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Heute hat sich nicht zum ersten Mal folgende Geschichte abgespielt: Ich sass im Zug, wie jeden Tag, da ich nach Bern pendle. Am Bahnhof nahm ich eine Gratiszeitung mit. 

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Bild: Kafi Freitag: Es grenzt an Boshaftigkeit, wenn so ein glatzköpfiger Passant sich mutwillig vor die Kamera wirft, um einem ein derart gutes Bild zu versauen. 
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Heute hat sich nicht zum ersten Mal folgende Geschichte abgespielt: Ich sass im Zug, wie jeden Tag, da ich nach Bern pendle. Am Bahnhof nahm ich eine Gratiszeitung mit. 

Im Zug legte ich sie vor mir auf das Tischlein. Um meine SMS zu checken, nahm ich mein Handy nach vorne. In diesem Moment schnappte sich die Person vis-a-vis (die vor mir im Zug sass und somit mitbekommen hat, dass ich die Zeitung brachte) meine(!) Gratiszeitung. Ich wurde innerlich wirklich sehr wütend, traute mich aber nicht zusagen «das isch mini Zitig!» oder so etwas... Wäre es unanständig gewesen, etwas zu sagen? Was hätte ich sagen sollen? In Zukunft muss ich die Zeitung auf meinem Schoss behalten. Bin ich zu heikel, dass ich von den Leuten erwarte, mich vorher zu fragen? Ist es selbstverständlich, dass ich keine Besitzansprüche auf etwas habe, das offensichtlich gratis war? Es käme niemandem in den Sinn, sich mein Buch zu schnappen… Karin, 23
11.04.2014, 12:2711.04.2014, 13:51
Kafi Freitag
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Liebe Karin 

Nein, Sie sind sicherlich nicht zu heikel, wenn Sie Ihre Zeitung gerne selber lesen würden, bevor sie sich ein anderer unter den Nagel reisst. Aber etwas anderes sind Sie dafür: Nämlich furchtbar empfindlich und kompliziert.

Sie grämen sich lieber heimlich und innerlich und schreiben mir dann am anderen Tag diese Frage, anstelle dass Sie ein ganz einfaches und simples Sätzli sagen. Wie zum Beispiel: «Au Entschuldigung, aber ich habe diese Zeitung noch gar nicht gelesen. Gerne gebe ich sie Ihnen wieder, wenn ich damit fertig bin.» 

Natürlich können Sie hinter jedem dieser Erlebnisse einen Akt der absoluten Böswilligkeit vermuten. Aber das ist es meistens nicht. Sie checken Ihr Handy und Ihr Gegenüber ist vermutlich gedanklich auch ganz woanders, als tatsächlich im Zug von Zürich nach Bern. Und selbst wenn er mit ganz furchtbar hinterhältiger Absicht Ihre!!! Gratiszeitung geklaut hat, können Sie ihn mit entwaffnender Freundlichkeit schachmatt setzen.

Eine Gratiszeitung ist im Gegensatz zu einem Buch (und sogar zu einer gekauften Tageszeitung) nun mal eine Art Allgemeingut, das im Laufe eines Tages durch viele Hände wandert. Der Besitzanspruch ist bei einem Artikel, der gratis abgegeben wird, anders, als bei einem gekauften. Das ist normal und liegt in der Natur der Sache. Darum nehmen Sie das Blatt am Abend auch nicht mit nach Hause und legen es in Ihr!!! Altpapier, sondern lassen es achtlos irgendwo liegen.

Das ist jetzt vielleicht ein kleines Beispiel. Aber mich nerven Menschen, die sich selber dermassen in den Mittelpunkt setzen, dass jede Unachtsamkeit zu einem persönlichen, gegen sie geführten Kreuzzug des Bösen wird. Da kann man sich dann eine Zugstunde lang herrlich darüber aufregen und ganz viel Schlechtes über sein Pendlergschpändli denken und wundert sich dann, wenn einem den Rest des Tages auch nicht viel Besseres geschieht.

Machen Sie sich locker, Karin. Sie sind eine Pendlerin unter 977 000 pro Tag (und es sind täglich ganz genau 802 172 Gratiszeitungen im Umlauf). Ich würde an Ihrer Stelle nicht nur die Zeitung auf den Schoss nehmen, sondern mich am besten draufsetzen. Sie können Ihre!!! Zeitung dann zwar nicht lesen, aber wenigstens auch kein anderer.

Mit bestem Gruss. Ihre Kafi.

Kafi Freitag 
Kafi Freitag (39) beantwortet auf ihrem Blog www.FragFrauFreitag.ch Alltags-Fragen ihrer Leserschaft. Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (www.freitagcoaching.ch) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie ist verheiratet und Mutter eines neunjährigen Sohnes, wohnt mitten im Zürcher Kreis 4 und versucht, ihren Alltag so vernünftig wie nötig und amüsant wie möglich zu leben.



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Ich muss weg. Einfach mal raus in die Natur. Abschalten. Kein Internet. Kein Netflix. Nur ich und ich. Klingt theoretisch super. Praktisch erlebe ich mein eigenes Blair Witch Project.

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