38 Länder, 672 Fahrer, 54'000 Autostopp-Kilometer: Ich stehe seit 18 Monaten an den Strassenrändern dieser Welt und schreibe an dieser Stelle Woche für Woche über spannende Menschen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin. Heute möchte ich ein paar Dinge loswerden, die mir im vergangenen halben Jahr in China, Südkorea, Japan, Kanada, den USA und Mexiko aufgefallen sind:
Die Kickbox-Legende aus dem Aargau ist in Japan nach wie vor ein Begriff. Wenn ich jeweils sagte, dass ich aus der Schweiz sei, reagierten mehrere Leute so: „Ah, Andy Hug!“
„It's a bubble!“ („Es ist eine Blase!“). Diesen Satz hörte ich oft, wenn ich an der US-Westküste mit jemandem über eine sichere, wohlhabende Nachbarschaft oder Kleinstadt sprach. In keinem anderen Land habe ich die Schere zwischen Arm und Reich so gross, brutal und augenfällig empfunden wie in den USA. Da kann höchstens China mithalten, die sozialistische Volksrepublik...
Was gibt es Schöneres, als die pure Wildnis zu erleben – mit Sofa, Fernseher, grosser Küche und luxuriösem Badezimmer. Ich habe kein Problem mit den amerikanischen XXL-Wohnmobilen. Es geht mich auch nichts an, dass einige sogar ihren Geländewagen hinter sich herziehen. Aber es soll bitte niemand von Camping sprechen.
Brian, Bruno, Engi, Keane, Ron und Ruedi haben etwas gemeinsam: Sie haben ein Haus in Kanada – und sie haben es mit ihren eigenen Händen gebaut, erweitert oder zumindest renoviert. Die Do-it-yourself-Mentalität in der „neuen Welt“ lebt nach wie vor.
Globalisierung ist oft ein etwas unfassbarer Begriff. Auf dem Frachtschiff von China nach Kanada erlebe ich eine Facette davon aber ganz konkret: Alle Europäer auf dem Schiff wissen, dass sie in den nächsten Monaten ihren Job verlieren werden. Der Grund: Die Reederei fährt in Zukunft nicht mehr unter deutscher Flagge. Stattdessen setzen die Eigner vollständig auf asiatisches Personal. Das ist billiger.
Ich habe selten so guten Fisch gegessen wie in Südkorea und Japan. Die unglaubliche Frische hat allerdings ihren Preis: Auf dem Markt im koreanischen Busan werden Aale bei lebendigem Leibe gehäutet und eine Krabbe läuft erst noch munter durch das Restaurant, bevor sie im heissen Topf landet. Definitiv nichts für Tierliebhaber.
Das Friedensmuseum in Hiroshima, das an den US-Atombombenabwurf im 2. Weltkrieg erinnert, macht nachdenklich. Nicht nur, weil man sich fragt, wie wir Menschen zu so etwas fähig sind, sondern auch, weil die Japaner über ihre Verbrechen im 2. Weltkrieg kein Wort verlieren. Es wird folgender Eindruck vermittelt: „Und dann war da plötzlich diese Atombombe - aus dem Nichts!“
Wer in Asien unterwegs ist, begegnet früher oder später Hakenkreuzen. Mit Nationalsozialismus hat das aber nichts zu tun. Das Hakenkreuz – die richtige, ursprüngliche Bezeichnung lautet Swastika– ist im Buddhismus ein wichtiges, jahrhundertealtes Symbol, das je nach Region eine andere Bedeutung hat.
Ich bin in den USA vielen kreativen Köpfen begegnet, die einem eintönigen Teilzeitjob nachgehen, um über die Runden zu kommen. Sie könnten mehr Geld machen, investieren den Rest ihrer Zeit aber lieber in ihre Leidenschaft, ihren Traum. Sie glauben daran, mit ihrer Startup-Idee, ihrer Musik oder ihren selbstgemachten Kunstgegenständen eines Tages den Durchbruch zu schaffen. Es wundert mich deshalb nicht mehr, dass die bahnbrechenden Innovationen der letzten Jahrzehnte aus den USA stammen.
In der Schweiz ist Joggen die normalste Sache der Welt. Hier im Norden Mexikos werden meine Freundin Lea und ich dagegen beäugt wie Ausserirdische, wenn wir durch die Stadt rennen. In einigen Regionen Chinas und Südostasiens wäre es noch schlimmer. Sport als Hobby ist längst nicht überall so verbreitet wie bei uns.
Auf der turkmenischen Botschaft im Iran treffe ich auf einen Westschweizer, im Hinterland von Laos laufe ich per Zufall zwei Freunden aus dem Thurgau über den Weg und im kanadischen Watson Lake stellt sich heraus, dass der deutsche Weltumrunder, der mir einen Übernachtungstipp gibt, auf dem genau gleichen Frachtschiff war wie ich – einfach ein paar Wochen zuvor. Die grosse, weite Welt ist manchmal eben doch ein Dorf.
In Alaska gehört ein eigenes kleines Flugzeug zum guten Ton. Ob zum Jagen, Fischen oder Freunde besuchen – wer nicht stundenlang im Auto oder Quad sitzen will, fliegt ganz einfach. Als Start- und Landebahn dient der See hinter dem Haus.
An der U-Bahn-Station in China passt einer auf, dass niemand aufs Gleis springt. Der Besuch einer japanischen Tankstelle gleicht einem Boxenstopp in der Formel 1, aussteigen muss hier niemand. Auf den unzähligen Baustellen in Alaska und dem Norden Kanadas gibt es immer menschliche Ampeln sowie Safety-Cars, die sich um die Autokolonne kümmern. In der Schweiz wären all diese Jobs undenkbar, da viel zu teuer. Die Rationalisierung scheint bei uns weiter fortgeschritten als in anderen Industrieländern wie Japan, Kanada und den USA.
