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Wenn EngländerInnen ausgehen

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Wenn EngländerInnen ausgehen

Wehe, wenn sie losgelassen ...
26.07.2015, 13:1427.07.2015, 18:08
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Man soll ja keine Vorurteile haben, heisst es. Finde ich richtig. Und trotzdem bildet man sich ja gerne mal ein Bild einer bestimmten Gruppe von Menschen, auch wenn man nicht direkt mit ihr zu tun hat.

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So hatte ich denn, nachdem ich unzählige Folgen «Geordie Shore» gesehen hatte und auch im Ausland da und dort auf BritInnen getroffen war, eine gewisse Vorstellung davon, wie sich diese verhalten, wenn sie feiern gehen. Und das war keine sehr schmeichelhafte Vorstellung, wenn ich ehrlich sein soll.

Nun hatte ich während meines Aufenthaltes hier in London die Gelegenheit, die von mir vorgefasste Meinung eines Realitätschecks zu unterziehen. Ich begab mich – entgegen meiner normalen Ausgehgewohnheiten – mal wieder in einen Club.

Bereits als ich um die Ecke bog, erwartete mich die erste Überraschung: Vor dem Club standen zwei Streifenwagen der Metropolitan Police und ich konnte gerade noch beobachten, wie ein Mädchen, circa 19 Jahre alt und geschätzte 400 Gramm schwer, auf einen der Polizisten in Vollmontur losging und relativ unkoordiniert auf ihn einprügelte. Sie lallte währenddessen Wörter, die ich hier nicht wiederholen will, zeigte immer wieder mit dem Zeigefinger mitten in sein Gesicht und sagte, sie würde ihn verklagen. Der Polizist nahm’s locker, was wahrscheinlich auch daran lag, dass er sie easy mit einem Arm vom Boden heben und wegstellen konnte. Dabei strampelte sie mit ihren Füssen und die versammelte Mannschaft bekam – Minikleid sei Dank – Einblick in ihr «Schatzchäschtli». Dieses Procedere wiederholte sich einige Male, bis die junge Frau sich den Fuss verknackste und auf den Boden fiel. Dort begann sie zu weinen und liess sich daraufhin vom eben noch verfluchten Polizisten trösten.

Das war um 23.00 Uhr. Ich nickte anerkennend und sagte zu mir selber: Wenn die um elf Uhr bereits so am Start sind, wird das ein guter Abend.

Ich und mein Begleiter stellten uns in die rund 150m lange Schlange vor dem Eingang. Eines stand bereits da fest: Der Dresscode war eindeutig.

Die Damen trugen – unabhängig von ihren Figuren – allesamt knallenge Minikleider. Finde ich gut: Kids be free. Nur waren sie allesamt – erneut unabhängig von ihren Figuren – durchgehend damit beschäftigt, die Stofffetzchen, die von der Länge her eher an Gürtel als an Kleider erinnerten, nach unten zu ziehen. Bei denen, die Bandeau-Kleider trugen (also Kleider ohne Träger) führte das jeweils dazu, dass ihnen oben fast die Brüste aus dem Décolleté sprangen. Runterziehen. Ups! Hochziehen. Ups! Runterziehen. Und so weiter. Unterhalb des Kleides trugen sie alle (alle!) Schuhe, deren Absätze mindestens 10cm hoch waren. Die meisten hatten vorne noch Plateau. Macht dann 15cm. Ich war beeindruckt und schämte mich mit meinen sieben Centimetern ein bisschen. Mit den Schuhen war die Ausgangsuniform fast komplett. Fehlten noch: die Clutch, die Extensions, Fake Tan und die falschen Wimpern. So standen sie da in der Schlange, bibbernd, bei 15°C und rochen auffällig nach Vanille und Kokos. 

