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meine Schülerinnen finden sich zu dick und wollen wie GNTM aussehen!

Kafis liebster Platz: vor dem Pizzaofen. 
Kafis liebster Platz: vor dem Pizzaofen. kafi freitag
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Kafi, meine Schülerinnen finden sich zu dick und wollen wie GNTM aussehen!

Ich bin Lehrerin, liebe meinen Job. Ich beobachte mit grosser Sorge, wie viele Mädchen zw. 12 und 16 sich selbst wahrnehmen. Sie finden sich hässlich, was v.a. bedeutet, dass sie sich zu dick fühlen. (Was sie überhaupt nicht sind.) Sie definieren sich grösstenteils über diese Äusserlichkeit und sie leiden darunter, nicht ihrem Ideal zu entsprechen, fühlen sich nicht schön. Auf meine Frage, was denn der Massstab für «schön» sei, höre ich immer wieder GNTM, auch von Jungs. Es tut mir in der Seele weh. Linda, 40
29.05.2017, 09:30
Kafi Freitag
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Liebe Linda

Danke, dass Sie diese Frage stellen. Ich kann Ihnen sehr gut nachfühlen, denn mir geht es genau so, wenn ich junge Frauen beobachte und höre, wie sie über sich selber reden. Für mich ist das Problem allerdings ein ganzes Stück grösser und umfassender. Ich behaupte, dass sich praktisch keine Frau wirklich schön und schlank genug findet und zwar bis ins hohe Alter. Und genau dort wittere ich das allergrösste Problem, noch weit vor der unleidigen GNTM Kiste.

Seit ein paar Jahren ist ein ganz lächerliches Wettrennen entbrannt, welche Frau nach der Entbindung des Kindes wieder als erste die Figur von vorher hat. Oder besser noch; etwas schlanker ist als vor der Schwangerschaft. Die Illustrierten mit weissen Buchstaben auf rotem Grund (lustig, dass alle billigen Frauenmagazine weisse Buchstaben auf rotem Grund haben, nicht?) kommentieren jeden einzelnen Afterbaby-Body und am Sandkastenrand im Park geschieht das Gleiche. Es wird gehungert und es werden Diätpillen geschluckt, damit man möglichst schnell wieder in die alte Jeans passt. Mag sein, dass das die Babys zu diesem Zeitpunkt noch nicht mitkriegen. Aber spätestens nach dem ersten Jahr kapieren Kleinkinder sehr wohl, wie das Essverhalten der Mütter ist. Sie registrieren, wie wichtig es ist, superschlank zu sein. Und sie speichern diese Tatsache als richtig ab, so wie Mama auch sagt, dass man nicht auf die Strasse rennen darf.

Später werden die süssen kleinen Mädchen in süsse Kleidchen gesteckt und man sagt ihnen alle Naselang, wie süss sie sind. «Süss» wird also zum wichtigen Wert, die Kinder verinnerlichen schnell, dass es möglichst darum geht, zu gefallen. Und das wollen Sie dann auch, aber richtig! Und dies nicht nur im von Ihnen erwähnten Alter, sondern noch viele Jahre danach. Wie oft begegnen mir erwachsene Frauen, die den Kopf schräg stellen, wenn sie was haben wollen oder ein höheres Stimmlein auflegen und mit den Wimpern klimpern. Dieses affektierte Kleinmädchengetue ist so weit verbreitet und nicht selten sind es Mütter, die es an den Tag legen. Mütter, die zusammen mit den pubertierenden Töchtern Diät halten oder Mütter, die fünf Mal die Woche ins Fitness rennen, um in Shape zu bleiben. Mir ist klar, dass die Medien mitverantwortlich sind am Frauenbild, das in unseren Köpfen herrscht. Aber wir erwachsenen Frauen sind es eben auch. Mich erschreckt immer wieder, wie viel Energie und Zeit ins Aussehen gesteckt wird, anstatt darin, sich im Inneren weiter zu entwickeln. Wir können dieses Rennen aber nur verlieren, weil die Zeit schneller rennt, als jedes Laufband es tut.