Ob bei einem Hobby-Autorennen in einem kleinen Kaff in Alaska oder bei einem NBA-Basketballspiel im kalifornischen Oakland: Bevor das Spektakel beginnt, erheben sich alle, um der live vorgesungenen Nationalhymne zu lauschen. Patriotismus wird in den USA gross geschrieben.
Es ist wohl nicht repräsentativ für die ganzen USA, aber an der Westküste sind Restaurants mit glutenfreiem Essen hoch im Kurs. Den Slogan „gluten-free“ lese ich Dutzende Male. Wetten, dass in Zukunft auch in Schweizer Städten vermehrt Menus „ohne Gluten“ angeboten werden? Übrigens: Gluten ist ein Stoffgemisch aus Proteinen, das im Samen einiger Getreidearten vorkommt. Einige wenige dürfen Gluten nicht essen, weil sie allergisch sind dagegen. Die meisten verzichten aber freiwillig darauf, weil sie sich davon eine bessere Gesundheit versprechen.
Raum ist im dicht besiedelten Japan ein knappes Gut – vor allem in den Grossstädten. Die Japaner wären aber keine Japaner, wenn sie für das Problem nicht innovative Lösungen finden würden: Vollautomatisierte Parktürme, in denen die Autos auf engstem Raum aufeinander gestapelt werden, sind im Land der aufgehenden Sonne genauso verbreitet wie Kapselhotels mit Setzkasten-Betten.
Für jene, die jetzt nach Japan reisen wollen, um einen Parkturm oder ein Kapselhotel zu testen, habe ich einen wichtigen Hinweis: Japanische Stadtkarten sind nicht wie bei uns nach Norden, sondern immer in die Blickrichtung ausgerichtet. Hätte mir das jemand vor meinem Japan-Besuch gesagt, hätte ich mir einige Umwege ersparen können.
Wer sich ein glücklicheres, längeres Leben erhofft und ein bisschen Geld übrig hat, ist im japanischen Kyoto am richtigen Ort: Hier gibt es im berühmten buddhistischen Tempelkomplex Kiyomizu-dera kleine Anhänger zu kaufen, die grosses Seelenwohl versprechen. Schon praktisch, diese Religionen.
Während in US-Grossstädten an jeder Ecke getanzt oder musiziert wird, gelten in vielen Schweizer Städten strenge Vorschriften für Strassenkünstler. In Winterthur müssen Strassenmusiker gar bei der Stadt zum Casting antraben, bevor sie für Unterhaltung sorgen dürfen. Ich werde die unerwartete, oft erstaunlich gute Unterhaltung vermissen, wenn ich wieder zu Hause bin.
Amerikanische Kleinstädte sind für Autos gebaut. Wer zu Fuss irgendwohin will, ist auch in kleinen Ortschaften oft lange unterwegs. Autofreie Fussgängerzonen mit gemütlichen Cafés sucht man zudem meist vergeblich.
Wer in die USA fliegt, wird am Flughafen in der Regel von einem misstrauischen Grenzbeamten ins Verhör genommen. Wer das verhindern will, sollte wie ich in Kanada einschiffen, dann per Autostopp nach Alaska reisen und später mit der Fähre von Vancouver nach Seattle fahren. Ich musste bei meiner Einreise in die USA kaum eine Frage beantworten.
Eine Kartonbox reicht nicht, zusätzlich muss jeder einzelne Schokoladenkeks luftdicht in ein Plastiktütchen verpackt sein. Und wer sich im Supermarkt nicht aktiv dagegen wehrt, erhält für sein Kaugummi-Päckcken einen riesigen Plastiksack. Ich bin kein Grüner, aber in einigen Ländern scheinen sie das mit der Ressourcenverschwendung wirklich absichtlich zu machen.
Ein Park in Japan: Eine junge Frau im schicken Sonntagskleidchen führt ihren gesunden, ausgewachsenen Hund im Kinderwagen Gassi. Ja, im Kinderwagen. Und nein, ein Kind hatte sie nicht dabei. Da fällt mir nur das Zitat von Albert Einstein ein: Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.
Wenn mich jemand fragt, was ich am 11. August 2016 gemacht habe, muss ich zurückfragen: „Beim ersten oder beim zweiten Mal?“ Ich bin an diesem Tag nämlich mit dem Frachtschiff über die Datumsgrenze im Pazifik gefahren und habe ihn deshalb zweimal erlebt: zwei Sonnenaufgänge, zweimal Frühstück, zweimal Mittagessen, zweimal Abendessen, zwei Sonnenuntergänge. Theoretisch weiss ich zwar, wie das Ganze funktioniert, aber irgendwie finde ich es trotzdem ein bisschen komisch.
Japan ist das erste Land, das ich als besser organisiert wahrnahm als die Schweiz: Strassen, Plätze und Parks sehen aus wie geleckt, die Züge in Tokyo fahren auf die Minute genau und die Passagiere warten in einer Reihe, damit sie geordnet einsteigen können. Ich weiss, das hat alles nichts mit der Yakuza, der japanischen Mafia, zu tun. Aber Japan schreibt sich nun einmal nicht mit einem Y. Ordnung muss sein.
Gegen das Rauchen wird in allen Industrieländern mit harten Bandagen gekämpft. Manchmal sieht die Anti-Tabak-Lobby vor lauter Zigaretten aber das Ziel nicht mehr: Hiroshima zum Beispiel hat die ganze Innenstadt zur rauchfreien Zone erklärt. Um die Raucher aber doch noch zum Zug kommen zu lassen, wurde ein Raum errichtet, in dem gepafft werden darf. Rauchen okay, aber bitte nur drinnen. Da qualmt mein Kopf.