Seit 2010 reist der französische Fotograf und Filmemacher John Thackwray um den Planeten und fotografiert Menschen an ihrem intimsten Ort: In ihrem Schlafzimmer.
In den vergangenen sechs Jahren sind so über 1200 Fotografien in 55 verschiedenen Ländern entstanden, die nebeneinander aufgereiht nicht nur ein Spektrum kultureller Vielfalt, sondern auch eine Bestandsaufnahme seiner eigenen Generation bilden.
Hi, John. Seit sechs Jahren siehst du dir die Schlafzimmer fremder Leute an. Was ist so speziell an diesem Raum?
John Thackwray: Es geht per se nicht unbedingt um's Schlafzimmer, sondern viel mehr um den Raum, in dem die Menschen schlafen. Das kann manchmal auch die Küche sein, das Wohnzimmer, das Büro oder alles zusammen. Ein intimer Ort ist es allemal.
Das braucht bestimmt viel Vertrauen.
In der Tat. Das Interessanteste an meiner Arbeit ist der Prozess, wie ich dorthin gelange.
Jetzt tönt's irgendwie verführerisch. – Denn auch wenn die Menschen auf deinen Bilder angezogen sind, wirken sie doch irgendwie nackt. War das deine Intension – die Leute metaphorisch auszuziehen?
Da ist was dran. In Südamerika war das besonders: Hätte ich die Leute dort fotografiert, wo ich sie antraf, sprich in den Universitäten, in Fabriken, Clubs oder Bars, hätten sie sowohl auf den Bildern, aber auch für mich ganz anders gewirkt.
Indem ich sie dazu brachte, mich zu sich nach Hause einzuladen, eröffnete dies meiner Arbeit viele neue Perspektiven.
Ich legte die Strecke ihres Arbeits- oder Schulwegs zurück. Teilweise beansprucht das mehr als zwei Stunden. Ich sah ihre Häuser, die Elektrizitäts- und Wasserzufuhr, erfuhr in was für Konstellationen und mit wie vielen Menschen sie zusammen leben.
Die Zeit, die ich effektiv in ihrem Zimmer verbrachte, machte geschätzt schliesslich weniger als fünf Prozent des restlichen Aufwands aus.
Wie kam es zur Idee für das «My Room Project»?
Als Dokumentarfilmer war ich ständig auf Reisen. Da war ich auch zwei, drei Mal am selben Ort und immer wieder war ich davon beeindruckt, was die Zeit mit der Welt anstellen kann.
Beim einen Besuch weiss noch niemand so genau, was ein Smartphone ist, beim nächsten Mal zeigen mir diese selbe Leute lauter Selfies und fordern mich auf, ihnen bei Instagram zu folgen.
Die Hochgeschwindigkeit mit der sich unsere Welt bewegt, reisst uns derart mit, dass wir ihre permanente Entwicklung oft gar nicht sehen können.
Das «My Room Project» soll eine Momentaufnahme sein. Eine Bildergalerie, auf die man in 20 Jahren zurückgreifen kann und erkennt, was sich in der Zwischenzeit alles verändert hat.
Das heisst, deine Bilder werden erst in 20 Jahren von Relevanz sein?
Nein, so ist das nicht. In 20 Jahren werden sie (hoffentlich) diesen Effekt von «Krass, was da alles gegangen ist?!» vermitteln.
In der Zwischenzeit sind sie auf subtile Art und Weise eine Bewusstseinssteigerung. Sie zeigen den Leuten, wie gleich die Menschen einer Generation rund um den Globus sein können, aber wie krass sich ihre Lebensstile, ihre Ängste, Probleme und ihr Besitz unterscheiden.
Das hört sich sehr optimistisch an. Du glaubst also immer noch an globale Solidarität?
Auf jeden Fall, ja. Aber ich glaube, dass Bilder und Geschichten dazu mehr taugen als Zahlen und Statistiken.
In meinem Buch werden 100 Bilder mit 100 Geschichten gezeigt. Nadas Story ist eine davon. Ich bin überzeugt, dass dies auf manche Menschen eine intensivere und nachhaltigere Wirkung haben wird, als eine Statistik zum selben Thema.
Bei deinen Models hast du dich ausschliesslich auf Millennials beschränkt. Hat das einen Grund?
Ja. Ich bin selbst Teil der Generation Y. Die Millennials sind nicht nur ein Produkt der Globalisierung, sie sind alle Teil davon.
Dann muss sie ja auch etwas verbinden. Was hast du in jedem Schlafraum angetroffen?
Fast alle meine Interview-Partner, von Saudi-Arabien bis in den afrikanischen Busch, haben einen Internetzugang und alle hatten sie ein Profil auf irgendeinem sozialen Netzwerk.