Für Jürg Weber ist die Sache klar: «Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass meine Kinder nicht mehr mit der Plastikkarte bezahlen werden, wenn sie in meinem Alter sind», sagt der Chef des Geschäftsbereichs Payment Services beim Finanzdienstleister SIX. Karten, wie wir sie heute kennen, seien ein Relikt, das bald seinen Platz in unserem alltäglichen Gebrauch verlieren werde. «So wie die Kutsche», sagt Weber. Künftig würden wir stattdessen anders bezahlen: nämlich digital.
Im ersten Stock des unscheinbaren Bürogebäudes im Berner Quartier Mattenhof sehen das viele so. Hier, zwischen einer Werbeagentur und dem Schweizer Nuklearforum, hat sich der Mobile-Payment-Anbieter Twint eingemietet. «Es sieht hier nicht aus wie in einer Bank», sagt Twint-Chef Thierry Kneissler. Er untertreibt. Ein provisorisch eingerichtetes Grossraumbüro, Fabrikhallen-Charme, junge Menschen in T-Shirts: Es herrscht Start-up-Kultur.
Und das, obwohl Twint inzwischen alle Grossen hinter sich versammelt hat. Unternehmen wie SIX sind dabei. Von dieser Firma kommen viele der Bezahlterminals, die wir in Supermärkten und bei verschiedenen Dienstleistern täglich nutzen. SIX ist gar Anteilseigner von Twint.
Ebenfalls an Bord sind so ziemlich alle Banken der Schweiz. UBS, CS, Raiffeisen, Postfinance und über 30 kleinere Banken machen mit. «Wir sind das einzige Gemeinschaftswerk aller grossen Schweizer Banken», sagt Twint-CEO Kneissler. Die von der Postfinance unterstützte App Twint hatte Anfang Jahr noch einen inländischen Konkurrenten: Paymit, das von SIX und mehreren Banken lanciert worden war. Seit der Vereinigung der beiden Apps unter dem Dach von Twint ist die App tatsächlich zu der Schweizer Mobile-Payment-Lösung geworden.
Das Problem: Beim mobilen Bezahlen ist es nicht die inländische Konkurrenz, die bezwungen werden muss. Es ist die Übermacht aus den USA: Mit der Lancierung von Apple Pay, dem digitalen Portemonnaie des IT-Riesen, stimmten einige bereits den Abgesang auf Twint an. Doch geschlagen geben wollen sich die Schweizer nicht. Im Gegenteil.
Ende März nächsten Jahres kommt die neue App. Eigentlich wollte man schon früher fertig sein, räumt Kneissler ein. Doch viel mehr Banken als geplant hätten Interesse angemeldet. Deshalb die Verzögerung. Die Ziele der beteiligten Unternehmen sind wenig bescheiden: Man wolle zum Schweizer Marktführer in Sachen Mobile Payment werden, so der Tenor.
Dafür hat man sich in den kahlen Räumlichkeiten des Bürogebäudes in Bern etwas Besonderes überlegt. «Das Spiel wird entschieden mit dem Grundsatz: ‹mehr als payment›», sagt Twint-Chef Kneissler. Soll heissen: Auf den Mehrwert kommt es an. Konkret soll der Twint-Nutzer sämtliche Coupons, jede Art von Punkte- und Bonuskarten sowie alles, was er an Gutscheinen und Rabattaktionen heute noch in Form von Papierschnipseln durch die Gegend schleppt, in der Twint-App hinterlegen können. Beim Bezahlen, ob im Café oder im Supermarkt, wird der Rabatt dann automatisch über die App verrechnet. Das, so tönt es bei Twint, könne kein anderer Anbieter leisten.
«Den Kunden ist egal, wie viele Menschen weltweit Apple Pay nutzen oder dass die chinesische Lösung Alipay mehr Umsatz macht als die gesamte Schweiz – sie wollen ihre Treuepunkte», sagt SIX-Manager Jürg Weber. Im Café ums Eck will der Kunde den zehnten Kaffee gratis, wenn die Stempelkarte voll ist.
Mit Twint sei dies möglich. Aber nur, weil man eben eine Schweiz-spezifische Lösung gebaut habe. Hier könne jedes Café, jeder Coiffeur und jede Tankstelle mitmachen und Bonuskarten hinterlegen. Die Detailhändler sowieso. Bei internationalen Anbietern wie Apple sei das so nicht denkbar.
Weber sieht im mobilen Bezahlen für einen heimischen Anbieter ein ähnliches Potenzial wie im Elektrohandel oder bei Online-Auktionen – nach dem Motto: Was Digitec und Ricardo können, das schaffen wir auch. Die Beschaulichkeit der Schweiz könnte zum Trumpf werden.
Ob die Argumentation verfängt, oder die Phalanx aus Bargeld, Kreditkarten und Apple zu stark ist, wird sich zeigen. Klar scheint zumindest, dass eine andere heraufbeschworene Gefahr sich kaum als solche entpuppen wird: Der chinesische Anbieter Alipay, der ebenfalls mit SIX kooperiert und vor wenigen Tagen verkündet hat, in die Schweiz zu kommen, richtet sich nicht an Schweizer Kunden, betont SIX-Mann Weber. Die Zielgruppe seien Chinesen, die mit ihrer gewohnten App auch in der Schweiz einkaufen wollten.
(aargauerzeitung.ch)
Killerkriterium wird IMHO sein, ob man für den Bezahlvorgang das Gerät entsperren und eine App öffnen muss oder nicht.
Solange Twint auf Bluetooth bleibt und kein NFC darf/kann, und nicht auch bei gesperrtem Gerät funktioniert, wird es sich vermutlich nicht durchsetzen..