Michael Müller-Möhring, der Einfachheit halber nur «Triple M» genannt, hat einen Traumjob. Noch dazu einen wichtigen. Head of Data Collection & Licensing nennt sich seine offizielle Berufsbezeichnung. Im jährlich erscheinenden Videospiel «FIFA» (die letzte Version FIFA17 war das weltweit meistverkaufte Konsolenspiel 2016) führt er mit seinem Team die Datenbank.
Müller-Möhring ist damit für Daten wie Spielerstärken, einzelne Attribute und Ausrüstungen verantwortlich. Ob Ronaldo oder Messi besser ist, wer der schnellste Spieler des Games ist und selbst die Ausprägung des Temperaments eines englischen 4.-Liga-Spielers – «Triple M» hat das letzte Wort.
Im Telefoninterview erzählt Müller-Möhring, wie es ist, 18'000 Spieler zu verwalten und zu editieren. Und warum vermutlich nie ein Spieler die höchste Bewertung von 99 erreichen wird.
Hallo Michael Müller-Möhring. FIFA 18 ist auf dem Markt. Du hast deinen Job erledigt, die Spielerwerte sind gemacht. Kommt jetzt eine ruhige Zeit?
Michael Müller-Möhring: Es gibt bei uns keine ruhigen Zeiten, die Datenbank wird ständig ergänzt. Da kommen immer wieder Transfers, der eine hat neue Fussballschuhe, ein weiterer trägt die Stulpen plötzlich anders und der dritte läuft auf einmal mit einem Schnauz umher.
Stört es denn überhaupt jemanden, wenn ihr es verpasst, die Gesichtsbehaarung eines zweitklassigen Spielers anzupassen?
Ja, das kannst du dir nicht vorstellen. Gerade heute habe ich ein E-Mail eines Mexikaners erhalten, der sich daran störte, dass beim Torhüter-Trikot seines mexikanischen Lieblingsvereins irgendeine Kleinigkeit nicht stimmte.
Suchst du mit deinem Team aktiv nach Verbesserungsmöglichkeiten der Spielerwerte?
Ja, wir durchkämmen zum Beispiel verschiedene Foren. Aber oftmals kommen auch die Spieler direkt zu uns oder beschweren sich öffentlich über ihre Ratings. Manchmal zum Spass, den einen ist es aber schon ziemlich ernst.
Ahaha you dont have TV last year @EASPORTSFIFA ?? 78 really ?!! 🤷🏾♂️🤷🏾♂️🤷🏾♂️ pic.twitter.com/SurU939kL4
— Benjamin Mendy (@benmendy23) 14. September 2017
Wenn also Benjamin Mendy mit seinem Rating nicht zufrieden ist, meldet er sich bei euch und ihr passt etwas an?
Nein. Wenn jemand nicht einverstanden ist, ist das in erster Linie sein Problem. Es gibt natürlich schon Fälle, bei denen wir faktische Fehler gemacht haben, diese korrigieren wir so schnell wie möglich. Die Spielerbewertung ist aber unsere subjektive Einschätzung, wir lassen uns da nicht reinreden.
Vor allem mit ihrer Geschwindigkeit, dem wohl wichtigsten Attribut bei «FIFA», sind viele Spieler nicht einverstanden.
Deswegen reklamieren tatsächlich immer wieder Spieler. Es ist halt so, dass wir die ganze Bandbreite der Bewegungsskala ausnutzen wollen. Wenn ein Spieler bei Geschwindkeit halt bloss eine 30 hat, ist er in Relation zu anderen etwas langsamer. Grundsätzlich ist aber jeder Fussballer schnell, das sind ja schliesslich auch Profis.
Ihr habt 18'000 Spieler mit jeweils 36 verschiedenen Attributen in der Datenbank. Das sind 648'000 einzelne Werte. Wie verwaltet ihr das?
Da läuft viel über unsere Datenbank-Editoren. Wir haben für sämtliche Ligen Experten, die sich meist auf ein oder höchstens zwei Vereine spezialisieren. Häufig sind das Saisonkarteninhaber, die gut einschätzen können, welcher Spieler in welchen Attributen wie gut ist.
Das ist aber sehr subjektiv, da wird ja jeder Editor die Spieler seines Vereins stark machen wollen.
So einfach ist das dann doch nicht. Wir schauen natürlich, dass die Vereine von den Stärkeverhältnissen am richtigen Ort ihrer Liga stehen. Schwieriger wird es bei unbekannteren, kleinen Ligen, da fehlen dann teilweise auch vereinsspezifische Editoren.
