Latinos trinken gerne einen über den Durst. In Mexiko ist es besonders einfach, sich für einen feucht-fröhlichen Abend auszurüsten: Es gibt Drive-in-Garagen, wo einem Corona und Tequila direkt ins Auto eingeladen werden.
«Was? Bei euch gibt es kein Meer?» Viele Latinos können es kaum glauben, wenn wir ihnen sagen, dass die Schweiz nicht ans Meer grenzt. Einige sind geschockt, andere schauen uns mitleidig an im Sinne von: «Wie könnt ihr so nur überleben?!» Die Reaktionen kommen nicht von ungefähr: In Nord- und Südamerika haben nur zwei Länder keinen Meeranschluss, Bolivien und Paraguay. Weltweit gibt es 44 Binnenstaaten.
Coca Cola wird weltweit getrunken, aber in Lateinamerika sind die Menschen dem Süssgetränk besonders verfallen. Wen wundert's: Vielerorts ist ein Liter Coca Cola billiger als ein Liter Wasser. Mexiko hat pro Kopf gar den höchsten Coca-Cola-Konsum der Welt. Schlagzeilen machen zwar nur die Drogentoten, an Diabetes sterben in dem Land aber deutlich mehr Menschen. Oder anders ausgedrückt: Nicht nur das weisse Coke kann tödlich sein.
Wer wissen will, wie weit etwas entfernt ist, oder wo man etwas findet, dem empfehle ich in Lateinamerika die Internet-Recherche. Im ersten Moment ist man zwar immer erfreut, wenn die Marktfrau sagt, dass der gesuchte Ort nur «dos cuadras» (zwei Querstrassen) entfernt ist. Wenn dann aber der Nächste und Übernächste, den man fragt, wieder von «dos cuadras» spricht, wird es irgendwann mühsam. Und auch wenn man die Einheimischen fragt, wie lange es dauert, um in die nächste Stadt zu kommen, unterscheiden sich die Angaben gut und gerne um zwei, drei Stunden.
In der Schweiz lernt jedes Kind: Christoph Kolumbus hat 1492 Amerika entdeckt – ein Kontinent, auf dem es zuvor nicht viel gab. Wie absurd und arrogant diese Geschichtsvermittlung ist, wird einem so richtig bewusst, wenn man vor den beeindruckenden Stätten der verschiedenen amerikanischen Urvölker steht oder die Nachfahren der Inkas, Mayas und Zapoteken kennenlernt.
Dank König Fussball ist unser Grenzübertritt nach Kolumbien ein Selbstläufer: Der Grenzbeamte rennt im gelben Trikot der Nationalmannschaft ins Büro, haut hastig den Einreisestempel in unsere Pässe und sagt grinsend: «Willkommen in Kolumbien. Ich muss bereits wieder, die zwei Halbzeit fängt gleich an!» Er spricht vom WM-Qualifikationsspiel gegen Bolivien ... Einen Monat später erleben wir hautnah mit, wie fanatisch die Kolumbianer sind, wenn es ums runde Leder geht. Die Anhänger von Independiente Medellín singen im Spiel gegen Deportes Tolima 90 Minuten lang aus voller Kehle. Ihr Gesang verstummt nicht einmal, als ihre Mannschaft ein Gegentor erhält. So etwas habe ich noch nie gesehen – und ich bin in Europa schon in so manchem Fussballstadion gewesen.
In Gebieten, in die sich nur wenige Touristen verirren, empfangen uns Kinder oft mit «Gringos, Gringos!»-Rufen. Anfangs habe ich jeweils klargestellt, dass wir keine Gringos sind, da wir aus Europa und nicht aus den USA kommen. Der Guatemalteke Diego, der auf einer Kaffeeplantage schuftet und mit dem wir uns eine Pick-up-Ladefläche teilen, erklärt uns dann aber, dass für ihn alle Weissen Gringos seien – egal, von wo sie stammen. Zudem haben mir mehrere Leute versichert, dass Gringo nicht abwertend gemeint sei. Zumindest nicht immer.
In der Schweiz sind Telefonkabinen den Handys zum Opfer gefallen. An einigen Orten Lateinamerikas dagegen hat zumindest das Prinzip der Telefonkabinen überlebt: Läden und Strassenverkäufer stellen gegen Bezahlung ihr Mobiltelefon zur Verfügung, damit auch jene Leute telefonieren können, die sich kein Handyabo leisten können.
