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Online-Pranger: Ja oder Nein?

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Online-Pranger: Ja oder Nein?

Mittelalterliche Methoden im Kampf gegen Rassismus lassen bei der Autorin viele Fragezeichen zurück. 
15.08.2015, 17:1315.08.2015, 17:37
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Es herrscht ein Kleinkrieg im Internet. Pro Flüchtlinge vs. Contra Flüchtlinge. Links gegen rechts. Amok-Hippie gegen Nazi. Man könnte meinen, dass die Leute zwischen diesen unterschiedlichen Gesinnungen nicht mehr richtig unterscheiden können. 

Immer mehr Leute äussern sich klar gegen Hetze im Netz. Mich freut das unheimlich. Doch, und so geht es auch mir immer wieder, geraten sie oft irgendwann an den Punkt, wo sich die Frage nach dem «Wie geht man aktiv vor?» stellt. 

Ich selber habe in meiner letzten Kolumne vorgeschlagen, man solle rassistische Kommentare melden (bei Facebook oder, bei ganz üblen Fällen, bei der Koordinationsstelle für Internetkriminalität des Bundes), man solle sich klar äussern, wenn Bekannte hetzen und diese gegebenenfalls als Freunde entfernen, und man solle mit Wissen kontern. 

Kleiner Exkurs zu Punkt drei: Im Nachklang zu dieser Kolumne wurde mir mehrfach der Vorwurf der Arroganz gemacht. «Mit Wissen kontern», das bedeute soviel, wie das Gegenüber absichtlich dumm hinzustellen. Das ist aber keineswegs das, was ich meine. Ich rede von Fällen, wo Halbwahrheiten oder falsche Zahlen verbreitet werden und man mit einem Link zum Bundesamt für Statistik oder zu Wikipedia einen Hasskommentar klar widerlegen kann. Das hat mit Arroganz rein gar nichts zu tun. Dass sich das für die Person, welche die falsche Aussage gemacht hat, unangenehm anfühlt, liegt auf der Hand. Sie steht, im wahrsten Sinne des Wortes, dumm da, was sie sich jedoch selber zuzuschreiben hat und nicht der Person, die sie korrigiert. So. 

Die Möglichkeiten, gegen Internethetze vorzugehen, sind also offensichtlich beschränkt. 

Nun gibt es jedoch eine weitere, die immer öfter online auftaucht. Ich weiss, eigentlich ist eine Kolumne dazu da, dass die Autorin ihre Meinung verzapft und man die dann mögen kann oder nicht. Heute jedoch bin ich selber unschlüssig und möchte nun meine Gedanken zu eben dieser weiteren Vorgehensweise niederschreiben: Dem Online-Pranger. 

Vor einiger Zeit wurde ich von meinen Freunden bei der «Huffington Post Deutschland» angefragt, ob ich ein Statement abgeben würde. Geplant war eine Aktion mit dem Titel «Liebe Flüchtlinge, gut, dass Ihr hier seid, weil ...» – und hätte ich das Mail früh genug gesehen, hätte ich sehr gerne etwas beigetragen. Die Aktion wurde riesig, rund 200 Statements von Prominenten, Politikern, Sportlern und anderen Leuten wurden zusammengefasst publiziert. Gestern wurde nun ein zweiter Artikel veröffentlicht, von der Aufmachung her genau gleich angelegt: Ein Mosaik aus Gesichtern. Darunter der Titel: «200 Deutsche riefen den Flüchtlingen zu: Willkommen! Hier sprechen die Hassfratzen».

Anscheinend war der «Huffington Post» nach der Publikation des ersten Artikels eine regelrechte Welle des Hasses entgegen geschlagen. Nicht nur wurden die Kommentarspalten überschwemmt, nein, die TeilnehmerInnen an der Aktion hatten innert Kürze volle private Postfächer, ein Blogger bat gar um die Löschung seiner Aussage, da ihm derart massiv gedroht worden war, dass er um das Wohl seiner Familie fürchtete. 

Und wieder stellt sich die altbekannte Frage: Was tun? Was tut man gegen solch hasserfüllte und gewaltandrohende Reaktionen? 

