Lonely Planet und Reisewebsites sind sich einig: Ein Myanmar-Besuch ist unvollständig ohne Zugfahrt. Mein Kumpel Tschügge und ich haben den Autostopp-Daumen diese Woche deshalb für ein kurzes Teilstück eingepackt und sind auf die Bahn umgestiegen.
Für die rund 150 Kilometer lange Strecke von der Kleinstadt Thazi an den Inle Lake, den berühmtesten See Myanmars, brauchte der Zug mehr als elf Stunden. Bei diesem Tempo hat man Zeit, sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu beschäftigen.
Zum Beispiel mit der Frage, was besser ist, Zugfahren in der Schweiz oder in Myanmar? SBB vs. Myanmar Railways – ein knallharter, topseriöser Vergleich:
Eine Online-Buchungsplattform für Myanmar-Zugtickets gibt es nicht, auf die Idee, das Billett über das Smartphone zu kaufen, kommt hier niemand, und einen Billettautomaten suchen wir am Bahnhof ebenfalls vergeblich.
Mehr noch, es ist nicht einmal möglich, das Ticket am Vorabend am Schalter zu reservieren. Wir müssen am nächsten Morgen eine halbe Stunde vor dem Abfahrtstermin nochmals antraben.
Doch zumindest bleibt es uns so erspart, wie in der Schweiz ratlos vor dem Billettautomaten zu stehen und uns mit schweissnasser Stirn zu fragen, für welche der sieben Via-Optionen wir uns entscheiden sollen.
Der erste Punkt geht deshalb an Myanmar Railways.
Am ganzen Tag fahren gerade mal zwei Züge an unseren Zielort. Damit könnte ich noch leben. Dass diese jedoch um 5.00 beziehungsweise 7.00 Uhr morgens angesetzt sind, finde ich als Bettliebhaber überhaupt nicht lustig. Zumal uns der Inhaber unseres Guesthouses sagt, dass der zweite Zug oft mehrere Stunden Verspätung habe – und manchmal gar nicht komme.
Um auf Nummer sicher zu gehen, müssen wir deshalb um 4.30 Uhr am Bahnhof sein. Das ist für mich eine Uhrzeit, zu der man nur auf dem Perron stehen sollte, weil die Nacht immer lustiger und länger geworden ist.
Ein Hoch also auf den Halbstundentakt – und einen Punkt für die SBB.
Wir gönnen uns ein 1.-Klasse-Ticket für 3000 Kyat (2.50 Franken), in der 2. Klasse hätten wir für die 150 Kilometer lange Fahrt gar nur 1300 Kyat (1.10 Franken) bezahlt. Für dieses Geld kommt man in Zürich nicht einmal vom Hauptbahnhof zum Stadelhofen. Ein klarer Sieg also für Myanmar Railways?
Nicht für mich als ehemaligen Hardcore-Pendler. Da ich in Winterthur wohnte, in Aarau arbeitete, regelmässig meine Familie in der Ostschweiz besuchte und beruflich manchmal nach Bern, Basel oder Genf musste, fuhr ich pro Jahr rund 35'000 Zugkilometer. Mit dem 1.-Klasse-GA (5970 Franken) macht das 17 Rappen pro Kilometer. Die Fahrt in Myanmar war pro Kilometer zwar noch immer über zehnmal günstiger (1,6 Rappen), weil ich aber auch über zehnmal mehr verdiente als die meisten Myanmaren, geht der Preisvergleich an die SBB.
Exakt um 5.04 Uhr setzt sich unser Zug in Bewegung und rattert in die Dunkelheit. Wie oft wäre ich in der Schweiz schon überglücklich gewesen über eine vierminütige Verspätung, das täte doch niemandem weh! Allzu oft stand ich schon keuchend und durchgeschwitzt auf dem Perron und musste dem Zug hinterher schauen, der sich kurz nach dem Springen des Uhrzeigers in Bewegung gesetzt hatte.
Ich bin deshalb ein Befürworter gemässigter Pünktlichkeit und gebe den Punkt Myanmar Railways.
Wifi in Zügen gibt es in Myanmar genauso wenig wie in der Schweiz. Eigentlich hätte deshalb niemand einen Punkt verdient. Weil ich in Myanmar aber nicht einmal Handyempfang hatte, geht dieser Punkt an die SBB – zumal sich zumindest in den Fernzügen der Internetzugang spürbar verbessert hat.
Wie bereits erwähnt, bin ich kein Morgenmensch. Und dass ich von Winterthur nach Zürich Tag für Tag stehen musste, trug jeweils nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben. Selbst als ich mir irgendwann ein 1.-Klasse-GA zugelegte, war es nie ganz einfach, in den Stosszeiten einen Sitzplatz zu finden.
In Myanmar fällt dieser nervenaufreibende Kampf weg: Ein Bahnangestellter weist uns unsere nummerierten Sitze zu und wir geniessen unbeschwert die Beinfreiheit sowie die verstellbare Rückenlehne.
Punkt für Myanmar Railways.
