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Leute, die sich um die Zukunft kümmern

Prof. Boerne (Jan Josef Liefers, r.) und Frank Thiel (Axel Prahl) in der Villa des ermordeten Rotlichtkönigs Bruno Vogler (Frank Zander).
Prof. Boerne (Jan Josef Liefers, r.) und Frank Thiel (Axel Prahl) in der Villa des ermordeten Rotlichtkönigs Bruno Vogler (Frank Zander).Bild: WDR/Martin Menke
«Tatort: Der Hammer»

Leute, die sich um die Zukunft kümmern

Im «Tatort: Der Hammer» geht der Umbau von Münster weiter: Thiel und Boerne löschen im elegant-fantasievollen Arrangement von Lars Kraume ein Revolutiönchen bewährt sozialdemokratisch.
13.04.2014, 21:3413.04.2014, 23:01
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Matthias Dell
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«Alles deutet auf einen wirklich spannenden und Film mit vielen künstlerischen Elementen hin der einige Zuschauer eine sehr spannenden und emotionalen Film hin der mit viel Liebe zum Detail entstanden ist.» Steht in der Ausgabe der fiktiven Zeitung «Münster Blatt», auf der Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) knapp bei Hälfte des «Tatort: Der Hammer» nach Fingerabdrücken suchen.

Und auch wenn die Ausstattung (Szenenbild: Naomi Schenck) beim Produzieren des Zeitungstextes über den angeblichen Münsteraner Regisseur Robert Cordesmann, der einen Film namens «Münster My Darling» drehe, zum finalen Korrekturlesen nicht mehr gekommen ist und das Komma als Möglichkeit von Grammatik stiefmütterlich behandelt – dass man sich mit etwas Mühe gibt, das nur für Sekundenbruchteile im angehaltenen Bild wahrgenommen werden kann, ist beachtlich. 

Der Insiderwitz taugt durchaus zur Selbstbeschreibung: Der Münsteraner «Tatort» von Lars Kraume (Buch und Regie, WDR-Redaktion: Nina Klamroth) ist nicht unspannend, enthält künstlerische Elemente (etwa: die Bilder von Kameramann Jens Harant) und ist von einer Liebe zum Detail geprägt, für die der Zeitungstext steht.

Oder: Dass die Beamten im Wirtschaftsdezernat, die Staatsanwältin Klemm (Mechthild Grossmann) bei der Suspendierung von Thiel erwähnt, Eggert und Pieroth heissen, also wie zwei deutsche Landespolitiker der neunziger Jahre, die unrühmlich aus ihren Ämtern geschieden sind (wobei der Panscher Pieroth wohl geläufiger ist als Sinnbild von Korruption in der Politik als Heinz Eggert). 

Melancholisch-elegante Atmosphärik

Dabei verträgt sich Kraumes melancholisch-elegante Atmosphärik, die im Frankfurter Tatort mit Conny Mey und Fränkie Steier (2011-13) ihre grössten Erfolge feierte, eigentlich nicht mit dem schwankhaft-schenkelklatschenden Humor des Thiel-Boerne-Gegensatzes. Und ein wenig merkt man diese Reibung «Der Hammer» an: Der Film wirkt bisweilen sediert, also zu langsam für den Witz.

Oder auch zu zurückhaltend: Hübsch ist der sanft stullige Baumarkt-Verkäufer, der Boernes Suche nach dem Schlagzahl-Hammer mit dem unerträglichen Optionalismushorror begleitet, auf den «Freiheit» (Joachim Gauck) im Tagesgeschäft des Markthandelns these days runtergerockt ist: «Grosse Hammer, kleine Hammer, Gummi-, Stahl- und Holzhammer», «dicke Knochen, dünne Knochen, stabile oder poröse Knochen». Aber zwei Umdrehungen mehr hätten daraus noch keinen Klamauk gemacht.  

