Türken entscheiden in Volksabstimmung über Erdogans Präsidialsystem

Türken entscheiden in Volksabstimmung über Erdogans Präsidialsystem

16.04.2017, 04:28

In einem historischen Referendum entscheiden die Türken am heutigen Sonntag über die Einführung des von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebten Präsidialsystems. Rund 55 Millionen Wahlberechtigte sind in der Türkei zur Teilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen.

Im Ausland waren zusätzlich 2.9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen. Dort wurde bereits abgestimmt. Ergebnisse werden noch am Sonntagabend erwartet. Wann feststeht, welches Lager gewonnen hat, hängt davon ab, wie knapp das Ergebnis ausfällt. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Die Wahllokale öffnen um 7 Uhr Schweizer Zeit.

Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnt dagegen vor einer Ein-Mann-Herrschaft. Sollte die Verfassungsreform die erforderliche Mehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmen erzielen, dürfte Erdogan wieder Chef der Regierungspartei AKP werden. Umgesetzt würde die Reform schrittweise. Nach der für November 2019 geplanten Wahl würde der Präsident nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Dann würde das Amt des Ministerpräsidenten entfallen.

Heisse Schlacht bis zum Schluss

Erdogan hatte am letzten Wahlkampftag für den Fall seines Sieges beim Referendum die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt. «Die Entscheidung wird den Weg dafür öffnen», sagte Erdogan am Samstag vor jubelnden Anhängern, die in Sprechchören die Todesstrafe forderten. Er warb zugleich um massenhafte Zustimmung zu seinem Präsidialsystem bei dem Referendum am Sonntag.

Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu warnte am letzten Wahlkampftag in Ankara: «Morgen werden wir unsere Entscheidung treffen: Wollen wir ein demokratisches parlamentarisches System, oder wollen wir ein Ein-Mann-Regime?» Er appellierte an die Wähler: «Würdet Ihr Eure Kinder in einen Bus ohne Bremsen setzen? Schützt die Demokratie, wie ihr Eure Kinder schützen würdet.»

Erdogan versprach im Falle seines Sieges Sicherheit, Stabilität und einen wirtschaftlichen Aufschwung. «Denkt daran, was passieren wird, wenn die Urnen - so Gott will - vor »Ja«-Stimmen platzen», sagte er bei einem von insgesamt vier Auftritten am Samstag in Istanbul. Die pro-kurdische HDP warb bei ihrer Abschlusskundgebung in Diyarbakir für ein «Nein» beim Referendum. Die Volksabstimmung findet im Ausnahmezustand statt, der noch mindestens bis Mittwoch andauert.

Distanzierung von Europa

Erdogan erwartet vom Ausgang des Referendums auch eine Quittung für Europa. «Dieser Sonntag ist der Tag, an dem unser Volk jenen europäischen Ländern eine Lektion erteilen wird, die uns in den vergangenen zwei Monaten mit aller Art von Gesetzlosigkeit einschüchtern wollten», sagte er. «Morgen ist der Tag, um ihnen darauf eine Antwort zu geben. Wir werden auch Deutschland eine Antwort geben, und Österreich, Belgien, der Schweiz und Schweden.»

Während des Wahlkampfs war es zu schweren Spannungen zwischen der Türkei und mehreren europäischen Staaten gekommen. Auslöser waren geplante Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsvertreter. Erdogan hatte Deutschland und den Niederlanden «Nazi-Methoden» vorgeworfen. (sda/dpa)

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