Es gibt in Europa nicht viele Länder, in denen es bei Parlamentswahlen so wild zugeht. Im Kosovo regt sich kaum noch jemand über Stimmenkauf und gefälschte Wählerlisten auf. Selbst eine Wählerbeteiligung von über 100 Prozent ist am Sonntag möglich.
Nach Darstellung der staatlichen Wahlkommission in dieser Woche sind knapp 1,8 Millionen Bürger stimmberechtigt. Das entspricht ziemlich genau der Gesamteinwohnerzahl. Da auch im Kosovo Kinder nicht wählen dürfen, gehen Beobachter davon aus, dass die Listen manipuliert sind.
Erst kurz vor der Parlamentswahl im Kosovo am kommenden Sonntag hat die serbische Minderheit ihre Boykottdrohung zurückgenommen. Ursprünglich wollte sie wegen des Kosovo-Wappens auf dem Stimmzettel nicht an der Abstimmung teilnehmen.
Doch nun hat die serbische Regierung in Belgrad mit starkem Druck doch noch ein Umdenken bewirkt. Für die serbische Minderheit sind laut Verfassung 10 von 120 Parlamentssitzen reserviert, so dass sie möglicherweise bei der Regierungsbildung ein entscheidendes Wörtchen mitreden könnte.
Die Minderheit, die weniger als zehn Prozent der Bevölkerung Kosovos stellt, erkennt den seit acht Jahren selbstständigen und mehrheitlich von Albanern bewohnten Staat nicht an. Sie betrachtet ihn vielmehr weiterhin als südliche Provinz Serbiens.
Aber das ist nur eines von vielen schweren Problemen im jüngsten europäischen Staat. Das Armenhaus Europas gilt als eines der korruptesten Länder der Region. Obwohl der seit sechs Jahren amtierende Regierungschef Hashim Thaci die marode Wirtschaft nicht in Schwung bringen konnte, gilt der 46-Jährige immer noch als einer der populärsten Politiker.
Von Korruption, zahllosen Affären und mutmasslichen Verbindungen zur Mafia belastet ist aber nicht nur die PDK von Thaci. Auch die zweitgrösste politische Kraft im Land, die oppositionelle LDK mit Isa Mustafa an der Spitze, gilt in diesem Sinne als zwielichtig.
Gerade erst sind zehn LDK-Mitglieder in der Stadtverwaltung der Hauptstadt Pristina wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen worden. Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass bei der letzten Wahl 2010 schätzungsweise 45 Prozent aller Wahlurnen manipuliert worden sein sollen, wie der heimische Analyst Naim Rashiti schätzt.
Wenig verwunderlich auch, dass diese beiden wichtigsten Parteien trotz starken internationalen Drucks die Reform des Wahlrechts im Land verhinderten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Parteien in der Regel von einigen wenigen Oligarchen abhängig sind, die durch Stimmenkauf und Manipulationen der Wählerlisten grösseren Einfluss auf den Wahlausgang haben als die Bürger selbst. (whr/sda/dpa)