Während in der Schweiz viele einen Inländervorrang fordern, werden in Lateinamerika Inländer diskriminiert – zumindest beim Autostöppeln. Unzählige Fahrer sagen uns, dass sie uns nur mitgenommen hätten, weil wir offensichtlich Touristen seien. Bei ihren eigenen Landsleuten würden sie dagegen nie im Leben anhalten. «Viel zu gefährlich!», sind sie überzeugt.
Im Journalismus werden weltweit Stellen abgebaut. Im kolumbianischen Fernsehen dagegen laufen ständig Werbespots, in denen die Zuschauer dazu ermuntert werden, Journalist zu werden. Kolumbien, ein Paradies für Journalisten? Mitnichten, die vielen freien Stellen lassen sich wohl eher mit der Ländereinschätzung von «Reporter Ohne Grenzen» erklären: «Journalisten sind in Kolumbien massiven Anfeindungen, Drohungen und Angriffen von Kriminellen und Paramilitärs, aber auch von Politikern und Sicherheitsbehörden ausgesetzt.»
In Südamerika muss niemand davon überzeugt werden, dass die globale Erwärmung eine Gefahr ist für uns Menschen. Ein Fahrer nach dem anderen klagt über die verheerenden Wetterkapriolen der letzten Jahre. In der kolumbianischen Stadt Mocoa sowie an der peruanischen Küste bekommen wir die dramatischen Folgen von Unwettern und Schlammlawinen gar mit eigenen Augen zu sehen.
Wir sitzen in Mittel- und Südamerika in mehreren Lastwagen, die hunderte Kilometer weit fahren, ohne etwas zu transportieren. Für uns ist das gut, ohne Ladung ist ein LKW je nach Strecke fast doppelt so schnell. Wirtschaftlich machen solche Leerfahrten aber wenig Sinn. Wann kommt die Uber-App für LKWs?
Wer in Lateinamerika unterwegs ist, muss sich an den Anblick von Waffen gewöhnen. In Mexiko sitzen die Polizisten mit Maschinengewehren in der Hand auf Pick-up-Ladeflächen. In Guatemala und El Salvador steht bei jedem Supermarkt ein Typ mit einer Pumpgun. Und in Kolumbien findet sich an jeder Autobahn-Zahlstation ein Mann mit einer grossen Knarre. Mich schüchtert das eher ein, als dass es mir ein Gefühl von Sicherheit verleiht.
Costa Rica rühmt sich damit, dass ein Viertel des Staatsgebiets unter Naturschutz steht. Und tatsächlich: Die Tier- und Pflanzenwelt des Landes ist aussergewöhnlich. Was die Bezeichnung «Nationalpark» oder «Wildtierreservat» aber genau mit sich bringt, ist mir ein Rätsel. Denn während in einem Nationalpark nur geführte Wanderungen erlaubt sind, wird im nächsten Werbung gemacht für Kanufahren, Wildwasserrafting, Ziplining und Quad-Touren. Im Wildtier Reservat Caño Negro wiederum treffen wir mit unserem Motorboot auf eine Touristengruppe, die am Fischen ist.
Die Latinos lieben Musik. Immer. Überall. Und vor allem extrem laut. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, in Lateinamerika eine Bar zu finden, in der man mit seinem Gegenüber in normaler Lautstärke quatschen kann.
Die sagenumwobene Panamericana ist meiner Meinung nach nicht mehr als ein gelungener Marketinggag. Dass Strassen von einem Land ins andere führen ist kein achtes Weltwunder, sondern die normalste Sache der Welt. Von Winterthur führt auch eine Strasse nach Kapstadt oder nach Shanghai. Aber leider wurde es bisher verpasst, diesen Routen einen reizvollen Namen zu verpassen. Dabei ist man auf diesen Strecken nicht einmal aufs Schiff angewiesen – im Gegensatz zur Panamericana zwischen Panama und Kolumbien.
Das Klischee stimmt: Die Latinos haben den Rhythmus im Blut. In den Bars und Clubs bewegen sich alle so, als hätten sie ein Tanzstudium hinter sich. Und in der mexikanischen Stadt Hermosillo erhalten wir von unseren Barbekanntschaften, die uns zu sich nach Hause einladen, ein Privatkonzert mit Geige und Gitarre. Hätten wir gefragt, hätte bestimmt auch noch jemand eine Querflöte ausgepackt.
Die Latinos, insbesondere die Kolumbianer, sind extrem stolz auf ihre Frucht- und Gemüsevielfalt. Zu Recht: Ich habe in den letzten Monaten zahlreiche Dinge gegessen, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Ich durfte unter anderem rote Bananen, Baumtomaten, Cherimoya, Guaven, Inga- und Lulofrüchte, Süsse Granadillas sowie Tamarinden probieren.
