Wir Menschen sind clevere Wesen, ohne Zweifel. Wo ein Vorteil lauert, greifen wir meist mit fester Hand zu. Wir nutzen alle Tricks und Instrumente, um Wohlsein und Wohlstand zu optimieren. Auch Glauben, Religion und Spiritualität gehören zum Repertoire.
Zwei Beispiele: Die Ideologie des positiven Denkens nach Joseph Murphy erklärt, alles sei Energie, auch die Materie. Und diese Energie lasse sich mit unserem Geist beeinflussen.
Konkret, wenn wir unser Bankkonto geistig «füttern» und jeden Abend vor dem Einschlafen visualisieren, wächst es zwangsläufig, behauptet Murphy. Ohne auch nur den kleinsten Beitrag per E-Banking zu überweisen. Ein esoterisches Wunder der höheren (oder gröberen) Art.
Doch nicht nur Esoteriker glauben an das Wunder der mysteriösen Vermehrung materieller Güter durch den (Aber-)Glauben, sondern auch Evangelikale in Freikirchen. Dafür haben sie einen schönen Begriff kreiert, den selbst Pastoren verwenden: Wohlstandsevangelium.
Wie dies? Ganz einfach. Gott belohnt die frommen Gläubigen und edlen Spender, die monatlich den zehnten Teil ihres Einkommens in den Opferstock werfen, mit materiellem Reichtum. Wie das pekuniäre Perpetuum mobile konkret funktioniert, konnte mir leider noch kein Gläubiger verraten.
Die wahrscheinlichste und nachhaltigste Möglichkeit ist sicher eine Gehaltserhöhung. Doch diese kommt nachweislich nicht von Gott, sondern vom Chef.
Nun kann man natürlich argumentieren, Gott habe den Boss beeinflusst. Oder ihm eingeflüstert, seinem frommen Sohn den Lohn aufzustocken. Pech nur, wenn der Arbeitskollege, ein unverbesserlicher Atheist, eine höhere Lohnaufbesserung bekommt, weil seine Leistung besser war.
Wir Menschen lügen uns gern in die Westentasche, weil es das Jammertal erheblich angenehmer gestaltet. Dabei nehmen wir oft auch Glauben und Gott zu Hilfe, die wir für unsere irdischen Bedürfnisse instrumentalisieren.
Wenn wir aber bei dieser Selbsttäuschung auch den letzten Rest an Vernunft und Verstand im Meer des Aberglaubens versenken, dann belügen wir uns nicht nur, sondern engen unser Bewusstsein in einer gefährlichen Weise ein. Dann drohen Wahrnehmungsverschiebung, Realitätsverlust und eine geistige und emotionale Regression, die uns zurück in unsere Pubertät katapultieren.
Schliesslich glauben wir auch nicht, dass uns Gottes Osterhase die Eier ins Nest legt.