Um ein Haar wäre dieser Testbericht nie geschrieben worden. Unser Testgerät ist nämlich beim Zoll hängen geblieben, wie mir der freundliche PR-Mensch von Microsoft am Telefon erklärte. Glücklicherweise hat das fast 5000 Franken teure Technik-Wunder (wir haben die Luxus-Variante erhalten) dann doch noch den Weg zu watson gefunden.
Ob Microsofts Surface Studio nicht nur auf dem Werbeprospekt, sondern auch in der Praxis überzeugt, zeigt der folgende Erfahrungsbericht.
Das Surface Studio ist zunächst ein klassischer All-in-one-PC mit leistungsfähiger Hardware und minimalistischem Design. Das Herzstück ist ein gigantischer 28 Zoll grosser Touchscreen mit brillanten Farben, der von Grafikern, Architekten oder Ingenieuren als Zeichentablet genutzt werden kann.
Das Scharnier erlaubt es, das Display mühelos mit einer Hand, genauer gesagt sogar mit einem Finger, von der Vertikalen in einen beliebigen flacheren Winkel zu bewegen. Das Ganze geschieht in zwei Sekunden ohne das kleinste Geräusch.
Bei einem Winkel von rund 20 Grad ist Schluss. In dieser Position ist das Display fix und man kann den Arm darauf abstützen, um bequem zu zeichnen. Ist das Display irgendwo zwischen flach und vertikal eingestellt, kann man trotzdem die Hand darauf legen, ohne dass es seine Position verändert oder wobbelt.
Ich kann zwar ganz passabel schreiben, bin aber als Zeichenkünstler eine absolute Niete. Deshalb kommen an dieser Stelle Sven Rüf und Lea Senn zu Wort. Sie arbeiten als Grafiker bei watson und nutzen beruflich vor allem Adobe Photoshop und Illustrator.
Vom grossen Screen und den brillanten Farben sind beide watson-Grafiker angetan. Wie jeder Touchscreen spiegelt auch das Surface Studio, die Reflexionen halten sich aber in Grenzen.
Lea Senn zeichnet ihre Grafiken üblicherweise per Digital-Stift auf einem Wacom-Grafiktablet. Ihr gefällt, dass man das Display des Surface Studios in jedem Winkel zwischen 20 und 90 Grad einstellen kann und der Screen in der gewählten Position bleibt, selbst wenn man die Hand darauf legt und zeichnet. Allerdings würden Berührungen mit der Hand ab und zu als Stiftberührung wahrgenommen.
Zeitgleich mit dem Surface Studio hat Microsoft auch eine neue Version des Surface Pen am Start. Äusserlich fast identisch mit dem bisherigen Stift sind auch wieder die Taste für den Rechtsklick und der Druckknopf mit diversen Funktionen (radieren, Apps starten, Screenshot erstellen) an Bord.
Microsoft behauptet, dass der neue Digital-Stift viel mehr Druckstufen erkennt und weniger Latenzzeit habe. Technisch mag dies alles stimmen, im Blindtest konnte allerdings nicht mal watson-Grafiker Sven Rüf einen signifikanten Unterschied feststellen. Auch der neue Stift hat eine geringe Latenzzeit, aber daran krankt jeder digitale Stift (ganz ohne Verzögerung würde er zu viel Strom verbrauchen.) Die leichte Verzögerung dürfte nur für jene Künstler zum ernsthaften Problem werden, die sehr, sehr schnell zeichnen.
Beide watson-Grafiker sagen, dass der Pen angenehm in der Hand liegt. Die Radiergummi-Funktion mit der Rückseite des Stifts sei praktisch. Senn bemängelt, dass der Stift nicht mehr Tasten hat, die mit frei wählbaren Funktionen belegt werden können, beispielsweise um die Zeichenfläche zu verschieben.
Grundsätzlich funktioniert das Dial in allen Programmen, richtig Spass macht es aber nur, wenn die App das neue Eingabegerät sinnvoll unterstützt. Bei Photoshop funktionierte das Zoomen beispielsweise erst in eine Richtung, bei Adobe Illustrator hingegen in beide.
Standardmässig kann man durch Drehen am Dial die Lautstärke verändern, scrollen, zoomen oder Arbeitsschritte rückgängig machen bzw. wieder herstellen. Je nach App lässt sich das Dial mit spezifischeren Funktionen wie Arbeitsfläche drehen, Farbauswahl, Strichdichte etc. frei belegen.
Theoretisch klingt das cool, aber unsere watson-Grafiker konnten damit wenig anfangen. Während der Stift sehr intuitiv ist, muss man sich an das Dial definitiv länger gewöhnen.
Das Dial wäre vermutlich weit sinnvoller, wenn es wie ein Laptop-Touchpad weitere Wischgesten erkennen würde oder wie Profi-Mäuse programmierbare Tasten hätte.