Die gelben US-Schulbusse, die dank der TV-Serie Simpsons jedes Kind kennt, verbringen die letzten Jahre ihres Lebens in Lateinamerika. Es erwartet sie dort aber kein tristes Ende, sondern ein zweiter Frühling: Aufgepimpt und mit farbigen Graffitis verziert, verrichten sie ihren Dienst im Personenverkehr.
«Kein Problem.» «Kein Stress.» «Keine Sorge.» Das Wort «tranquilo» lässt sich nicht eins zu eins übersetzen. Genau deshalb ist es für mich der Begriff, der das Lebensgefühl beziehungsweise die Lebenseinstellung vieler Latinos am besten beschreibt. Vor allem in Kolumbien kommt kaum eine Unterhaltung ohne mindestens ein «tranquilo» aus.
In ganz Lateinamerika begegnen uns immer wieder Schuhpaare, die zusammengebunden an einem Stromkabel hängen. Ein Fahrer erklärt uns, dass Strassengangs damit ihr Territorium markieren. Es gibt aber auch die Theorie, dass so signalisiert wird, wo es welche Drogen zu kaufen gibt. Oder auch, dass damit verstorbenen Gangmitgliedern gedenkt wird. Ein Taxifahrer in Medellin will von all dem nichts wissen. Für ihn ist das Phänomen ganz einfach «una locura!» (eine Verrücktheit).
Wenn wir in Mexiko sagten, dass wir Schweizer seien, reagierten mehrere Fahrer so: «Ah, Vaca Suiza!» («Schweizer Kuh!») Zweimal, als wir in den Bergen unterwegs waren, zeigten sie dabei auf schwarz-weisse Milchkühe auf den Feldern. Mit der Zeit waren wir deshalb überzeugt davon, dass diese schwarz-weissen Rinder Vaca Suiza heissen und ihre Wurzeln in der Schweiz haben. Carlos, halb Kolumbianer, halb Deutscher, belehrt uns aber eines Besseren: «Das sind Holstein-Rinder, die leistungsstärksten Milchkühe der Welt. Sie stammen ursprünglich aus Deutschland.» Und als ob damit nicht schon genug patriotische Heimatgefühle verletzt wären, müssen wir am gleichen Tag auch noch erkennen, dass sich Kühe auch unter Palmen pudelwohl fühlen.
48c1c6c52433283b2394. So lautet das Wifi-Passwort in einer Pension im kleinen salvadorianischen Dörfchen Alegria. Und es ist längst nicht die einzige Unterkunft in Lateinamerika, die auf einen FBI-sicheren Internet-Zugangscode setzt. Ein einfaches Passwort wie «hotelkrone2017» genügt offenbar nicht mehr...
In (zu) vielen Ländern tun sich Restaurants schwer, in der Menükarte die echten Preise zu nennen. Einmal wird noch ein obligatorisches Trinkgeld draufgeschlagen, ein andermal sind irgendwelche Steuern und Abgaben noch nicht im Preis enthalten. Es ist ein Wunder, dass die Miete für die Immobilie nicht auch noch separat verrechnet wird. Echte Realsatire bietet aber ein Restaurant in Costa Rica. Dort heisst es ganz unten auf der Menükarte: «Precios no incluye 10%» («Preise beinhalten nicht 10%»).
Ein «Yogurtito» ist ein kleines Joghurt. Das ist kein besonders geläufiger Begriff im Spanischen, aber es gibt ihn. Genau gleich wie es fast alle anderen Wörter mit der Endung «-ito» oder «-ita» gibt. Mich erinnert das sehr an unsere Mundart: «Casita» ist ein «Hüsli». «Cafesito» ein «Käfeli». «Momentito» ein «Momentli». Und «Pueblito» ein «Dörfli».
Von meinem Gepäck, mit dem ich vor zwei Jahren losgezogen bin, ist vieles nicht mehr da: Schuhe, Jeans und Pullover habe ich verschenkt, als Temperaturwechsel anstanden. Pass, Schlafsack und Mikrofaser-Handtuch gingen verloren. Vor ein paar Wochen ist mir der dritte (!) E-Reader kaputtgegangen. Und auch meine Handy- und Laptop-Bildschirme haben mehr als nur ein paar Kratzer. Dass nun sogar mein Gurt zu reissen droht, sehe ich als Zeichen, dass es langsam Zeit ist, die Heimreise anzutreten. Das ist mein letzter Halbjahresrückblick von A bis Z. Ende Juli geht es aufs Schiff nach Spanien und von dort auf direktem Weg in die Schweiz. Ich freue mich!