Manche Geistliche neigen dazu, sich in geistige Sphären zu flüchten, statt sich der Alltagsrealität zu stellen. Deshalb suchen sie die heile Welt gern in ihrem Studierzimmer. Verständlich, sind sie doch Experten in Spiritualität und Botschafter Gottes auf Erden.
So erhält man oft den Eindruck, sie seien schon im Diesseits dem Himmel näher als den irdischen Gefilden. Das profane Leben voll Hass, Gier und Leiden hienieden könnte ihnen den Spass an den spirituellen Freuden verderben.
Wenig Verständnis für das schöngeistige, pfarrherrliche Gebaren hat der südafrikanische Bischof Desmond Tutu. Die Not der Menschen war ihm stets wichtiger. Da musste Gott auch einmal zurückstehen.
Der rebellische anglikanische Bischof, der eben 85 Jahre alt geworden ist, wehrte sich fortwährend gegen die Sektentendenzen in seiner Kirche und legte sich unerschrocken mit den Mächtigen dieser Welt an. Mutig prangerte er alle an, denen es primär um Macht und Reichtum ging.
Die Menschenrechte waren ihm oft wichtiger als die kirchlichen Gebote und Interessen. Seine Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit war so gross, dass er nach dem Zusammenbruch des Apartheidregimes Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission wurde. Schon 1984 erhielt er den Friedensnobelpreis.
Auch im hohen Alter ist ihm die Erde immer noch näher als der Himmel. Als die afrikanischen Bischöfe Lesben und Schwule verteufelten, wurde er fuchsteufelswild und sagte, er werde sich weigern, in einen homophoben Himmel einzuziehen. Frei nach dem Motto: Lieber ein Pakt mit dem Teufel als mit den verlogenen Geistlichen im Himmelschor zu singen.
Nun setzte der kranke Desmond Tutu noch einen drauf. In einem Artikel in der «Washington Post» gestand er einen Sinneswandel, der die schöngeistigen Kleriker einmal mehr in Rage bringt.
Bis vor kurzem war er nämlich strikt gegen die Sterbebegleitung. Die Erfahrungen seines eigenen langjährigen Leidens veränderten seine Einstellung. Deshalb schrieb der südafrikanische Bischof im Artikel, er habe sich stets für die Würde der lebenden Menschen eingesetzt. Jetzt, kurz vor dem «Abflugtermin» – so Tutu wörtlich – wolle er sich auch für die Würde der sterbenden Menschen einsetzen. Denn vielen Menschen sei ein würdevoller Tod vergönnt.
Desmond Tutu verkündet nun, er werde mit südafrikanischen und internationalen Organisationen zusammenarbeiten und das Recht auf das eigene Sterben propagieren. Denn für Patienten mit sehr starken Schmerzen sei ein «unterstützender Tod» eine grosse Erleichterung.
Die Geistlichen in ihren Studierstuben ärgern sich wohl grün und blau über ihren aufmüpfigen Kollegen. Doch eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass sie sich mit der Sterbebegleitung anfreunden können.
Wichtiger
als das Leid der Menschen ist ihnen der fragwürdige biblische Leitspruch: Gott
hat es gegeben, Gott wird es nehmen. Nämlich das Leben. Man könnte den Spruch
auch auf das Leiden anwenden: Gott hat es gegeben, Gott wird es nehmen …
Diese
Variante kommt aber selten bis nie vor.