«Sieg oder Sarg, sonst gibt's für mich nichts.» Das legendäre Motto des Schweizer Slalomfahrers Didier Plaschy – zwei Weltcupsiege und ungezählte Ausfälle – gilt 1:1 auch für Bode Miller. Beim Amerikaner geht's immer um alles oder nichts, halbe Sachen macht er keine.
WM-Super-G gestern Abend. Bode Miller fährt das erste Rennen in diesem Winter. Vor zehn Wochen wurde der 37-Jährige noch am Rücken operiert.
Davon ist in Beaver Creek nichts zu merken. Miller macht das, was ihn auszeichnet, seit er kurz vor Weihnachten 1997 in den Weltcup eingestiegen ist: Er greift an, auf Teufel komm raus. Das geht lange gut. Miller stellt beste Zwischenzeiten auf, zeigt eine überragende Fahrt. «Ich habe oben am Start dem Bode zugeschaut und mir gesagt: ‹So muss ich fahren›», verrät später der Weltmeister Hannes Reichelt.
Doch das Rennen endet für Bode Miller nicht auf dem Podest, sondern im Spital. Nach einer Minute Fahrzeit hängt er an einem Tor an, es verdreht ihn, er knallt wuchtig auf die Piste. Die rasiermesserscharfe Kante seines Rennskis schneidet eine tiefe Fleischwunde in sein rechtes Bein.
Es ist ein typisches Miller-Rennen. «Sieg oder Sarg». Unten im Ziel stockt Ehefrau Morgan, mit Söhnchen Sam auf dem Arm, der Atem. Bode fährt, nachdem er sich aufgerappelt hat, zu ihr. Umarmt sie, gibt ihr einen Kuss. Eine Heldenstory «made in USA».
Der Held ist schwer gezeichnet. Beinahe erinnert Bode Miller in diesen Momenten an John McClane, den Protagonisten der «Stirb langsam»-Filme. Der besiegt die Bösen und ist am Ende jeweils übersät mit Schnitt-, Schuss- und anderen Wunden.
Im Sport siegt der Gute nicht immer; Millers letzter grosser Sieg ist fünf Jahre her. In Vancouver wurde er Olympiasieger. Sein letzter Weltcupsieg liegt fast ebenso lange zurück, war im Dezember 2011.
Trotz dieser relativen Erfolglosigkeit, an der auch viele Verletzungen schuld sind, blieb Bode Miller über all die Jahre das Aushängeschild der Ski-Szene. Die Fans lieben ihn und wen die Fans lieben, den lieben auch die Sponsoren. Als zu Beginn der WM ein Pressetermin des US-Teams ansteht, dreht sich alles um ihn. Ted Ligety hingegen, als dreifacher Titelverteidiger in Beaver Creek, werden ganze zwei Fragen gestellt.
Es ist kein Wunder, liegen die Anhänger Miller zu Füssen. Denn während andere das Charisma eines lauwarmen Schlucks Tee versprühen, über Beläge und Kanten fabulieren, ist der Amerikaner ein Draufgänger – auf und neben der Piste. Jahrelang fuhr er in einem riesigen Wohnmobil von Rennen zu Rennen. Dort wurde nicht nur geschlafen, sondern auch gefeiert. Als er das Gefährt verkaufte, liess der neue Besitzer die Discokugel entfernen. Millers wilde Partyzeiten scheinen ohnehin, seit er Ehemann und Vater ist, vorbei zu sein. Aber der Ruf von früher hallt lange nach.
Angreifen, für den Sieg alles riskieren und in Kauf nehmen, dass es oft auch nicht aufgeht: In Bode Millers Körper fliesst echtes Rennfahrerblut. Natürlich tüftelt er wie alle anderen auch akribisch an der richtigen Materialabstimmung. Aber am Ende, scheint es, hört er einfach auf seinen Bauch und der Instinkt sagt ihm, wo er durch muss. Das macht Bode Miller so einzigartig.
Der Internationale Skiverband kündigte anfangs dieses Winters an, die Abfahrten wieder spektakulärer, schneller, riskanter zu machen. Der neue FIS-Renndirektor Markus Waldner lässt direkter stecken, was von den Fahrern goutiert wird. Gerade Bode Miller hatte dessen Vorgänger Günter Hujara kritisiert: «Jetzt haben sie die Abfahrt zum Super-G und den Super-G zum Riesenslalom gemacht», schimpfte der Amerikaner.
Fahrern wie Miller kommt die neue Haltung der FIS entgegen. Denn mit ihr wird Mut belohnt. Eine Motivation für den 37-Jährigen, weiterzumachen? Die jüngste Verletzung bedeutet zwar Bode Millers WM-Aus. Aber die Karriere muss trotzdem noch nicht zu Ende sein.