Die «Huffington Post» entschied sich für den Angriff und publizierte im erwähnten Artikel von gestern die Aussagen, inklusive Klarnamen und Bildern der Menschen, die sie gemacht hatten. Es entstand ein 200 Bilder umfassender Internetpranger. Begründet wurde dieser damit, dass man die Schreie nach Meinungsfreiheit nun beantworte, dass man nicht länger wegschauen wolle und dass, wer seine Ansichten so offen auf einer öffentlichen Plattform darlege, damit auch zitiert werden dürfe. 

Ich war und bin ob dieser Aktion extrem zwiegespalten.

Natürlich stellen sich grundlegend einmal rechtliche Fragen, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass die Leute bei der «HuffPost» klug genug sind, sich abzusichern, bevor sie eine solche Lawine lostreten. 

«Den Teil mit den Bildern sehe ich als sehr problematisch an», sagte mir heute Beat Hochheuser, Rechtsanwalt und spezialisiert auf Online-Recht. Dies aufgrund des «Rechts am eigenen Bild», welches Teil des Persönlichkeitsschutzes sei (in der Schweiz Art. 28 ff. ZGB) und besage, dass grundsätzlich jeder Mensch selbst darüber bestimmen dürfe, ob und in welchem Zusammenhang Bilder von ihm/ihr veröffentlich würden (wobei im Fall des Artikels auf der «Huffington Post» kaum nachgefragt worden sei). Das «Recht am eigenen Bild» gelte auch in Deutschland.

Was die Kommentare betreffe, so Hochheuser, stimme man, wenn man sich auf einem Portal anmelde, um kommentieren zu können, den AGB zu. Dort stehe dann meist drin, wie weit das Portal die Kommentare weiterverwenden dürfe. Sei dies der Fall, wäre der Teil mit den Kommentaren also relativ klar geregelt.

Trotzdem bleibt für mich persönlich folgendes offen: Erfüllen die veröffentlichten Aussagen ein allgemeines Informationsbedürfnis? Sind sie journalistisch sorgfältig aufgearbeitet? Und ist das Bild, das sie vermitteln, differenziert genug? 

Des Weiteren stellt sich die Grundfrage, in welchem Kontext der Pranger selbst zu betrachten ist. In seiner ursprünglichen Form war er ja eine Bestrafung für ein begangenes Verbrechen. Der Beschuldigte wurde öffentlich, auf dem Dorfplatz oder auf einer Art Podest, der Gemeinschaft zur Schau gestellt. Ziel war die soziale Ächtung, die dem Betroffenen oft auch nach der Bestrafung ein normales Leben in der Gesellschaft beinahe verunmöglichte. 

An den Pranger gestellt wird also niemand einfach so, sondern dann, wenn man denkt, er/sie hätte ein Unrecht getan. Und offene, menschenverachtende Hetze ist – zumindest in meinen Augen – ein Unrecht. Nur reicht es aber nicht aus, dass der Einzelne etwas als Unrecht empfindet, um es als «ächtenswert» zu qualifizieren. Den Pranger als Instrument der Bestrafung durch den Staat gibt es nicht mehr. Handelt es sich also um eine Art Selbstjustiz? Wer entscheidet, was an den Pranger gehört und was nicht? 

Ich bin die Kommentare, welche die Leute bei der «HuffPost» für den Prangerartikel ausgesucht hatten, durchgegangen und ich finde, darunter sind solche, deren kriminellen/verabscheuungswürdigen Charakter durchaus fraglich ist und die ich persönlich in eine solche Liste nicht aufgenommen hätte. Um tatsächliche Straftaten handelt es sich bei den wenigsten. 

Natürlich ist die «HuffPost» auch an Klicks interessiert, nur dadurch lässt sich erklären, dass man sich im Titel – meines Erachtens mit voller Absicht – doch ziemlich in der Wortwahl vergreift. «Hassfratzen». Naja.  

