... sieh', das Gute liegt so nah.
So (oder zumindest ähnlich) lautet der bekannte Gedichtausschnitt aus Goethes «Erinnerung», das uns mahnen will, das Gute in dem zu sehen, was wir haben, das zu schätzen, was uns umgibt, in dem Befriedigung zu finden, was bereits zu unserem Leben gehört.
Ein wunderschönes Sprichwort, finde ich, und so wahr.
«Alles Humbug», finden die Teilnehmer von «Goodbye Deutschland». Ich finde diese Sendung unfassbar faszinierend. Ich sehe mir, wenn immer möglich, jede Episode davon an. Mit den Jahren habe ich dadurch eine Art «Packliste» für deutsche Auswanderer erstellen können, an die sich fast alle Teilnehmer der Sendung halten und welche ein gelungenes Emigrieren beinahe garantiert.
Man braucht...
1. ...eine gehörige Portion Hass auf das Heimatland.
Und dessen Regierung. Und vor allem dessen Bewohner. Alles Neider! Worauf alle neidisch sind, braucht man nicht zu spezifizieren. Hauptsache alle neidisch!
2. ...eine mittelgrosse bis sehr grosse Anzahl Kinder.
Auffällig oft mit einer wilden Mischung an Vornamen (Kevin, Samantha, Karlheinz, Shania, Rüdiger, Chantal (Tschantall), Cheyenne, Paris (Pächös) etc.). Die Kinder haben meist ebenfalls Neider. Primarschulneider.
3. ...ein Land seiner Wahl, welches im besten Fall eine(r) der Eheleute bereits einmal für 7-14 Tage bereist hat.
«Also dieset Uruguay, ja, dat is ja sowat von schön, sag ick dir, dat wird dich glatt umhauen, Ute! Wart nur ab, bis wa ma da sind, ne!» Und auch Ute findet, Uruguay sei ihr Traumland, obwohl sie noch nie da gewesen sei, aber sie habe Bilder gesehen im Internet und da seien alle immer fröhlich.
4. ...keinerlei Fremdsprachenkenntnisse.
Das klappt dann schon. Löaning bei Duing. Vor allem für die Kinder, die man zwecks Auswanderung aus ihren Klassen holt und in der neuen Heimat zwei Tage nach der Ankunft bereits zur Schule schickt. «Der Kevin, der packt dat schon. Ick wär' froh jewesen, wenn ick in dem seim Alta wat von die Welt hätt sehen können, wat?»
5. ...ein Haus aus dem Internet.
Am besten kauft man sich gleich was - «Von dat Ersparte, weeste? Dat brauchen wa ja nun nich meah und dat Häuschen sieht perfekt aus auf die Fotos!» Im Normalfall ist das perfekte Häuschen bei der Ankunft dann aber noch bewohnt oder voller Rattenschimmelspinnenkäfer und die Auswanderer müssen mit ihren Kindern für die erste Zeit ins Hotel. «Ja, da wären wa dann froh jewesen, wenn wir noch ein bisschen wat von dat Ersparte jehabt hätten, wa?»
6. ...eine brillante Business-Idee.
Vorzugsweise ein Nagel- oder Tattoostudio oder eine Bar auf Mallorca, aber eben ganz anders als die 1500, die's da bereits gibt. Auch beliebt ist der Verkauf deutscher Spezialitäten in der neuen Wahlheimat. Seien wir mal ehrlich: Welcher Guatemalteke wünscht sich nicht ab und zu eine deftige Currywurst?
7. ...einen obligaten Nervenzusammenbruch nach durchschnittlich sechs Tagen.
Da sitzt dann die Uschi auf der Treppe vor ihrem neuen, erst partiell schädlingsbefreiten Daheim und schnuddert in die Kamera, dass sie sich das alles halt einfach schon leichter vorgestellt habe. Und niemand könne Deutsch. Schnudder.
8. ...einen verzweifelten Anruf nach Hause zu Oma oder Opa, weil «dat Ersparte» nun doch nicht gereicht hat, weil ganz unvorhergesehene Ausgaben hinzu kamen. Wie Essen und Benzin.
9. ...veränderte Verhältnisse beim Wiedersehen.
Wird eine Familie vom Kamerateam nach ca. sechs Monaten noch einmal besucht, ist meist die grosse Ernüchterung eingetreten. Statt der enthusiastischen Familie zeigt der Sender nun Bilder von Stränden im Regen, geschlossenen Geschäften und Bars und traurigen Gesichtern. «Wir wussten halt nich, dat et hia auch eine Nebensäsong gibt, ne...», sagt dann der Udo am Frühstückstisch. Sie würden aber durchhalten, denn Mallorca sei noch immer ihr Traumland (!).
10. ...eine Rückkehr und ein eventueller Zweitversuch.
Beim zweiten Wiedersehen mit der Filmmannschaft ist die Familie in den allermeisten Fällen zurück in Deutschland und wohnt bei Oma Renate im Camper. Gefühlte 30% planen aber bereits die nächste Auswanderung. «Ick sage dia, Rumänien! Da liegt die Zukunft! Wia haben einijes jelernt beim letzten Mal, ne! Die Fehler machen wia nich noch einmal, ne Heike? Ick kann auch schon ‹Hallo› und ‹Ein Bier bitte› auf Rumänisch sagen. Wenn dat mal nix is, du?»
Und so schweifen sie denn weiter in die Ferne - und ich möchte jeweils den zweiten Teil von Goethes Gedicht zitieren:
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.