Anstatt immer nur die Medien an den Pranger zu stellen und die eigenen Hände in den sportlichen Schoss zu legen sollten wir anfangen, unser eigenes Bild zu revidieren. Schliesslich leben wir den jungen Frauen vor, wie es geht. Solange Frauen sich darüber definieren, wie sie bei Männern ankommen und ob sie von diesen gemocht werden, wird sich am Schlankheitswahn nämlich nichts ändern. Und solange sich erwachsene Frauen selber als Girls bezeichnen, kommen wir in dieser Sache nicht weiter. Dieses sich selber klein machen und auf sein Aussehen reduzieren ist weit verbreitet und meiner Meinung nach mindestens so schuld wie die Medien, die saudumme Formate etablieren.

Reden Sie mit jungen Menschen und entlarven Sie die Mechanismen, die vorherrschen! Soeben habe ich gelesen, dass Instagram das ungesündeste aller sozialen Netzwerke ist, weil es angeblich nachweislich unglücklich macht. Mich macht es allerdings sehr happy. Ich erfreue mich an den bunten Bildern und ich kann stundenlang durch skurrile Hashtags surfen. Allerdings bin ich auch nicht naiv genug zu denken, dass alles echt ist, was ich dort sehe. Dass Kim Kardashian auch Dellen am Arsch hat und alle Bilder pervers nachbearbeitet werden, war mir auch schon vor dem Celluliteskandal klar und ich weiss auch, dass all die mageren Weiber keinen einzigen Bissen vom Hamburger essen, den sie in Händen halten. Ich bin umgeben von Frauen in meinem Alter, die ihre Profilbilder mit Filtern bearbeiten, dass es beinahe schon wehtut und ich frage mich ernsthaft, ob diese denken, man glaube dem straffen Schein. Denn spätestens dann, wenn man sich bei einem Anlass wieder mal in echt über den Weg läuft, relativiert sich jeder Antiangingfilter von selbst und auch die Taille, ist dann nicht mehr ganz so schmal.

Wir können unsere Kinder nicht vor den neuen Medien und Heidi Klum schützen. Aber wir können mit ihnen reden und erklären, dass vieles einfach nur Fake ist. Unsere Aufgabe ist es, unser eigenes Denken zu überprüfen und mit unserer inneren Haltung ein Vorbild zu sein. Überwinden Sie den Seelenschmerz und gehen Sie in die Offensive. Es ist noch nicht zu spät!

Von Herzen, Ihre Kafi

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Kafi Freitag (41!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 12-jährigen Sohn in Zürich.

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45 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gbzh
29.05.2017 10:36registriert März 2014
Meine Frau gestern: Zieht sich einen Rock an und findet, ihre Beine sind zu dick dafür. Sie wollte wieder in die Jeans rein. Mir fehlt die Begabung zu leugnen, dass ihre Beine nicht mehr die von Twiggy sind (waren sie es jemals?). Aber jetzt keinen Rock anzuziehen, das ist voll doof. Beine werden nicht schlanker, es wird nicht bequemer und who cares? Sie ist Mutter von zwei Kindern. Nicht die Discoqueen von Zürich. Ich werde ja genauso älter. Auch wenn ich schlank bin, ist mein Gewebe ja auch schlaffer. Schlank und jung und schlank und alt ist nicht dasselbe.
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Flint
29.05.2017 10:31registriert März 2014
Um den Artikel in männlicher Sprache zu kommentieren: "badumm-tss!" 👍
Allerdings tragen auch wir Männer hier eine gewisse Mitschuld, das sollte auch mal gesagt werden.
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so wie so
29.05.2017 10:04registriert Juli 2015
Es wird den meisten bewusst sein, dass es sich um Fakes handelt. Das Problem ist, dass ein zweifelhaftes Ideal verkauft wird. Man versucht diesem Ideal so nah wie nur möglich zu kommen. Es geht ja darum, sich von der Masse vom normalen abzuheben. Wenn jede Frau so aussehen könnte und würde, wäre es ja nicht mehr speziell. Frau Freitag hat allerdings absolut Recht, dass wir erwachsenen Frauen ein selbstbewussteres Selbstbild vorleben müssen. Es liegt an den Erwachsenen Rollenbilder zu durchbrechen und unseren Kindern zu zeigen, dass sich ihr Wert nicht durch ihr Äusseres definiert.
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