Selbst wenn man das Display in die flachste Position neigt (rund 20-Grad-Neigung), rutscht das Dial trotz «haftender» Gummi-Unterseite langsam herunter. Man muss es also immer wieder neu auf den Screen setzen, wenn man es auf dem Display nutzen will. Das ist offenbar kein Konstruktionsfehler, sondern von den Entwicklern so gewollt. Microsoft möchte wohl vermeiden, dass einem das Dial beim Zeichnen in die Quere kommt. Kein Problem ist das Rutschen natürlich, wenn man das Dial sowieso immer auf dem Pult nutzt.
Während der Stift jedem Surface Studio beiliegt, muss man das gut 100 Franken teure Dial separat kaufen. Dies aus gutem Grund, da es (momentan) wohl nur für wenige Nutzer wirklich sinnvoll ist. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass man damit Videos bequem editieren (vor- und zurückspulen) kann.
Drei Dinge fallen auch jedem Nicht-Grafiker unvermittelt auf: Das Display ist gigantisch, gestochen scharf und superdünn.
Die Auflösung von 4500 mal 3000 Pixel ist der Traum aller Grafiker, die für ihre Kunstwerke nie genug Arbeitsfläche haben können. Auf dem 28 Zoll grossen Touchscreen kommt man so auf 192 DPI. Die hohe Auflösung ist wichtig, da man beim Zeichnen quasi über dem Tablet lehnt und sich die Augen nahe am Display befinden.
Da die Zielgruppe Fotografen, Künstler und andere grafisch Tätige sind, setzt Microsoft wie schon beim Surface Book auf das 3:2-Format. Das Format ist ideal zum Bearbeiten von Fotos. Durch die hohe Auflösung können auch 4K-Videos (3840 × 2160) problemlos in voller Grösse bearbeitet werden.
Minimalistisches Design in Ehren, aber man kann es auch übertreiben: Dass die Eingänge für das Strom- und LAN-Kabel auf der Rückseite angebracht werden, leuchtet ein. Die wohl regelmässig genutzten USB-Anschlüsse sind so aber nur schwer erreichbar.
Die Platzierung auf der Rückseite ist vermutlich nicht nur eine Design-Entscheidung, sondern auch der extrem kompakten Bauweise des All-in-One-Computers geschuldet. Zur Erinnerung: Die gesamte Technologie steckt im Standfuss. Das lässt vermutlich nicht sehr viel Spielraum für die Platzierung der Anschlüsse und könnte mit ein Grund sein, warum USB-C oder Thunderbolt 3 fehlen. Microsoft begründet die Entscheidung damit, «dass die Technologie noch zu wenig unterstützt wird und wir unseren Kunden nicht den Kauf von Adaptern und neuem Zubehör zumuten möchten.»
Denkbar ist auch, dass die Festplatte nicht schnell genug ist, um die ultraschnelle Datenübertragung eines USB-C-Anschlusses auszunutzen. USB-C erlaubt im Vergleich zu USB 3.0 eine bis zu acht mal schnellere Datenübertragung. Dies natürlich nur, wenn auch die Festplatte und Solid-State-Disk (SSD) sowie das externe Speichermedium entsprechend schneller sind. Ein Surface Studio ausschliesslich mit schneller SSD, die von USB-C voll profitieren würde, wäre zwar wünschenswert, würde aber auch viel mehr kosten.
Auspacken, Strom-Kabel einstecken, PC hochfahren und loslegen: Das Surface Studio erkennt und begrüsst seinen Nutzer optional per Gesichtserkennung. Das Passwort eintippen entfällt also schon mal.
Der erste Kontakt mit der Maus hinterlässt hingegen einen zwiespältigen Eindruck: Sie fühlt sich billig an, reagiert in der Standard-Einstellung sehr sensitiv und ist genauso unergonomisch wie Apples Magic Mouse. Die Tastatur erinnert an eine iMac-Tastatur. Sie ist vollkommen ausreichend, wenn man damit vor allem Kurzbefehle in Photoshop und Co. aufruft und eher wenig schreibt. Falls gewünscht, kann man über den Mini-DisplayPort einen zweiten Monitor anschliessen.
In Sachen Leistung bewegt sich das Surface Studio je nach Ausführung (siehe Nr. 10) auf der Höhe eines High-End-Desktop-PCs. Das reicht für fast alle Programme. Im Alltag hat es mit Adobe-Software wie Photoshop und Illustrator keinerlei Probleme, wie unsere Tests zeigten. Auch Industrie-Software wie CAD-Programme für Produkt-Designer, Ingenieure oder Architekten sollten auf dem Surface Studio problemlos laufen, zumal Microsoft genau solche Firmenkunden anspricht.
Eigentlich fallen mir nur zwei Anwendungszwecke ein, für die das Surface Studio nur bedingt geeignet ist: Trotz schnellem 4-Kern-Prozessor und separatem Grafik-Chip ist ein All-in-one-PC kein idealer Gamer-PC und schon gar keine Video-Workstation, die höchsten Videoschnitt- und Render-Aufgaben genügen kann.
Nicht falsch verstehen: Aktuelle 3D-Games wie «Overwatch» lassen sich problemlos spielen und sehen auf dem 28-Zoll-Screen fantastisch aus: Mit der nicht mehr ganz taufrischen Grafikkarte (Nvidia GTX 965M bzw. GTX 980M) hinkt das Surface Studio aber schon jetzt den neusten Gamer-PCs hinterher.