Gegen das Essen und Trinken in den SBB-Speisewagen ist nichts einzuwenden – abgesehen davon, dass die Auswahl beschränkt ist und ein Mittagessen auf Schienen in der Schweiz kräftig ins Geld geht. Ein Mineralwasser (5 dl) kostet 5.40 Franken, ein kleines Bier (3,3 dl) 5.50 Franken, Ravioli 15.90 Franken und Züri Geschnetzletes 27.90 Franken.
In Myanmar könnte man sich für dieses Geld all die vollgestopften Körbe kaufen, welche die Verkäuferinnen, die bei jedem Halt vor den offenen Zugfenstern auftauchen, anbieten. Die Auswahl ist riesig: Sie haben Getränke, Früchte, Chips und auch zahlreiche warme Speisen wie zum Beispiel Frühlingsrollen.
Für die gelungene Privatisierung der Bahngastronomie gibt es deshalb einen Punkt für Myanmar Railways.
Zu Beginn der Fahrt dröhnt eine volle Stunde lang eine monotone Stimme aus dem Lautsprecher, die mich wegen der schlechten Tonqualität an John F. Kennedys Rede «Ich bin ein Berliner» erinnert.
Was uns die Stimme mitteilen will, kann ich aufgrund meiner mangelnden Birmanisch-Kenntnisse nicht sagen. Auf jeden Fall ist es nervig – vor allem in dieser Herrgottsfrühe.
In der Schweiz sind die unzähligen Verweise auf «Stellwerkstörungen» zwar auch mehr Aufreger denn Besänftiger. Dafür liebe ich es, wenn sich die Lautsprecher-Stimme gar für eine Verspätung von zwei Minuten entschuldigt, jeden erdenklichen Anschlusszug nennt und das Ganze auch noch auf Französisch und Englisch wiederholt. Diese Durchsagen zeigen einem Fremden innert kürzerster Zeit, wie die Schweiz tickt.
Dicker Punkt für die SBB!
Schon klar, die SBB müssen sparen. Doch wieso sie das ausgerechnet bei den Mülleimern tun, ist mir ein Rätsel. Selbst wenn man nur ein leeres Kaugummi-Päckchen entsorgen will, muss man zuerst immer noch eine Red-Bull-Dose oder eine Pet-Flasche zusammendrücken, weil es sonst keinen Platz hat im faustgrossen Kübel.
Die Myanmaren kennen solche Sorgen nicht: Ob Bananenschale, Bierdose oder Plastiksack – alles wird sorglos aus dem offenen Zugfenster geschmissen. Aus den Augen, aus dem Sinn, so einfach könnte das Leben sein.
Dieses nachhaltige Entsorgungskonzept gibt den nächsten Punkt für Myanmar Railways.
Ein Gang auf die Zugtoilette ist wohl nirgends auf der Welt eine Kür, das ist auch in Myanmar nicht anders. Positiv ist hier aber, dass es Stehtoiletten hat, die man wieder verlassen kann, ohne sich hinsetzen zu müssen – egal, ob grosses oder kleines Geschäft. Das dürfte vor allem das weibliche Geschlecht freuen.
Ich als Mann gebe den Punkt aber trotzdem den SBB. Und zwar weil ich mich beim Anblick der exotischen Tapeten in Schweizer Schnellzügen immer gleich in den Ferien wähne – und den beissenden Geruch um mich herum völlig vergesse.
Wer hätte das gedacht, nach zehn Vergleichsrunden liegt Myanmar Railways mit den SBB gleichauf. Weil ich aber kein Fan bin von Unentschieden, füge ich spontan eine Kategorie hinzu: die Kunden. Bei diesen springen die Unterschiede mindestens so stark ins Auge wie bei den Bahnunternehmen.
Wenn der Zug in Myanmar an einem Bahnhof ohne erkennbaren Grund eine halbe Stunde wartet, obwohl er ohnehin schon eine Stunde Verspätung hat, scheint sich niemand daran zu stören. In der Schweiz dagegen werden die Leute schon nervös und ungeduldig, wenn der Zug zwei Minuten später kommt.
Ich will auch nicht wissen, was sich ein Kondukteur in der Schweiz anhören müsste, wenn im Hochsommer die Klimaanlage ausfallen würde. In Myanmar dagegen zuckt mein Gegenüber nur mit den Schultern, als der Ventilator über seinem Kopf nicht will. Und das bei Temperaturen um die 40 Grad.
Der letzte Punkt – und somit der Sieg – geht deshalb an die SBB. Weil sie sich Tag für Tag kritisieren lassen müssen von so Tüpflischissern wie mir, die spätestens im Ausland merken, was für einen super Job die SBB-Angestellten tagtäglich machen. Vielen Dank!
Zurück nach Thazi ging es vom Inle Lake dann mit dem Bus in etwas mehr als drei Stunden. Von Thazi ging die Reise dann wieder wie gehabt per Autostopp weiter. Es entstand also keine Autostopp-Lücke. Das interessiert wohl kaum jemanden, aber mir ist es wichtig. ;-)