Apple-Chef Tim Cook kündigte am Mittwochabend «Monster-Ankündigungen» an – und er sollte recht behalten. Mit den neuen iPhones, dem iPad Pro und dem neuen Apple TV schicken die Kalifornier knackige Hardware ins Weihnachtsrennen. Leider kommen die Kunden in Europa relativ spät zum Zug. Immerhin gibt's in den kommenden Wochen neue Software (iOS, OS X, watchOS).
Aber jetzt zu meinen Eindrücken vom Hands-on.
Im Vorfeld waren sich manche Kommentatoren einig, dass die auf unterschiedlich starkem Druck basierende Touch-Screen-Steuerung das am meisten überschätzte Feature der neuen iPhones sei. Und Spötter liessen verlauten, Apple habe den Rechtsklick fürs Handy erfunden.
Fakt ist: Für einmal hat Apple nicht eine bereits bestehende Technik genommen und sie im Sinne der Benutzerfreundlichkeit verbessert, sondern etwas Neues erfunden und entwickelt. Und wenn man es ausprobiert hat, geht es einem wie beim Fingerabdruck-Scanner. Natürlich ginge es ohne, aber mit ist das Handling einfach genial.
Wer sich für die Hintergründe interessiert, kann bei der Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg nachlesen, was die Apple-Ingenieure und -Designer alles taten, um 3D Touch zu realisieren.
Der Apple-Gründer bezeichnete einst das Konzept des digitalen Stifts, Stylus genannt, als überflüssig, weil der Finger genüge. Doch unter seinem Nachfolger Tim Cook hat sich der Wind gedreht, und das ist gut so. Wenn man mit dem Apple Pencil auf dem neuen iPad Pro schreibt oder zeichnet, macht sich Freude breit. Der Kunststoff-Stift gleitet sanft über das Display-Glas und es fühlt sich an, als würde man tatsächlich eine Oberfläche beschreiben. Im kurzen Praxistest waren auch überhaupt keine Verzögerungen feststellbar. Der Apple-Instruktor hat mich sogar ermutigt, ich solle versuchen, so schnell wie möglich Striche zu ziehen, um das Gerät zu überfordern. Keine Chance!
Wermutstropfen: Der Apple-Stift kostet 99 Dollar. Aber das dürfte insbesondere für professionelle Anwender kein Hinderungsgrund sein.
Tech-Journalisten-Kollegen mögen dies anders sehen, aber ich kann einfach nichts mit den Tablet-Tastaturen anfangen. Wobei mein kurzer Praxistest keinerlei Anlass zu Reklamationen ergeben hat. Im Gegenteil: Das Tippen auf den Kunststofftasten geht flüssig von der Hand. Auch praktisch am Smart-Keyboard: Wenn man die «Command»-Taste drückt, zeigt das iPad Pro dazu passende Funktionen an.
PS: Auch das Smart-Keyboard kostet extra: 169 Dollar.
Vorbemerkung: Apple hat die sich bewegenden Live Photos, die mit Sound und Bewegung wie Kurzvideos wirken, nicht erfunden! Den Kaliforniern ist aber zuzutrauen, dem Feature zu grosser Popularität zu verhelfen. Live Photos sind quasi GIFS auf Stereoiden. Oder wie der US-Blog Techcrunch schreibt: «Ein Feeling wie bei Harry Potter».
Und noch ein Pluspunkt: Die Facebook-App (für iOS-Geräte) wird Live Photos laut Ankündigung noch in diesem Jahr unterstützen.
Wer (wie meine Kollegen) behauptet, mit dem Smartphone liessen sich keine wirklich guten Fotos machen, ist auf dem Holzweg. Das iPhone 6S und das iPhone 6S Plus schiessen unglaubliche gute Bilder. Und das Beste daran: Man muss sich nicht lang über die richtige Voreinstellung Gedanken machen, sondern kann idiotensicher einfach loslegen.
Natürlich müssen wir für ein definitives Urteil auf ausführliche Tests warten und es gilt auszuprobieren, wie sich die neue iPhone-Kamera bei schlechten Lichtverhältnissen schlägt. Doch ich lehne mich gern aus dem Fenster und behaupte, dass sich die Smartphone-Konkurrenz (mit zum Teil viel mehr Megapixel an Bord) warm anziehen muss.
Dass Apple das Fotografieren endgültig zum Killerfeature machen will, zeigt auch das Aufmotzen der Frontkamera. Die für Selfies benötigte Kamera ist von 1,5 auf 5 Megapixel hochgeschraubt worden. Und noch viel wichtiger: Nun lassen sich auch bei schwachen Lichtverhältnissen akzeptable Selbstporträts schiessen. Genial: Statt wie bei der Hauptkamera einen Blitz einzubauen, blitzt jeweils das Display kurz auf, um die zu fotografierenden Gesichter zu beleuchten.
Apple sagt in gewohnt unbescheidener Manier, man habe das Fernsehen neu erfunden. Tatsächlich wirkte das auf der Bühne gezeigte überzeugend. Mich begeisterte vor allem die kurze Demo des iPhone-Kultspiels «Crossy Road», das man dank dem neuen Apple TV im Multiplayer-Modus gegen andere iOS-Nutzer spielen kann.
«Wir glauben, die Zukunft des Fernsehens sind Apps», hatte der Apple-Chef während der Vorstellung gesagt. Man darf gespannt sein, was die sehr aktive Entwicklergemeinde aus dem Hut zaubern wird.
Was die Bedienung und das Funktionieren der Spracherkennung (Siri) betrifft, will ich mir noch kein Urteil anmassen. Im Hands-on-Bereich in San Francisco gab es nur einstudierte Demonstrationen. Selber Hand anlegen durfte ich nicht, nicht einmal an die Fernbedienung.
Apple versteht es perfekt, das eigene Image zu pflegen und sich als amerikanisches Vorzeige-Unternehmen zu präsentieren. An der Keynote wurde unter anderem mehrmals betont, dass bei den Produkten auf giftige Stoffe verzichtet werde, um die Umwelt zu schonen. Und mit einer roten Apple Watch unterstützt Apple den Kampf gegen Aids.
Während im Bill Graham Civic Auditorium die Apple-Ankündigungen gefeiert wurden, gab es draussen einen stillen, von der Polizei geduldeten Protest. Ein lokaler arbeitsrechtlicher Konflikt.
Mein persönliches Fazit: Apple hat eine überzeugende, wenn auch lange und nicht überraschende Show geboten. Im Vorfeld waren bereits alle wichtigen Informationen an die Öffentlichkeit gelangt.
Die Wahl des neuen Veranstaltungsortes war ein geschickter Schachzug: So konnten Tausende Gäste und eigene Angestellte begeistert mitklatschen. Nach der Keynote gab es einen gewaltigen Ansturm auf den Hands-on-Bereich. Aber das scheint bei solchen Produkte-Shows zum guten Ton zu gehören.
Allerdings (und das ist der springende Punkt) sahen fast alle Entwickler dieses Feature als etwas, das die Bedienung bloss komplizierter macht und fanden es somit nutzlos. Jetzt bringt es Apple und wir dürfen gespannt sein, ob es zum neuen Standard wird...