Auch die Jungs trugen allesamt eine Art Uniform. Jeans mit sehr vielen Löchern, riiiiiesige Turnschuhe, in die sie die Jeans stopften und eine Art Shirt, die ich in der Schweiz ehrlich gesagt noch nie gesehen habe: Eine Kombination aus normalem, buntem Baumwollstoff und Lederimitat. Das muss hier grade der letzte Schrei sein. Viele dieser Shirts hatten gigantische V-Ausschnitte, in denen rasierte, trainierte Brustplatten prangten. Die Luft war gefüllt mit Testosteron und Axe-Deodorant.

Drinnen dann Sodom und Gomorrha. Die Tanzfläche war brechend voll – und das um halb zwölf abends, wenn's bei uns jeweils erst 20 Leute im Club hat, die wie am Feez damals in der Sek in ihren Ecken stehen und darauf warten, dass der/die Erste mit dem Tanzen beginnt. 

In London aber steppte der Bär. Die Bässe wummerten durch den riesigen Raum, Laser durchschnitten den Rauch aus den Rauchmaschinen und die Menge bebte mit. Da waren junge Männer, die ganze Grey Goose-Flaschen kauften und den Inhalt irgendwelchen Frauen in den Mund schütteten. Da waren Pärchen, die kurz vor der öffentlichen Kopulation standen. Verdrehte Zungen, Dry Humping, da und dort ein durch die Luft fliegender BH. Mit dem Alkoholpegel stieg auch die Frequenz der Schlägereien, im Zehn-Minuten-Takt wurden Streithähne von der Security nach draussen begleitet, gezerrt, getragen.

Ich stand an der Bar und beobachtete das Treiben. Als mein Begleiter einmal kurz nach draussen ging, stand innert Kürze ein etwa 25-jähriger, stark alkoholisierter Brite neben mir, der mich fragte (schreiend, mit etwas feuchter Aussprache), ob ich allein sei. Ich verneinte. Ob ich mit einem Mann hier sein. Ich bejahte. Ob das mein Freund sei. Wieder ein Nein meinerseits. Er: «Cool. Do you want to make out?» Ich lachte laut heraus und lehnte dankend ab. Auch er lachte, bedankte sich und ging seines Weges. Keine Kränkung, keine seltsame Reaktion. Fand ich toll!

Gegen drei Uhr morgens war die Tanzfläche noch immer bis zum Bersten gefüllt und in den Séparées sah es aus wie in einem kleinen Swingerclub. Der Boden war klebrig von Red Bull und Erbrochenem, da und dort lag ein einzelner Schuh. Viele Herren tanzten nun oben ohne, die Frauen teilweise in ihren BHs. Viele von ihnen (Jungs und Mädchen) sah ich an diesem Abend mit unterschiedlichsten Angehörigen des andern oder des eigenen Geschlechts rumknutschen und die hohe Jugendschwangerschaftsquote in England war mir kein ganz so grosses Rätsel mehr.

Ich selber schwankte an diesem Abend stetig zwischen Amüsement, Verblüffung und einem kleinen bisschen Ekel hin und her. Ich habe aber auch schon lange nicht mehr mit so vielen unterschiedlichen, wildfremden Leuten geplaudert und mit ihnen gelacht wie in dieser Nacht im Club in London.

Um auf meine ursprüngliche Frage zurück zu kommen: Sind Stereotypen englischer Ausgehteufel wahr? Wie gesagt, ich gehe in der Schweiz auch kaum in Clubs, aber ich glaube, sogar ich kann sagen: Die EngländerInnen geben alles, wenn sie ausgehen.

Man könnte nun irgendwelche Theorien aufstellen, über Kompensation, Vergessen, Füllen einer Leere. Aber seien wir ehrlich: Das könnte man schlussendlich bei allem. 

Ich hatte ganz einfach einen tollen Abend und um ehrlich zu sein: Ich überlege mir, bald noch einmal hinzugehen.

Bis dahin: God rave the Queen.

Yonni Meyer
Yonni Meyer (33) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

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