Das heisst, ihr könnt gar nicht alle 18'000 Spieler genau kennen und richtig einschätzen.
Nein. Es werden immer mal wieder Jugendspieler in irgendein Profiteam der 4. englischen Liga befördert und oft hat man nicht mehr Anhaltspunkte als Name, Alter und eine vage Positionsangabe wie zum Beispiel «midfielder». Da hilft manchmal auch das Internet nicht mehr wirklich weiter.
Wie löst ihr solche Probleme?
Wir schauen bei den Ratings, dass der Spieler von der Stärke ins Team passt. Und wenn wir beim Aussehen keine Ahnung haben, da es auf die Schnelle keinerlei Referenzmaterial gibt, dann versuchen wir halt ein Durchschnittsgesicht, Durchschnittsfrisur und Durchschnittshaarfarbe zu erstellen. Wir vermerken das dann aber in der Datenbank mit dem Hinweis «nicht verifiziert», und korrigieren dann mit dem nächsten Online-Update.
Das muss mühsam sein.
(lacht) Das sagst du einem, der für ein WM-Special mal das ganze Kader von Tonga erstellen musste. Da sind die Ratings dann schon durch Pi mal Daumen entstanden.
Dafür schalten sich wohl umso mehr in die Debatte um die Stärkeverhältnisse von Cristiano Ronaldo und Lionel Messi ein?
Die Spieler in den Top 100 schauen wir alle gemeinsam an. Ich habe zwar das letzte Wort, aber wir entscheiden eigentlich alles in der Gruppe. Es hält sich ja sowieso jeder von uns für den grössten Fussball-Experten der Welt.
Seid ihr denn Fussballexperten?
Wir sind zumindest alles Fussballfreaks. Man muss schon etwas «komisch» sein, wenn man sich jeden Tag mit Spielerattributen rumschlägt. Für uns alle ist das aber ein Traumjob. Videospiele und Fussball, das passt.
Beruft ihr euch bei der Bewertung auch auf Statistiken?
Zur Ergänzung schon. Wir nutzen «Opta-Daten» oder Bewertungen von Statistik- und Bewertungs-Seiten wie «Whoscored» als Bestätigung. Je mehr Quellen, desto besser. Das subjektive Empfinden ist aber ausschlaggebend.
Wie schafft ihr es, bei den Attributen einen gemeinsamen Nenner zu finden?
Das ist manchmal gar nicht so leicht. Wir haben zum Beispiel auch beim Temperament eine Skala von 1-5. Wenn dann der Italiener und der Schwede in meinem Team darüber diskutieren, wann ein Spieler als temperamentvoll gilt, gibt's schon einige Differenzen. Das sind halt auch kulturelle Unterschiede.
Und dann?
Wir einigen uns meist auf etwas dazwischen. Zur Qualitätssicherung haben wir ja noch die knapp 8000 freien Mitarbeiter, die nur Einsicht in unsere Datenbank haben und Verbesserungsvorschläge liefern können. 16'000 Augen sehen schliesslich mehr als zwei.
Wie kommt man zu so einem Job?
Es gibt eine Anlaufstelle, bei der man sich bewerben kann. Die Leute machen das, weil sie stolz sind, bei einem so grossen Game mitzuwirken. Grundsätzlich sind das alles Hardcore-Fussballfans.
Wo liegt die grösste Schwierigkeit in eurem Job?
Eine der grössten Herausforderungen ist es, Spieler mit einer hohen Spielintelligenz so realitätsnah wie möglich darzustellen. Wir haben die Attribute Stellungsspiel und Übersicht, allerdings fehlt noch so etwas wie Spielintelligenz, das ist halt schwierig, da die Spieler an der Konsole richtige oder falsche Entscheidungen treffen müssen. Das Spiel soll ja Spass machen.
Wie schätzt ihr nicht positionsbezogene Attribute ein?
Diese sind für die Gesamtwertung gar nicht so relevant, weil es keinen grossen Unterschied ausmacht. Aber zum Beispiel die Freistoss-Fähigkeiten eines Spielers, der nie Freistösse schiesst, ist schwer einzustufen. Wir überlegen uns dann, ob er den Schuss immerhin aufs Tor bringen würde und schätzen so seine Fähigkeit ungefähr ein.
Eure Skala geht bis 99. Gibt es einen Spieler, der ein Attribut mit der Bewertung 99 hat?
Nein. Und das bleibt wohl so. Denn 99 würde bedeuten, er ist der beste aller Zeiten und es wird nie wieder ein besserer kommen. Die 99-er Bewertung bleibt wohl offen für alle Zeiten.