Münster steckt im Umbruch, und dafür kommt Kraume gerade recht. Weil er das Unernste, Komödiantische, das Münster in die «Tatort»-Liga eingebracht hat, als Freiraum für Fantasie nimmt. So ist schon der Auftakt ungewöhnlich, zur ersten Leiche über den Umweg der – von Bild und Bewegung her – schönen Busfahrt durch die nächtliche Stadt zu finden und den Suspense mit dem SDF im Bus in den epischen Rutsch durch den Mittelgang beim Bremsen aufzulösen. Überhaupt sieht man Münster bei Kraume überhaupt einmal.

Die Geschichte hat neben der Comic-Superheldenstory, die offensiv thematisiert wird, auch einen Tatort zum Vorbild: die legendäre Schweighöfer-Folge aus Bankfurt, in der Milan Peschel als ewig underachievender Mann zum Werkzeug einer radikalen Gerechtigkeitsrevision wurde.

Die Rolle von Peschel, der in Münster nun die meiste Zeit nicht zu sehen ist unter der Strickmütze seines «Hammer»-Helden und den Prekären-Husten kultiviert, den alle Waisenkinder bei den Simpsons haben, knüpft an das einstige «Projekt» in Frankfurt an: Auch in «Der Hammer» werden die Schweinereien lokaler Eliten nicht mit Ermittlung, Prozess oder Anzeige verwaltet, sondern mit dem Tod bestraft. Auch hier ist das Werkzeug wesentlich (damals: Morgenstern und andere mittelalterliche Instrumente). 

Die Gesamtsozialdemokratie siegt

Anders als in «Weil sie böse sind» seinerzeit, wo die Umverteilung als Abschaffung der moralisch defizitären Adelsfamilie von der Schweighöfer-Figur konsequent betrieben wurde und Peschels Männlein am Ende tatsächlich unerkannt davonkommen durfte, siegt in «Der Hammer» die Gesamtsozialdemokratie auf ganzer Linie. Gerade dass der Hammer auch Kommissar Thiel als Teil des Problems versteht (der herrliche Nebel in der Tennishalle!), zeugt von einer radikalen Analyse der Machterhaltung in hochstehenden westlichen Demokratien.

Diesen Gedanken – der Kommissar eben nicht als Teil der Lösung – weiterzuverfolgen hätte wohl aber tiefere Depressionen und Ängste nicht nur bei der Figur verursacht, als das Tête-à- tête mit Handschellen im Bett sie bewirkt hat. Dass die Fantasie dann doch Grenzen hat, sieht man auch an der Kurzzeitbeförderung von Nadeshda (Friederike Kempter), die für einen Moment im Büro kühl die Macht verspürt, aber schon eine Szene später wieder in die Assistentinnenrolle regrediert ist.  

So bleibt von Peschels Superheld immerhin die Andeutung einer möglichen «Tatort»- Kritik, so wie der Hammer in der Tennishalle «Lassen Sie den Mann los» parodiert als hohlen Dialogstandardsatz. Und man kann ausserdem gut sehen, worin sich amerikanisches und deutsches Denken unterscheidet. Thiel kommt durch seinen sich beim Kiffen verschluckenden Vater (Claus D. Clausnitzer) auf eine «familiäre» Erklärung für die Identität des Superhelden.

Im freudianisch inspirierten Superheldencomic hätte das bedeutet, dass der Hammer der Sohn vom King of Korruption aka Landrat «Lasse» Seelig (Stephan Schwartz) gewesen wäre. In Deutschland wird «Familie» gesellschaftsfürsorglicher gedacht – da handelt es sich um einen Familienvater, der wegen der Machenschaften des Politikers «alles» verloren hat. 

Die Ersterwähnung eines Wirklichkeitskomplexes, der uns im «Tatort» noch beschäftigen wird: 
«Bist du jetzt bei der NSA oder was?»
Ein Ansatz, mit dem man jede politische Diskussion bestreiten kann: 
«Ich frage mich, wer die wählt.»
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: 
«Kannst du nicht in Würde alt werden?»
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