Auch bei uns hier in der Schweiz gibt es mittlerweile Gruppen/Aktionen, die auf dem Pranger-Prinzip beruhen. So gibt es z.B. eine Facebook-Page namens «No Place for Hate», die User aktiv dazu aufruft, Screenshots von hetzerischen oder rassistischen Kommentaren einzusenden, damit diese veröffentlich werden können. Dies wird als «Demaskierung» bezeichnet. Auch hier verstehe ich den Grundgedanken und die Motivation, gegen Hetze vorzugehen, durchaus, finde sie sogar sehr löblich. Trotzdem lässt die Methode bei mir einen fahlen Nachgeschmack zurück. 

Ich erachte es für sehr wichtig, zwischen Prangern zu unterscheiden, welche lediglich der Blossstellung und Diffamierung von Einzelpersonen, und solchen, die als Mittel in einer gesellschaftlich brisanten Problematik dienen. In diesem Sinne sehe ich sie als eine Art Spiegel, der den Leuten vorgehalten wird, damit sie sehen, wie sie eigentlich wirken. 

Die Frage bleibt, ob das funktioniert. Wenn ich wüsste, dass der Pranger definitiv abschreckend wirkt und Rassismus dadurch effektiv bekämpft werden kann, wäre das alles für mich eine komplett andere Situation. 

So bleiben bei mir doch einige Fragezeichen zurück. 

Einerseits habe ich moralische Bedenken, die über das Gesetzliche hinausgehen. Selbst wenn man Menschen rein rechtlich an einen solchen Pranger stellen darf, frage ich mich, ob man sich der Konsequenzen wirklich bewusst ist. Natürlich kann man sagen: «Wenn er/sie doch so überzeugt ist von seiner/ihrer Aussage, warum sollte man sie dann nicht der ganzen Welt zeigen dürfen?» So einfach ist das aber nicht. Gerade bei denen, die keine extremen Aussagen gemacht haben, nun aber auf einer Liste stehen mit solchen, die zu Mord und Todschlag aufrufen, diese Liste wahrscheinlich im Freundeskreis und an der Arbeit die Runde macht und die Person für immer stigmatisiert. Und, was fast noch wichtiger ist: Diese Person hat eventuell auch eine Familie, die durch solche Aktionen direkt betroffen ist, obwohl sie in keinster Weise beteiligt war.

Andererseits fordere ich immer Differenzierung, gerade im Umgang mit Immigranten und Straftätern. Ich finde, eine solche Differenzierung sollte auch den Leuten am Online-Pranger zugute kommen. Ich bin nicht ihrer Meinung – bhüet mi de Hüehnervogel, alles andere als das – aber sie haben genau die gleichen Rechte wie alle anderen auch. 

Ausserdem widerstrebt mir der Gedanke, durch eine «unmenschliche» Methode Menschlichkeit erzwingen zu wollen. 

Und ich komme auch hier wieder zurück zum Wissen, meiner guten, alten Lieblingsmethode. Aufklärung statt Pranger. Zahlen vorhalten, Halbwahrheiten mit Fakten korrigieren. Vielleicht ist das nicht so aggressiv wie der Pranger, aber das Resultat sind nicht Beschämung oder Stigmata, sondern vielleicht ab und zu ein wenig Einsicht. 

Und diese soll doch das Ziel vom Kampf gegen den Rassismus sein. Zumindest soweit, wie ich das verstanden habe. 

Yonni Meyer
Yonni Meyer (33) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SanchoPanza
15.08.2015 17:36registriert Dezember 2014
Online Pranger nein (weil bleibt im Netz, Einstellungen können/dürfen/sollen sich ändern.
ABER schärfere Gesetze, Strafverfolgung. Gerade bei Drohungen!
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Jol Bear
15.08.2015 19:43registriert Februar 2014
In besagtem Beitrag der HuffPost wird beispielsweise einer den "Hassfratzen" zugeordnet und (zur Bestätigung) dann mit folgendem Beitrag zitiert: "Bis 2020 werden in Deutschland 100 Millionen Menschen leben!!!". Solches lässt die Aktion in zweifelhaftem Licht erscheinen und rückt den Internet-Pranger eher in die Nähe eines fragwürdigen Versuches, die Meinungsfreiheit resp. Meinungsäusserungsfreiheit zu beschränken oder Leute, die Kommentare schreiben, einzuschüchtern.
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