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Der Tag, an dem ich Haggis ass

Haggis. Fein.
Haggis. Fein.Bild: shutterstock
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Der Tag, an dem ich Haggis ass

13.07.2015, 15:0028.07.2015, 13:09
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Es ist Food-Woche auf watson! Yeah! Da möchte auch ich meinen Breitrag leisten und euch von dem Tag erzählen, als ich Haggis ass.

Es war Sommer 2004 und ich war auf der ersten grossen Reise meines Lebens. Ich reiste damals mit dem Rucksack und einem absoluten Mini-Budget mutterseelenallein durch Schottland. Es war grossartig! 

Natürlich bleibt man auf solchen Reisen nicht lange allein – im Gegenteil. Innert Kürze findet man sich auf einem wackligen Stuhl an einem klebrigen Tisch in einer Hostelküche wieder, wo man mit Menschen aus aller Herren Länder irgendwelche lustigen Ausflüge plant. Einmal zum Beispiel erzählte ein Pole, er habe von einem Hippie gehört, der seit 20 Jahren selbstversorgend in einem Waldstück irgendwo in den Lowlands hause und das beste Gras des Landes anbaue. Wir gingen den Hippie dann suchen, fanden ihn natürlich nicht und schliefen schlussendlich zu fünft im Auto zweier Franzosen – was nun wild-romantisch klingen mag, aber heiss und unbequem und stinkig war. 

Die Erinnerungen an diese Reise sind mittlerweile von mir bestimmt etwas idealisiert. Ich weiss noch, dass es einen Moment gab, wo ich in Inverness, auch «Hauptstadt der Highlands» genannt, auf der Strasse stand und nicht wusste, wo ich schlafen sollte, weil alle Hostels ausgebucht waren und die einzige Unterkunft, die es noch gab, ein Hotel war, das massivst über meinem Budget lag. Da verbrachte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Nacht auf der Strasse. Auch hier: Das klingt tragischer, als es war. Ich setzte mich einfach irgendwo auf ein Bänkli und schlief irgendwann ein, meinen Kopf auf meinem Rucksack. Niemand kam mich wecken, weder Polizei noch sonstige nervigen Wildtiere. Also alles halb so tragisch. 

Nach circa drei Wochen unterwegs landete ich in Stornoway auf der Isle of Lewis in den Äusseren Hebriden. Man kann sich das hier wohl schlecht vorstellen bei all unserem Dichtestress, aber da draussen ist einfach nichts. Nichts. Die beiden Inseln Lewis and Harris hängen zusammen, bilden den Nordteil der Äusseren Hebriden und sind vom Wind komplett kahl gefegt, raue Felsen und saftiges Grün und Natur soweit das Auge reicht. Wenige Touristen schaffen es bis nach Lewis and Harris (übrigens der Herkunftsort des Harris-Tweed), die Fähre war bei der Überfahrt beinahe leer. 

Eine Beobachtung, die ich auf dieser Schottland-Reise machte, war: Je abgelegener der Ort, desto unverständlicher der Akzent. Auf den Inseln im Atlantik draussen war ich mir am Ende zum Teil nicht einmal mehr sicher, ob man gerade Gälisch oder Englisch mit mir sprach. Das machte nichts, denn obwohl die Menschen dort draussen urchig und knorrig und zum Teil etwas ruppig waren, war kein einziger dabei, der böse oder manipulativ oder oberflächlich war. What you see is what you get. Ist zur Abwechslung manchmal ganz schön. 

Jedenfalls wohnte ich die drei Tage über, welche ich auf Lewis and Harris verbrachte, bei einem älteren Ehepaar, das wahnsinnig lustig redete. Bzw. sie redete. Er fand reden recht überflüssig. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er erfuhr, dass mein Grossvater Bauer war. Da war’s vorbei mit der Ruhe und er wollte alles über die Schweizer Landwirtschaft erfahren. Von mir. Psychologiestudentin. 22 Jahre alt. Ich berichtete alles, was ich in den Sommern, die ich bei meinen Grosseltern verbrachte, gelernt hatte. Von da an waren wir Buddys, Graeme und ich.

Nun kam also der historische Tag, an dem ich Haggis ass. Ich hatte all die Mythen gehört, man flüsterte sie sich in den Hostels zu, dass das Schafsmagen sei, der mit dem Rest des Schafes gefüllt würde, also mit Herz und Lunge und Leber. 

Lasst mich euch sagen: Die Mythen sind wahr, denn Haggis ist tatsächlich genau das. Zu den Innereien kommen dann noch Nierenfett, Zwiebeln, Hafermehl und ganz viel Würze. Voilà. Komprimiertes Schafinneres. schaf.rar, sozusagen, wenn man die IT-Sprache bedienen will.

Vorgesetzt wurde es mir, von allen Gerichten, beim Frühstück. Frühstücke sind in Grossbritannien, und in Schottland ganz besonders, ja in einer Grössenordnung anzutreffen, die all die Ernährungsberater und Feinkostfreaks hierzulande in den Selbstmord treiben würde. Eier, Speck, Würste, Bohnen, Toast – und von alledem Berge

Und dann war da eben Haggis. Erst wehrte ich mich noch, aber Graeme sah mich streng an und sagte: «Camaan nöu, Lässe, it’s güd forr ye!», was heissen sollte: «Come on now, Lassie, it’s good for you!», ich solle mich also nicht so haben, das sei gut für mich. 

Aufgetischt sieht Haggis eigentlich relativ ungefährlich aus und es hat eine Farbe, die nicht an Fleisch erinnert. Es könnte sich genauso gut um zerhackten veganen Tofu-Pilz handeln. Tut es aber nicht. Und man weiss das, wenn man reinbeisst. 

Ich sah auf das hellbraune Häufchen auf meinem Teller, zog meine Nase in Ekel nach oben und wünschte mich nach Hause zu Raclette und Fondue, schaute dann aber wieder zu Graeme, dessen Augenbrauen sich vor lauter Strenge nun beinahe berührten. Dann erinnerte ich mich an meinen Grossvater, der jeweils sagte: «Was uf de Täller chunt, wird gässe!», und dachte, komm schon, sei keine Schönwettertouristin, ABEMIT! 

Was soll ich sagen: Es war gut. Wirklich. Es schmeckte mir. Das lag aber bestimmt mehr an den Gewürzen als am Rest. Es hatte eine körnige Konsistenz und schmeckte ein bisschen wie zu trocken geratener Hackbraten. Graeme und seine Frau mampften locker drauf los, ich beliess es bei zwei Gabeln voll, bekam aber trotzdem ein Tätscheln auf den Kopf und ein «Well done, Lassie, well done».

Natürlich war ich im Nachhinein stolz auf mich, weil ich eben voll in den Lokalkolorit eingetaucht war, weisch so voll real und bi de Lüt. 

Lasst mich euch aber Folgendes sagen: Die meisten Schotten, die ich bisher kennengelernt habe und denen ich stolz von meiner Heldentat berichtete, lachten und sagten: «EW! I’ve never had any!», was so viel bedeutet wie: «Wäh, ich hatte noch nie welchen.» 

Das war also der Tag, an dem ich Haggis ass. Es wird aber auch der einzige bleiben. 

Yonni Meyer
Yonni Meyer schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen –direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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