In der Eurokrise spielte bisher das Team Norden gegen das Team Süden. Die Rollenverteilung war dabei klar: Die Südländer sind die «faulen» Defizitsünder, denen man mit Strukturreformen den Tarif durchgeben muss. Die Nordländer hingegen sind die sparsamen und die fleissigen, die den Süden durchfüttern müssen. Um das zu ändern, wurde gar vorgeschlagen, die Einheitswährung in einen Nord- und einen Südeuro aufzuteilen.
Die Finnen kämpften daher an vorderster Front gegen die angeblich trügen Mitglieder des Club-Med. Sie wollten zunächst die Beiträge an den Europäischen Hilfsfonds EMS verweigern und die nationalistische Partei der «Wahren Finnen» – heute nur noch «die Finnen» – feierte überraschende Wahlerfolge.
Doch nun sind es ausgerechnet die Finnen, welche die schlechtesten Wirtschaftsaussichten für das kommende Jahr haben. «Wenn es überhaupt Wirtschaftswachstum geben sollte, dann wird es nicht grösser sein als eine Schneeflocke», prophezeit die «Financial Times».
Finnland erlebt derzeit gleich drei wirtschaftliche Schocks auf einen Schlag:
Nokia, lange das Vorzeigeunternehmen, ist derzeit in grössten Schwierigkeiten und wurde von Microsoft übernommen. Der Mischkonzern war lange Marktführer bei den Handys und zwischen 1998 und 2007 für ein Viertel des finnischen Wirtschaftswachstums verantwortlich. Auch die finnische Holz- und Papierindustrie durchlebt schwere Zeiten. Die Printmedien verlieren fast überall auf der Welt an Auflage, die Nachfrage nach Zeitungspapier sinkt.
Schliesslich leidet Finnland am meisten unter dem teilweisen EU-Boykott gegen Putin & Co. Russland ist traditionell der wichtigste Handelspartner. Wenn die Exporte nach Russland um ein Viertel zurückgehen, dann wächst das finnische Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent weniger. Im kommenden April werden die Finnen ein neues Parlament und eine neue Regierung wählen.
Kommt es angesichts der Krise zum Durchmarsch der Nationalisten? Wahlumfragen bestätigen diese Befürchtung nicht. Zwar wird die rechts-konservative Regierung wahrscheinlich abgelöst. Mit rund 16 Prozent Zustimmung befinden sich die «Finnen» jedoch bisher erst auf Platz vier der Parteien-Rangliste. Bisher werden die Nordländer ihrem Ruf als kühle Pragmatiker gerecht.
- Die «wahren Finnen» sind inhaltlich aus meiner Sicht weitgehend mit der SVP und anderen europäischen Rechtspopulisten vergleichbar. In Wirtschaftsfragen sind sie Links und für den Wohlfahrtsstaat.
- Russland ist nicht traditionell der wichtigste Handelspartner. Deutschland, Schweden und Russland wechseln sich mit jeweils um die 10% von Jahr zu Jahr ab. 3/4 der Exporte gehen in westliche Industrieländer.
- Finnen sind traditionell etwas skeptisch gegenüber Russland und dem Westen. Von ersterem wurde man im 2. Weltkrieg angegriffen und vom Letzteren verarscht und im Stich gelassen. Auch das liefert Munition für Rechtspopulisten.
- Der Verkauf von Nokia an Microsoft war ein grosser Fehler. Das Microsoft nur Monate nach der Übernahme 12'500 der 25'000 Mitarbeiter entliess und offenbar Investitionsversprechen in Infrastruktur nicht einhält ist sehr hart.
- Es gibt aber auch Stimmen (z.B. Valto Loikkane vom Unternehmer-Service der Stadt Helsinki), die das Versagen von Nokia positiv bewerten, weil es zu einem Umdenken bewege, nicht mehr allein auf monolithische Grossunternehmen für den Wirtschaftserfolg zu vertrauen. Die Startup Szene in Helsinki boomt. Die Hersteller der Spiele Angry Birds und Clash of Clans haben Millionen eingenommen. Durch die starke Konzentration auf Bildung ist Finnland auch auf dem hochlukrativen Zukunftsmärkten der Künstliche Intelligenz und Robotik gut aufgestellt.
- Finnland überschreitet erstmalig die Schuldenquote von 60% knapp. Anstatt das aber wie andere EU-Ländern kleinzureden und gereizt auf den Rüffel aus Brüssel zu reagieren, haben sie ohne rhetorische Umwege grosse strukturelle Probleme eingestanden. Im Moment stehen die Parteien offenbar ziemlich geschlossen hinter einem Massnahmenpaket, um den Wohlfahrtsstaat vorübergehend etwas herunterzufahren, währendem die Sozialpartner versprechen die Löhne etwas anzuheben.
Es überrascht nicht, dass auch ein Land wie Finnland in einer internationalen Krise taumelt. Ich habe aber Hoffnung, dass sie aufgrund eines (noch) weniger vergifteten politischen Klimas effiziente Lösungen finden und auch umsetzten können.