Das ist primär davon abhängig, wie man lieber zeichnet: Indirekt auf einem Grafiktablet oder direkt auf dem Display.
Für die Profis, die hier allenfalls mitlesen: Auf dem Surface Studio können die Farbprofile sRGB, Vivid und DCI-P3 gewählt werden. Wer bislang auf einem Computer mit angehängtem Monitor und Cintiq-Grafiktablet arbeitet, muss die Farben, wenn es genau sein soll, jedes Mal auf beiden Bildschirmen nachprüfen. Dieses Problem entfällt beim Surface Studio.
Typischerweise lassen sich kompakte All-in-One-Computer nur sehr beschränkt aufrüsten. Da macht auch das Surface Studio keine Ausnahme: Prozessor, Grafikkarte und RAM können nicht ausgetauscht werden. Wer sich für das Modell mit nur 8 GB Arbeitsspeicher entscheidet, wird also nie mehr haben.
Die gute Nachricht: Das Surface Studio hat ein hybrides Speichermedium, sprich eine relativ langsame Festplatte mit sehr viel Speicherplatz, die mit einer kleineren, aber schnelleren Solid-State-Disk (SSD) kombiniert wird. Und offenbar können beide Teile durch schnellere Komponenten ersetzt werden.
Das Surface Studio gibt es bei uns in drei Varianten, die sich bezüglich Prozessor, Arbeitsspeicher, Grafik-Chip, internem Speicher und Preis unterscheiden.
Für die allermeisten professionellen Nutzer dürften die ersten beiden Varianten völlig ausreichend sein. Bei der Preisleistung überzeugt das mittlere Modell am meisten. Das Top-Modell ist mit einer schnelleren Grafikkarte vor allem für Renderaufgaben interessant.
Bei uns ist das Surface Studio seit dem 15. Juni verfügbar. In den USA ist es bereits seit Ende 2016 erhältlich. Dies erklärt, warum nur die zweitneuste Prozessor-Generation verbaut ist.
Die offiziellen Preise auf der Microsoft-Webseite starten je nach Ausführung bei 3499 und Enden bei 4999 Franken. Zu teuer? Jein. Um das Surface Studio zu ersetzen, braucht man einen schnellen Computer oder Laptop, einen grossen Monitor mit 4,5K-Auflösung und ein hochwertiges Grafiktablet mit Stift.
Alles addiert kommt man schnell auf ähnliche Kosten, zumal ein neuer iMac für professionelle Anwender zwischen 2000 und 3900 Franken kostet. Ein kleines Wacom-Grafiktablet bekommt man für 80 Franken. Ein Wacom-Cintiq-Tablet mit 27-Zoll-Display kostet aber deutlich über 2000 Franken.
Microsofts Surface-Geräte sind allgemein ähnlich teuer wie Apple-Computer und haben die gleichen Vorteile: Gute Verarbeitungsqualität, attraktives Design, schnelle Updates und keine vorinstallierte Bloatware.
Das Surface Studio ist eines dieser ganz wenigen Testgeräte, die ich am liebsten nie mehr zurückschicken würde: Überrascht war ich vor allem, wie wenig Platz der All-in-One-PC auf dem Schreibtisch einnimmt.
Würde ich meinen Büro-Desktop-PC und die beiden Monitore gegen das Surface Studio tauschen? Ohne mit der Wimper zu zucken!
Würde ich es grafisch Tätigen empfehlen? Sicher.
Würde ich es privat kaufen? Wohl kaum.
Ich gehöre schlicht nicht zur Zielgruppe. Für Grafiker, Designer, Komponisten, Game-Entwickler, Architekten, Ingenieure etc. könnte es der neue Traum-Computer werden – für Journalisten und alle anderen, die Büroarbeit mit Microsoft Office und dergleichen erledigen, ist es noch viel zu teuer.
So gut mir das Surface Studio gefällt, mit einem Preisschild von 3500 bis 5000 Franken ist es kein PC für jedermann. Es ist noch nicht mal ein PC für alle Grafiker oder Designer.
Wer lieber indirekt auf einem Wacom-Grafiktablet zeichnet, braucht kein Surface Studio. Wer allerdings bereits auf einem Surface Pro oder iPad Pro gerne zeichnet, wird vom Surface Studio begeistert sein.
Ein wirklich vergleichbares Gerät gibt es momentan nicht, aber günstigere Alternativen: Dell hat Anfang Jahr den Touchscreen Canvas vorgestellt, der ähnlich wie das Surface Studio als Zeichentablet dient. Der Canvas kann aber nur flach oder in einem 10-Grad-Winkel bedient werden. Der 27 Zoll grosse Touchscreen ist zudem kein eigentlicher Computer, das heisst, er muss mit einem PC oder Laptop verbunden werden.
Das Surface Studio wurde uns von Microsoft zur Verfügung gestellt. Ich konnte es knapp drei Wochen testen.