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Warum bist du so wütend?

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Warum bist du so wütend?

05.08.2015, 16:0811.08.2015, 13:41
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Der Wutbürger.

Das quengelnde Kleinkind unter den Kommentatoren. Der Begriff ist heute in aller Munde. Doch woher kommt er? 

Er ist im Sinne eines medialen Schlagwortes noch relativ jung. Geprägt wurde er von Dirk Kurbjuweit, einem deutschen Journalisten, und «es handelt sich bei dem von ihm beschriebenen Personenkreis vornehmlich um eine ältere und wohlhabende konservative Personengruppe, die sich mit «Wut» und «Empörung» gegen als Willkür empfundene politische Entscheidungen wendet und sich durch einen ausdauernden Protestwillen auszeichnet»

«Ausdauernder Protestwille». Amen dazu. 

Mittlerweile erlebe ich diesen jedoch nicht mehr begrenzt auf die von Herrn Kurbjuweit definierte Personengruppe, sondern ausgedehnt auf den ganzen soziodemographischen Regenbogen. Und die Wut richtet sich auch nicht mehr nur gegen Politiker oder «das System», sondern gegen alles und jeden. 

Sorge, Kritik oder Widerspruch ohne Wut zu äussern, scheint vielen Menschen kaum mehr möglich. Selbst die neutralsten Artikel werden von Anfang an gehässig, herablassend, keifend und eben: unheimlich aufgebracht kommentiert.  

Warum sind wir eigentlich immer so wütend? 

Warum können wir nicht mehr diskutieren, ohne unser Gegenüber zu beschimpfen, seine Intelligenz in Frage zu stellen? Warum fühlen wir uns sofort persönlich angegriffen, wenn jemand nicht dieselbe Meinung hat wie wir, und gehen dann, ohne zweimal zu überlegen, auf Frontalangriff? 

Meine These: Gehört zu werden ist einer der Kernwünsche der heutigen Gesellschaft. Und ich weiss das, weil ich selber das beste Beispiel dafür bin. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mir nicht schmeichelt, wie viele Menschen meine Gedanken lesen und sich damit auseinandersetzen. Im Gegenzug ist es umso frustrierender, wenn man etwas zu sagen hat, jedoch nicht (an-)gehört wird. 

Ich denke, da folgt das menschliche Verhalten ganz simplen Regeln: Wenn man mich nicht hört, dann werde ich halt lauter. Und lauter ist in geschriebener Form dann halt der CAPSLOOOOOCK, Satzzeichen in Herdenform (??!!!!!???!!?!) und inhaltliche Lautstärke, nämlich Angriff, Beleidigung, Übertreibung, Polarisierung. 

Das Faszinierende daran? Meistens funktioniert’s. Die Aufmerksamkeit folgt oft auf dem Fuss. Zwar halt hauptsächlich als noch lautere Rück-Wut, Rück-Hass, Rück-Beleidigung – aber Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit. Das weiss jedes vierjährige Kind, das sich im Migros schreiend auf dem Boden rumwälzt. 

Und so steigert sich ein Haufen Vierjähriger online in den Olymp des geschriebenen Hochfrequenz-Schreiens, der ursprüngliche Inhalt geht vergessen und als Aussenstehende/r bleibt oft nur der Griff zum Popcorn. 

Hat differenzierte Meinung überhaupt noch eine Chance in Kommentarspalten oder sollte man dieses Unterfangen ein für allemal aufgeben? Ist die Meuterei der Wutbürger endgültig geglückt und überlassen wir ihnen das gekenterte Schiff, damit sie sich gegenseitig duellieren können, bis keiner mehr da ist? 

Mir bleibt noch die Hoffnung. Immer wieder – und obwohl ich natürlich voreingenommen bin, aber sehr oft hier auf watson – beobachte ich, wie es möglich ist, Sachverhalte oder Geschehnisse zu diskutieren, ohne einander zu diskreditieren. Natürlich geht’s zur Sache, das soll’s ja auch, wenn Meinungen aufeinandertreffen, aber ab und zu sehe ich hier Diskussionen, die tatsächlichen Mehrwert bieten, und es sind auch oft genau diese nicht ganz so giftigen Diskussionen, die in einem «Wir einigen uns, dass wir uns nicht einig sind» oder «Danke für die spannende Debatte» enden. 

Und was tut man mit den Wütenden? Ignorieren? Das kann, wie bei allen anderen Vierjährigen auch, durchaus helfen. Dem Drang, «zurückzuwüten», widerstehen und hoffen, dass sie irgendwann müde werden und mit ihrem Schnufeli ins Bettli gehen. 

Oder man stellt ihnen eben einmal diese eine Frage, die viel zu selten gestellt wird, die viel zu oft übergangen wird, die einem vielleicht einen Einblick in die gedankliche Welt des Wutbürgers gibt und einem das Zurückschlagen mit noch mehr Wut ersparen würde: 

«Sag, warum bist du so wütend?» 

Yonni Meyer
Yonni Meyer (33) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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