint Cerf und Robert Kahn – Gore in einem offenen Brief. Sie schrieben: «Al Gore war der erste Politiker, der die Bedeutung des Internets erkannte und seine Entwicklung förderte und vorantrieb.» Ihre Schützenhilfe verpuffte jedoch weitgehend; noch heute haftet Gore hartnäckig der Ruch an, er übertreibe seine Verdienste hemmungslos.
Churchills Bonmot wird gern und häufig zitiert – allerdings weit eher im deutschen Sprachraum als in der Heimat des einstigen britischen Premierministers. Das ist kein Wunder, denn es gibt keinen Beleg dafür, dass der Satz von Churchill stammt. Bedeutend wahrscheinlicher dürfte eine deutsche Quelle sein.
Also waren Churchills damalige Kriegsgegner die Urheber der Äusserung? Tatsächlich gibt es die Theorie, das Zitat stamme aus dem Reichspropagandaministerium des «Dritten Reichs». Immerhin hatte Joseph Goebbels die Presse mehrmals angewiesen, Churchill als Lügner hinzustellen. Nazi-Zeitungen wie der «Völkische Beobachter» titelten entsprechend: «Zahlenakrobat Churchill», «Churchills Zweckstatistik».
Doch weder Churchill noch Goebbels lassen sich als Autor der Sentenz belegen. Erst 1946, nach dem Krieg, findet sich die erste Textstelle – die nichts mit Churchill zu tun hat:
In der ersten Person Singular formuliert taucht das Zitat erstmals 1967 auf, als Ausspruch des deutschen Bischofs Otto Dibelius:
Churchill dürfte das Zitat erst seit 1980 zugeschrieben worden sein. Das Zitat von der gefälschten Statistik ist daher selbst gefälscht.
Ein berühmter Ausspruch eines berühmten Physikers: Albert Einsteins Diktum vom Gott, der nicht würfle. Wie so oft stellt sich auch hier heraus, dass das Zitat in seiner bekannten Form nicht exakt dem tatsächlichen Wortlaut entspricht. Es handelt sich um eine Art Fazit aus den folgenden zwei Äusserungen Einsteins:
Die griffige Formel «Gott würfelt nicht» dient heute vielen Leuten dazu, eine bestimmte Überzeugung mit einem schmucken Einstein-Zitat zu untermauern: Dass es nämlich keinen Zufall gebe und Gott alles vorherbestimme. In dieser Verwendung ist die verkürzte Äusserung Einsteins jedoch nicht zulässig – nur schon deswegen, weil Einstein gar nicht an Gott glaubte.
Das zeigt sich sofort, wenn seine ursprünglichen Aussagen in ihrem Kontext betrachtet werden. Einstein ging es vielmehr um die Auseinandersetzung mit der Quantenphysik, genauer um den Kollaps der Wellenfunktion. Die Wellenfunktion beschreibt den Zustand eines Teilchens als Wahrscheinlichkeit, die erst dann zur Gewissheit wird, wenn eine Messung erfolgt. In diesem Moment kollabiert die Wellenfunktion zu einem bestimmten Wert.
Am Beispiel eines Würfels: Wenn der Würfel nach dem Wurf verdeckt unter dem Becher liegt, nimmt die Wellenfunktion des Würfels die Zahlen 1 bis 6 gleichzeitig ein, mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils einem Sechstel. Erst in dem Moment, da der Becher angehoben wird, kollabiert die Wellenfunktion zu einem konkreten Wert, beispielsweise 5. Für Einstein, der sich damit allerdings täuschte, war das Unsinn – «Gott würfelt nicht».
