Wirst du, wie ich, in eine Jugo-Familie reingeboren, gibt es Sachen, die gesetzt sind. Scheissegal, wie sehr deine Eltern integriert sind, sie haben offiziell versagt, wenn sie dir folgende sechs Dinge nicht mit auf den Weg gegen.
Vergiss Malaria, Kriege, Raser. Die wahre Gefahr, das weiss der Jugo, birgt die Promaja, der Durchzug. Sobald es irgendwo ein klein bisschen zieht, juckt der Balkaner hysterisch auf, um von Todesangst getrieben, alle Fenster und Türen zu verriegeln. Auch bei 45 Grad im Schatten. Oder 80 Grad im Auto. Als mich neulich eine Halskehre plagte, glaubte meine Mutter nicht an eine falsche Bewegung. Für sie war klar: Promaja war schuld. Ich könne von Glück reden, überhaupt noch am Leben zu sein.
Zur Zeit der grossen Jugo-Einwanderer-Welle stiegen jedes Wochenende Igrankas – Tanzveranstaltungen –, die gefeiert werden wollten. Bei den Pseudo-Discos, die gerne in hellen Turnhallen über die Bühne gingen, durften Festbänke nie fehlen. Als Jugo-Kind hast du du also irgendwann unter Bänken und Tischen geschlafen, während deine Eltern auf diesen tanzten. Ich bin überzeugt, dass der Jugo, der wegen Kindern auf eine Party verzichtet, bis heute nicht geboren wurde. Ich find das super so. Und bin der schweren Überzeugung, dass keine(r) zu klein ist, um Disco-Queen oder -King zu sein. Pardon, KESB!
Was Aromat für den Schweizer ist, ist Vegeta für den Balkaner. Einfach mal tausend. Kein Gericht, über das der Balkaner keine gefühlte Tonne Vegeta kippt. Dass er mit spätestens 30 einen zu hohen Cholesterinwert hat, ist ihm egal. Das Vegeta-Business erkannt hat auch Coop, der in ausgewählten Filialen die Gewürzmischung in der blauen Packung anbietet. High five, Coop!
Um kurz bei der Kulinarik zu bleiben und um möglichst schnell zum Punkt zu kommen: Hast du noch nie Ajvar gegessen, tu es jetzt. Die ölige Peperoni-Paste kriegst du auch in ausgewählten Coop-Filialen oder im 24-Stunden-Shop an der Langstrasse in Zürich. Da gibt's sogar den besten. Ajvar kannst du super zu Fleisch essen. Quasi als Ketchup-Ersatz. Oder du machst es wie meine Landsleute und ich und nutzt das Zeug auch als Pasta-Sauce, Brotaufstrich oder löffelst es direkt aus dem Glas. Ja, wenn wir lieben, dann exzessiv. O du mein heiliger Ajvar.
Zoggeli nannten meine Schweizer Kinder-Gspänli die Holz-Pantoffeln meiner Mutter, die sie nicht primär besass, um sie zu tragen. Nein, im Jugo-Haushalt gehört es zur Erziehung, Kinder mit Papuce zu jagen und so zu tun, als würde man ihnen das Füdli damit versohlen. Hat mich nie beeindruckt. Ich war sowieso immer schneller und flinker als Mama. Da hätte die Gute schon früher aufstehen müssen. Fun-Fact: Vor drei Jahren hat mir Mom ihre roten, quasi neuwertigen Zoggeli geschenkt. Diese trage ich mit viel Liebe schon den dritten Sommer durch.
In meiner Familie trinkt fast keiner Wasser. Entweder wir konsumieren Alkohol oder Süssgetränke. Der angeheiratete Mann meiner Cousine weiss Gott wievielten Grades brachte es letztens auf den Punkt: «Das Leben ist zu kurz, um geschmackloses Wasser zu trinken.» Wenn wir also nicht gerade Bier, Kaffe oder Rakija kippen, dann schütten wir uns mit Süssgetränken voll. Allen voran Cockta. Die Limo war das erste kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränk Jugoslawiens und verbreitete sich ab 1953 von Slowenien aus im ganzen Land. Wer da nicht wehmütig wird, hat kein Herz. Cockta gehört in den Jugo-Kühlschrank wie der Mercedes in die Garage und die Papuce ins Schuhgestell.
Ach.
Kindheit, du fabelhafte Zeit!
Eure Ludmila