Nach geschlagener Schlacht herrschte bei den Siegern keine Feierstimmung. Kein Wunder: Mit dem Nein zur Rentenreform am Sonntag ist kein einziges Problem gelöst. Die AHV schreibt schon heute rote Zahlen, und die grosse Pensionierungswelle bei den Babyboomern steht erst bevor. Wenn nichts geschieht, geht dem AHV-Fonds spätestens 2031 das Geld aus.
Die Pensionskassen müssen mit einem Umwandlungssatz leben, der sich mit der gestiegenen Lebenserwartung nicht mehr vereinbaren lässt. Deshalb wird es weiterhin zu systemwidrigen Umverteilungen von Beitragszahlern zu Rentnern kommen, und zu fragwürdigen Mischrechnungen mit dem überobligatorischen Kapital, das nicht an gesetzliche Vorgaben gebunden ist.
Die bürgerlichen Gegner der nun gescheiterten Reform sind sich bewusst, dass Handlungsbedarf besteht. Die FDP will «mit anderen konstruktiven Kräften im Parlament einen echten Kompromiss erarbeiten», wie sie am Sonntag mitteilte. Sie verweist auf den Plan B, mit dem die erste und die zweite Säule mit separaten Vorlagen saniert werden sollen.
Selbst wenn man die «extremen» Lösungsvorschläge ausklammert, bleibt die Herausforderung enorm. In groben Zügen ist Plan B bekannt, doch der Teufel liegt bekanntlich im Detail. Und da gehen die Meinungen bei wichtigen Punkten teilweise weit auseinander.
Mit der abgelehnten Reform sollte das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht und die Flexibilisierung des Rentenbezugs ermöglicht werden. Die Bürgerlichen wollen beide Elemente wieder aufnehmen. SP-Präsident Christian Levrat sagte am Sonntag jedoch, dass ein Frauenrentenalter 65 ohne Kompensation eine «rote Linie» darstellt.
Bei der FDP zeigt man sich offen. Die St.Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter regte im «Tages-Anzeiger» eine «gezielte soziale Abfederung» an. Der Staat solle bedürftigen Frauen eine vorzeitige Pensionierung ermöglichen. Martin Kaiser vom Arbeitgeberverband deutete im Gespräch mit watson zudem an, man könne «etwas bei den Minimalrenten» machen.
Für die Linke dürfte dies kaum genügen. Die SP-Frauen betonten in einer Mitteilung, eine Erhöhung des Frauenrentenalters sei nur akzeptabel, «wenn es substanzielle Kompensationsmassnahmen gibt». Co-Präsidentin Natascha Wey wollte auf Anfrage nicht ins Detail gehen. Die Altersvorsorge 2020 sei für die SP-Frauen bereits «der äusserste Kompromiss» gewesen, das Frauenrentenalter sei «nicht vollständig kompensiert worden».
Die SP könnte auch Zugeständnisse in anderen Bereichen fordern, etwa bei der umstrittenen «Lohnpolizei». Ob eine AHV-Reform gegen linken Widerstand erfolgreich sein wird, scheint nach den früheren Erfahrungen zweifelhaft. Karin Keller-Sutter gab sich im «Tages-Anzeiger» optimistisch: «Wenn wir eine gezielte soziale Abfederung einbauen, können wir es schaffen.»
Zur Finanzierung der AHV soll die Mehrwertsteuer erhöht werden. In diesem Punkt herrscht weitgehende Übereinstimmung, obwohl auch diese Vorlage am Sonntag gescheitert ist. Über das Ausmass der Erhöhung sind sich jedoch nicht einmal die bürgerlichen Bundesratsparteien einig.
SVP-Präsident Albert Rösti will nur jene 0,3 Prozent akzeptieren, um die die Mehrwertsteuer per 1. Januar 2018 gesenkt wird. Die FDP scheint an den 0,6 Prozent festhalten zu wollen, die in der abgelehnten Reform enthalten waren. Für die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel genügt dies nicht, wie sie dem «Tages-Anzeiger» erklärte. Nötig sei mindestens 1 Prozent. Eine Einigung ist nicht unmöglich, doch harte Auseinandersetzungen sind programmiert.
Die Bürgerlichen wollten 2010 den Umwandlungssatz bei der beruflichen Vorsorge ohne Kompensation von 6,8 auf 6,4 Prozent senken und scheiterten in der Volksabstimmung kläglich. Eine neue «Rentenklau»-Debatte wollen sie vermeiden. Gleichzeitig betonen sie, dass die Kompensation nur innerhalb der zweiten Säule erfolgen dürfe.
Dies kann nur gelingen, wenn die Versicherten mehr in die Pensionskassen einzahlen. Auf welche Weise dies geschehen soll, ist umstritten. Der Arbeitgeberverband will den Koordinationsabzug abschaffen, der Gewerbeverband hingegen die Altersgutschriften erhöhen. Die beiden Konzepte unterscheiden sich diametral, ein Kompromiss dürfte schwierig sein.
Teuer wird es auf jeden Fall, sowohl für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Besonders hart werden die höheren Lohnabzüge die Geringverdiener treffen. Sie können nicht darauf hoffen, dass ihre Arbeitgeber den Lohnverlust ausgleichen werden. Auch die Jungen werden zur Kasse gebeten, die angeblich Leidtragenden der nun abgelehnten Rentenreform. Dies wird zu reden geben.
Diese Beispiele zeigen, dass der Weg zu einer neuen Reform nicht so einfach ist, wie die Gegner der Altersvorsorge 2020 im Abstimmungskampf suggeriert haben. CVP-Präsident Gerhard Pfister will eine neue Vorlage bis Ende 2018 durchs Parlament bringen, sodass 2019 darüber abgestimmt werden kann. Skeptiker glauben, dass dies nicht vor 2021 der Fall sein wird.