24 Jahre lang lief «Derrick», die bisher erfolgreichste deutsche Krimiserie. 281 Folgen wurden von 1974 bis 1998 ausgestrahlt – und in keiner einzigen davon sagte Horst Tappert, der den spröden Oberinspektor spielt, den berühmtesten Satz aus der Serie. Dieser Satz wurde zwar tatsächlich einmal verwendet, aber in der Serie «Der Kommissar» mit Erik Ode, in der Fritz Wepper ebenfalls den Inspektor Harry Klein spielte. Klein wechselte später zu Derrick, wie in dieser Episode zu sehen ist:
Allerdings fiel bereits in der zweiten, mit «Johanna» betitelten «Derrick»-Folge ein recht ähnlicher Satz. Dort sagt Derrick zu seinem Partner, Inspektor Klein (Fritz Wepper):
Eine ähnliche Anweisung kommt in Folge 73 vor, in der Derrick sagt: «Harry, ich brauch den Wagen!» Jener Satz aber, der immer zitiert wird, soll in Wahrheit von Harald Schmidt stammen – zumindest nach Ansicht des Präsidenten des deutschen Derrick-Fanklubs. Er sagte in einem Interview nach Tapperts Tod im Jahr 2008, Schmidt habe den Satz in einer Derrick-Parodie verwendet.
Lenin hätte sich wohl besser an diese Maxime gehalten, als er Stalin zum mächtigen Generalsekretär der Kommunistischen Partei aufsteigen liess. Stalin wiederum war so paranoid, dass ihm der erste Teil der Sentenz vermutlich gar nie über die Lippen gekommen wäre. Wie auch immer: Der Satz wurde so von Lenin nicht geprägt – und auch von Stalin nicht. Jedenfalls gibt es keine Belege dafür.
Allerdings hatte Lenin verschiedentlich Äusserungen gemacht, die in diese Richtung gingen. 1914 schrieb er beispielsweise in einem Aufsatz: «Nicht aufs Wort glauben, aufs strengste prüfen – das ist die Losung der marxistischen Arbeiter.» Der wahrscheinlichste Urheber des Spruchs dürfte aber der russische Volksmund sein – dieses russische Sprichwort soll nämlich zu Lenins Lieblingssätzen gehört haben:
Weise Worte der Indianer – und das zu einem Zeitpunkt, da ein Begriff wie «Umweltschutz» noch gar nicht geprägt war. Die Prophezeiung ist zum Mantra der Umweltschützer und Zivilisationskritiker geworden, Greenpeace verwendete sie als Slogan.
Manche führen den berühmten Sioux-Häuptling Sitting Bull als Urheber der Sentenz an, andere ordnen sie Häuptling Seattle vom Stamm der Suquamish zu – wahre Insider aber wissen, dass es sich um eine Weissagung der Cree-Indianer handelt.
Leider stimmt auch das nicht. Kein Ehrfurcht gebietender Indianerhäuptling aus dem 19. Jahrhundert hat diese Worte gesprochen – zumindest gibt es vor 1972 keine Belege für diese Weissagung. Vermutlich stammt sie aus einem Interview mit der kanadischen Dokumentarfilmerin Alanis Obomsawin, das 1972 veröffentlicht wurde:
Da Obomsawin zur indigenen Gruppe der Abenaki gehört, ist immerhin die indianische Herkunft des Spruchs korrekt.
«There's no intelligent life down here – beam me up, Scotty» – Sprüche wie diesen las man vor ein paar Jahren noch an WC-Türen oder Betonwänden. Die Teleportation war in den 60er Jahren durch die Science-Fiction-Serie «Star Trek» (deutsch «Raumschiff Enterprise») popularisiert worden. Kein Wunder, das Beamen erwies sich ja als äusserst praktisch, um beispielsweise brenzligen Situationen zu entfliehen.
Die berühmte Phrase «Beam me up, Scotty», die Captain Kirk an den Chefingenieur Montgomery Scott richtet, fiel allerdings in keiner einzigen Folge der Serie. Es handelt sich um eines jener Zitate, die nahezu jedem geläufig sind, aber gar nie so gesagt wurden. In Wahrheit kamen mehrere, leicht unterschiedliche Formulierungen vor:
Immerhin an einer Stelle ist die populäre, aber falsche Version genau die richtige: «Beam me up, Scotty» lautet der Titel der Autobiographie von James Doohan – dem Schauspieler, der Scotty verkörpert hatte.