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Per «Autostopp um die Welt» – Thomas Schlittler aus Iran

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Per Autostopp um die Welt – Woche 20
Homeparty in den iranischen Bergen: Unverpixelte Bilder und Videos kann ich euch leider keine zeigen, ich will meine iranischen Freunde nicht in Gefahr bringen.
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Per Autostopp um die Welt

Saufen, Singen, Tanzen – junge Iraner(innen!) lassen sich ihre Freiheit nicht rauben

17.10.2015, 09:5617.10.2015, 11:58
Thomas Schlittler
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Wir haben die Autofenster heruntergekurbelt und schreien aus voller Kehle «Wooohooo», «Aiaiaiaiai» oder ein wölfisches «Aaauuuuhhhh» in den iranischen Nachthimmel. Ich freue mich darauf, etwas mehr über das Leben junger Iraner zu erfahren. Bei Sherina und Kamran ist das närrische Treiben Ausdruck der Vorfreude auf drei unbeschwerte Tage – drei Tage, in denen sie trinken, tanzen und singen können, ohne ständig befürchten zu müssen, dass plötzlich die Sittenpolizei vor der Tür steht.

Wir sind auf dem Weg in die iranischen Berge, wo die Familie von Darius, einem Freund von Kamran, ein Ferienhaus besitzt. Als wir ankommen, sind Darius, seine Frau und deren Freundin bereits dabei, das Haus auf Vordermann zu bringen. Luxus sucht man hier vergeblich, doch das ist egal. Das Wichtigste ist, dass das Haus einen grossen Garten mit zahlreichen Bäumen und Sträuchern hat, der vor den Augen und Ohren der Nachbarn schützt.

Beim Aussteigen aus dem Auto befreien sich die Frauen gleich von ihren Kopftüchern.

Im Verlaufe des Abends kommen drei weitere Autos an. Insgesamt sind wir 15 Leute, acht Frauen, sieben Männer, alle um die 30. Beim Aussteigen aus dem Auto befreien sich die Frauen gleich von ihren Kopftüchern. Sie verstauen sie tief in ihren Handtaschen, wo sie die nächsten drei Tage auch bleiben. Dann gehen sich die Frauen umziehen. In der Öffentlichkeit dürfen sie sich nicht zu körperbetont kleiden. Das holen sie im privaten Raum nach, einige kommen im hautengen Fitnessdress zurück.

Die drohenden 80 Peitschenhiebe – und im Wiederholungsfall gar der Tod durch den Strick – schrecken niemanden ab.

Als Kamran und ich dabei sind, ein Feuer zu machen für das Barbecue, rufen die anderen plötzlich nach uns – sie wollen auf der Terrasse das erste Mal anstossen. Darius hat ein paar Flaschen Whiskey und Wodka besorgt, die in den kommenden zwei Nächten geleert werden sollen. Ein ungutes Gefühl scheint dabei niemand zu haben. Die drohenden 80 Peitschenhiebe – und im Wiederholungsfall gar der Tod durch den Strick – schrecken niemanden ab. Zu gering ist die Chance, erwischt zu werden. Es ist auch kein Problem, im Iran an Alkohol zu kommen. Einige brennen sich ihren Spiritus selbst, andere greifen ganz einfach zum Telefon. «Jeder kennt eine Nummer für einen Alkohol-Lieferservice», sagt mir Kamran.

Hast du eine Etappe verpasst?Hier findest du sie alle:

Ich weiss nicht, ob auch ich etwas Illegales mache, als ich den ersten Whiskey runterkippe. Einige meiner iranischen Freunde sagen, dass ich nichts zu befürchten hätte, falls die Polizei kommen sollte. Denn das Trinken von Alkohol ist im Iran nur für Muslime verboten, den christlichen und jüdischen Minderheiten im Land ist es dagegen im privaten Rahmen gestattet. Andere wiederum sind der Meinung, dass diese Ausnahmeregelung für mich im Moment nicht gelte, da ich in der Gegenwart von Muslimen trinke. Aber ob legal oder nicht – die anderen leeren ihre Gläser mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich mir nicht wirklich Gedanken darüber mache.

Auch die anwesenden Pärchen haben nicht das Gefühl, beweisen zu müssen, wie gut sie mit ihren Zungen umgehen können.

Beschwingt vom Alkohol verlagert sich die Party nach einer Weile ins Haus. Das Licht wird gelöscht und durch eine bunt leuchtende Discokugel ersetzt. Dann wird Musik aufgedreht und ausgelassen getanzt. Bei den iranischen Pendants zu «Atemlos» oder «Schatzi, schenk mir ein Foto» grölen alle mit – ausser ich. Ich kann nur bei den wenigen englischen Liedern beweisen, dass ich absolut kein Gesangstalent besitze.

Die Annäherungen zwischen den Frauen und Männern bleiben eher harmlos. Zwar wird hauteng getanzt, zu Rumknutschereien (oder mehr) kommt es aber nicht. Auch die anwesenden Pärchen haben nicht das Gefühl, beweisen zu müssen, wie gut sie mit ihren Zungen umgehen können.

Die Iraner müssen in jedem Alter mit Homepartys vorliebnehmen – aber es ist schön, zu sehen, dass sie sich diese Alternative nicht nehmen lassen.

Ab und an verschiebt sich die Meute wieder auf die Terrasse. Einige ziehen an einer Zigarette, andere an der Wasserpfeife. So vergehen die Stunden, bis sich weit nach Mitternacht die Ersten ins Bett verabschieden. Als offensichtlich wird, dass einer der männlichen Gäste deutlich zu viel getrunken hat und seine Sprüche nicht mehr ganz so lustig sind, neigt sich die Party dem Ende zu.

Als ich es mir mit meinem Schlafsack auf dem Fussboden gemütlich mache, fühle ich mich an meine frühe Jugendzeit erinnert, als wir für die meisten Clubs noch zu jung waren und Homepartys die einzige Alternative waren. Die Iraner müssen in jedem Alter mit Homepartys vorliebnehmen – aber es ist schön, zu sehen, dass sie sich diese Alternative nicht nehmen lassen.

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