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Muss ich meinen Vater zur Taufe einladen?

Kennen Sie Ihre Werte? Und stehen Sie für diese ein? 
Kennen Sie Ihre Werte? Und stehen Sie für diese ein? kafi freitag
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Muss ich meinen Vater zur Taufe einladen?

Liebe Kafi. Nach der Geburt unseres vierten Kindes rückt die Taufe näher. Muss ich meinen Stiefvater dazu einladen, weil es sich gehört und damit ich meine Mutter nicht vor den Kopf stosse? Er interessiert sich weder für mich noch meine Familie. In den letzten fünf Jahren habe ich ihn dreimal gesehen. Bei unserer zivilen und der kirchlichen Hochzeit und der Taufe unserer Tochter. Sprich, nur wenn's was gratis zu essen gab. Irgendwie habe ich darum keine Lust auf ihn. Was soll ich machen? Bettina, 37
12.07.2017, 13:4212.07.2017, 14:12
Kafi Freitag
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Liebe Bettina

Ich bekomme viele «Muss ich»-Fragen, sie sind noch häufiger als die «Darf ich»-Fragen. Spannend, dass diese Fragen immer von Erwachsenen kommen, praktisch nie von Jugendlichen. Wir scheinen demzufolge erwachsen zu werden mit ganz vielen «ich muss» im Rucksack. Und auch wenn wir dann längst auf eigenen Beinen stehen und unsere Füsse unter den eigenen Tisch strecken, haben wir noch immer das Gefühl, etwas zu müssen.

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Bei mir in der Praxis habe ich viele Menschen, die unter dieser Last des Müssens fast zusammenbrechen. Sie wollen es allen recht machen. Dem kranken Mann, dem Arbeitgeber, der verwöhnten Tochter und sogar der Katze. Immer kümmern sie sich darum, was andere wohl von ihnen erwarten. Und das tun sie dann, ohne zu hinterfragen. Doch irgendwann, nach vielen Jahren der gebückten Aufopferung für die Umwelt bleibt man mit der Frage zurück, was man eigentlich selber will.

Wir alle wachsen mit einer ungeschriebenen Familienverfassung auf. Dort ist aufgelistet, was die Verwandten für wahr halten. Als Kind nimmt man diese «Regeln» ganz unbewusst auf, man kann sich nicht dagegen wehren. Erst viele Jahre später bemerkt man, dass da ein paar Regeln im System hocken, die einen stark einschränken. Ich bin selber auch mit solchen beschränkenden Glaubenssätzen aufgewachsen, in meiner Familie väterlicherseits ist Geld zwar ungemein wichtig, aber dennoch ist es widersprüchlich konnotiert. Wer viel davon hat, ist per Definition ein reicher Sack und eher unsympathisch. Ausser er ist grosszügig und lädt gerne ein, dann ist der gleiche reiche Sack ein toller Hecht. Vielleicht können Sie sich vorstellen, dass ich mich von diesen Vorstellungen erst einmal emanzipieren musste, bevor ich wirklich meinen eigenen Weg gehen konnte.

Und genau dies müssen Sie jetzt auch tun. Fragen Sie sich, was für SIE wichtig ist. Welche Wertvorstellungen sollen in IHRER Verfassung stehen? Mit welchen soll Ihr Kind aufwachsen?

Die Taufe ist ein kirchliches Ritual. Aber eigentlich ist sie viel mehr. Sie ist die erste Zeremonie, die ihr Kind ins Leben begleitet. Und nun fragen Sie sich ganz ehrlich: Wer soll Ihr Kind auf diesem Weg begleiten? Wen wünschen Sie sich an der Seite Ihres Kindes?

Mag sein, dass diese Frage Ihre Gästeliste arg ausdünnt. Und wenn dem so ist, haben Sie einiges richtig gemacht und sind auf dem besten Weg, Ihre eigene Verfassung zu formulieren.

Ich stelle mich auch immer wieder, inwiefern ich meinen Werten treu bleibe und wo ich eher elegant daran vorbei mäandere. Wenn man sich mit diesen Themen aktiv auseinandersetzt, ist man immer wieder gezwungen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefallen. Aber es geht im Leben nicht darum, es anderen recht zu machen, sondern sich selber treu zu bleiben. Das ist nicht immer einfach, ich weiss. Viele Menschen bevorzugen es, sich für andere aufzuopfern, weil sie tief in sich drin das Gefühl haben, dass man sie sonst nicht gern hat. Diese Rücksichtsnahme baut nicht auf Edelmut, sondern auf fehlenden Selbstwert.

Für sich und seine Überzeugungen einzustehen ist etwas, dass ich meinem Kind mitzugeben versuche und ich hätte – wäre ich noch in einer Kirche – anlässlich der Taufe mit der Vermittlung dieser Werte angefangen.

Alles Liebe Ihnen und Ihrer Familie. Ihre Kafi

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Kafi Freitag (41!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 12-jährigen Sohn in Zürich.

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Yippie
12.07.2017 14:12registriert Februar 2016
Tipp: Besprechen Sie es mit ihrer Mutter und nicht einfach die Einladung nur an Sie richten. Sie wird wahrscheinlich mehr Verständnis haben, wenn Sie ihr Ihre Beweggründe erklären.

Vielleicht ist der Stiefvater ja sogar froh, wenn er nicht dabei sein muss und ist bislang nur gekommen, weil er auch eingeladen wurde und die Einladung nicht ablehnen wollte aus denselben Gründen wieso Sie ihn eingeladen haben zur Hochzeit - Stichwort gesellschaftliche Gepflogenheiten.
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Madison Pierce
12.07.2017 16:10registriert September 2015
Kann man so sehen und ist sicher konsequent. Ich würde den Stiefvater "dem Frieden zuliebe" einladen, wenn das Problem nur darin besteht, dass er sich sonst nie meldet. Das "Gratisessen" würde mich emotional weit weniger belasten als ein Konflikt mit der Mutter. Anders sähe es natürlich aus, wenn er in der Vergangenheit als unangenehmer Gast aufgefallen wäre und immer Streit gesucht hätte.
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Bruno Wüthrich
12.07.2017 20:18registriert August 2014
Im Grundsatz hat Frau Freitag recht. Bei der vorliegenden Frage handelt es sich aber um ein Peanut. Zumindest für die Fragestellerin.

Anders bei der Mutter, die sich neu verheiratet hat. Bei familiären Anlässen ist es heikel, von einem verheirateten Paar nur einen Teil einzuladen.

Es wird bei diesem Paar Diskussionen geben, wie es mit solchen Teil-Einladungen verfahren soll. Die Mutter sieht sich völlig unnötigerweise vor eine Zerreissprobe gestellt. Soll sie ihrem Ehemann zuliebe selbst absagen oder der Tochter zuliebe zusagen? Denn ihr Mann wird auch künftig nicht mehr eingeladen werden.
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