Afghanistan

Taliban haben elf Personen Finger abgeschnitten, weil sie ihr Wahlrecht ausgeübt haben

Eine Frau in Kabul hält ihren mit Tinte verschmierten Finger in die Höhe, nachdem sie gewählt hat.
Eine Frau in Kabul hält ihren mit Tinte verschmierten Finger in die Höhe, nachdem sie gewählt hat.Bild: MOHAMMAD ISMAIL/REUTERS
Präsidentenwahl in Afghanistan

Taliban haben elf Personen Finger abgeschnitten, weil sie ihr Wahlrecht ausgeübt haben

14.06.2014, 20:2814.06.2014, 21:33
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Millionen Afghanen haben allen Drohungen der Taliban getrotzt und einen Nachfolger für Präsident Hamid Karsai gewählt. Bei der historischen Stichwahl traten Ex-Aussenminister Abdullah Abdullah sowie der frühere Finanzminister Aschraf Ghani gegeneinander an.

Es handelt sich um die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte des Landes. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Wahlkommission (IEC) bei etwa 60 Prozent. Mehr als sieben Millionen der rund zwölf Millionen Wahlberechtigten hätten am Samstag ihre Stimme abgegeben, sagte IEC-Chef Jusuf Nuristani.

Nach der ersten Wahlrunde am 5. April hatte die IEC ebenfalls rund sieben Millionen Stimmen registriert. Nach Betrugsvorwürfen waren 6,6 Millionen als gültig gezählt worden, was einer Beteiligung von etwa 55 Prozent entspricht. Befürchtet worden war eine geringere Beteiligung an der Stichwahl.

Das vorläufige Wahlergebnis wird erst Anfang Juli verkündet. Die Amtseinführung des neuen Präsidenten ist für den 2. August geplant.

Finger abgeschnitten

Den Taliban gelang es nicht, die Wahl massgeblich zu stören, obwohl sie Anschläge und Angriffe ausführten. Nach der Wahl haben Taliban-Kämpfer laut Innenministerium elf Wählern deren mit Tinte markierten Finger abgeschnitten. Die Opfer seien in der westafghanischen Provinz Herat ins Spital gebracht worden, teilte Vize-Innenminister Mohammad Ajub Salangi am Samstagabend über Twitter mit.

Bei Wahlen in Afghanistan wird ein Zeigefinger des Wählers mit nicht abwaschbarer Tinte markiert, um eine mehrfache Stimmabgabe zu verhindern. Damit wird allerdings auch für die Taliban ersichtlich, wer deren Aufruf zum Wahlboykott missachtet hat. Die Taliban hatten Afghanen mit dem Tode bedroht, sollten sie wählen gehen.

Dutzende Todesopfer

Bei Taliban-Angriffen wurden am Samstag nach Behördenangaben mindestens 46 Menschen getötet. Unter den Todesopfern seien 20 Zivilisten, elf Polizisten und 15 Soldaten, sagte Innenminister Omar Daudsai. Bei einem Raketenbeschuss in der ostafghanischen Provinz Chost kamen fünf Kinder ums Leben. Zudem seien etwa 60 Angreifer getötet worden, hiess es weiter.

Das Innenministerium registrierte bis Samstagmittag mindestens 150 Anschläge und Angriffe, machte aber keine Angaben zu Opfern. Die Taliban teilten mit, sie hätten bis zum Mittag 246 Ziele im Land angegriffen. Nach Angaben der Regierung wurden 400'000 Sicherheitskräfte eingesetzt, um Wähler und Wahllokale zu schützen.

Unmittelbar nach dem Ende der Wahl begann die Auszählung der Stimmen. Offizielle Angaben zu möglichem Wahlbetrug lag zunächst nicht vor.

Einschüchterungsversuche der Taliban

Aus einigen ländlichen Gegenden berichteten Augenzeugen allerdings, dass Drohungen der Taliban Wähler von der Stimmabgabe abschreckten. In mehr als 330 Wahllokalen im Land gingen die Wahlzettel aus, die Wahlkommission musste Nachschub liefern. In der ersten Wahlrunde am 5. April hatte die Wahlbeteiligung bei 55 Prozent gelegen.

Rund zwölf Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, den Nachfolger von Präsident Hamid Karsai zu bestimmen. Die Wahlkommission will ein vorläufiges Wahlergebnis am 2. Juli verkünden, das Endergebnis soll am 22. Juli bekanntgegeben werden.

«Afghanistan macht einen grossen Schritt in Richtung Stabilität und Frieden», sagte Karsai bei der Abgabe seiner Stimme in Kabul. An die Adresse seiner Landsleute sagte er: «Bestimmt Euer eigenes Schicksal und beendet die Abhängigkeit von den Ausländern.» Abdullah und Ghani riefen zu einer ehrlichen Wahl mit einem transparenten Ergebnis auf.

Karsai durfte nach den Vorgaben der Verfassung nicht ein drittes Mal kandidieren. Er regiert Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Abdullah war bei der ersten Wahlrunde auf 45 Prozent der Stimmen gekommen und hatte die erforderliche absolute Mehrheit damit verfehlt. Ghani gewann 31,6 Prozent der Stimmen.

Mehr Sicherheit - weniger Korruption

Sowohl Abdullah als auch Ghani haben im Falle ihres Wahlsieges versprochen, die Sicherheitslage zu verbessern, wirtschaftliche Probleme anzugehen und die Korruption zu bekämpfen. Beide haben ausserdem zugesagt, ein Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterschreiben, das Voraussetzung für einen internationalen Militäreinsatz nach Ablauf dieses Jahres ist.

In der ersten Wahlrunde hatten sich acht Kandidaten um die Nachfolge Karsais beworben. Der Präsident hat sich öffentlich für keinen von ihnen ausgesprochen. Die Taliban nannten die Abstimmung einen von den USA gesteuerten Prozess. (sda/dpa)

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