Argilio Giacomazzi, der Kapitän der Adria-Fähre «Norman Atlantic», hat die Ehre der italienischen Schiffsführer wiederhergestellt: Im Gegensatz zu seinem unrühmlichen Kollegen von der «Costa Concordia», Francesco Schettino, verliess Giacomazzi am Montag als letzter die brennende Fähre, nachdem er die Kontrolle italienischen Marine-Offizieren übergeben hatte.
"Der Kapitän geht als Letzter von Bord." Bravo, Argilio Giacomazzi, Kapitän der #NormanAtlantic #GuterMann #Ankerherz pic.twitter.com/vGHbltBUDK
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Die Übergabe nach einem 36-stündigen Drama mit mehreren Todesopfern hätte nicht würdevoller sein können – im Gegensatz zu Schettinos panischer vorzeitiger Flucht aus dem havarierten Kreuzfahrtschiff vor knapp drei Jahren.
Norman, il comandante l'ultimo a lasciare la nave. "Giacomazzi riscatta la marineria italiana" http://t.co/DSgsgX4BMI
— Anna Rasetti (@AnnaRasetti) 29. Dezember 2014
Auf die Idee, die brennende Fähre vorzeitig zu verlassen, wäre Giacomazzi nach Angaben seiner Tochter Giulia nie gekommen. «Unsere Familie durchlebt gerade schwere Zeiten, aber über eines bin ich mir sicher: Mein Vater wird alles für die Sicherheit seiner Leute und der Passagiere tun», sagte sie am Wochenende, als der Ausgang des Dramas noch unsicher war.
Eher nüchtern beruhigte der erfahrene Seemann nach seiner Rettung seine Familie: «Ihr könnt entspannen, mir geht's gut» sagte er am Telefon. «Es ist vorbei, ich komme nach Hause.»
Argilio Giacomazzi, el 'anti-Schettino' https://t.co/v4dRJicrza
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Wie sehr das Verhalten seines Kollegen Schettino – alias «Kapitän Feigling» – die Menschen in Italien beschämt hat, zeigt auch das Lob des Bürgermeisters von La Spezia für Giacomazzi.
Il comandante della #NormanAtlantic Argilio Giacomazzi fa notizia perché non ha abbandonato la nave. La responsabilità esiste ancora
— Anna Greco (@AnnaGreco10) 29. Dezember 2014
Dieser habe Italiens jahrhundertealte Seefahrt-Tradition hochgehalten, sagte Massimo Federigi. Der 62-Jährige habe mit «Professionalität und enormem Mut» die Rettung der Insassen seiner Fähre organisiert. Nach «gewissen wohlbekannten Ereignissen» habe er damit «das Ansehen unseres Landes gerettet».
Dass die Rettung jedoch nicht reibungslos verlief, zeigen die Aussagen der geretteten Passagiere. Diese erhoben schwere Vorwürfe gegen die Besatzung, die völlig überfordert gewesen sei. Passagiere erzählten von Schlägereien an Bord. «Es war nur ein Rettungsboot im Wasser und niemand von der Besatzung war da, um den Menschen zu helfen», sagte einer der ersten Passagiere, die von einem Handelsschiff gerettet und im italienischen Bari an Land gebracht wurden. «Wir dachten alle, wir sterben.»
«Eigentlich hätten wir mit einem anderen Schiff fahren sollen. Wir haben das erst im Hafen gemerkt. Als wir es gesehen haben, ist uns etwas mulmig geworden», sagte eine andere Passagierin im griechischen Fernsehen. «Auf dem Schiff gab es keinerlei Koordination. Das Personal war praktisch nicht vorhanden.»
Die Staatsanwaltschaften in Bari und Brindisi leiteten Ermittlungen wegen fahrlässigen Schiffbruchs und fahrlässiger Tötung ein. Der Eigentümer der Fähre, Carlo Visentini, sagte seine Zusammenarbeit bei den Ermittlungen zu. Die griechische Fährlinie Anek hatte die fünf Jahre alte Fähre von seiner Firma, der italienischen Visemar, gechartert.
Das Schiff habe alle Zertifikate gehabt und sei fahrtüchtig gewesen. Bei einer Inspektion am 19. Dezember waren leichtere Mängel an der «Norman Atlantic» moniert worden.
Über die Ursache des Brandes, der vermutlich im Autodeck ausgebrochen war, wurde weiter spekuliert. Lastwagenfahrer berichteten in griechischen Medien, dass das Fahrzeugdeck überladen gewesen sei. Viele Laster hätten zudem entzündbares Olivenöl geladen gehabt. (kub/sda/dpa)