Mobilfunk- und Internet-Provider müssen von allen Kunden im Auftrag des Bundes speichern, wer wann wo mit wem telefoniert hat. Mit diesen auf Vorrat gespeicherten Daten lässt sich ein Kontaktnetzwerk spinnen, das Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen erlaubt. So lässt sich sagen, ob ein Kontakt zum Kreis der Familie, Freunde, Politiker oder Journalisten gehört und wie oft die Kontakte untereinander kommunizieren.
Unter Metadaten, die für diese Grafik ausgewertet wurden, versteht man Daten, die wiederum andere Daten beschreiben. Beispielsweise die Gesprächspartner eines Telefonats, Ort und Zeitpunkt des Gesprächs, der Empfänger einer SMS und der Betreff einer E-Mail.
Jede Kontaktpersonen ist in der Grafik als Kreis dargestellt. Je mehr man mit jemandem kommuniziert, desto grösser der Kreis. Kennen sich zwei Personen, sind sie mit Linien verbunden. Wenn eine Gruppe (Familie, Politiker etc.) besonders intensiv untereinander kommuniziert, wird sie in einer eigenen Farbe dargestellt.
«Nicht was man kommuniziere, sei gesellschaftlich bedeutend, sondern mit wem. Das bildet das soziale Umfeld, das Netzwerk einer Person ab», sagt Glättli in der «Schweiz am Sonntag». Mit wem er telefoniert, lässt zum Beispiel Schlüsse über seine politische Arbeit zu. «Mit genügend Metadaten lässt sich ein genaues Profil einer Person oder Organisation generieren, selbst wenn kein einziges Wort abgehört und kein Satz ausgelesen wird. Viele Leute halten Vorratsdaten für harmlos. Das ist leider falsch», sagt Datenschützer Hanspeter Thür im Interview mit der «Schweiz am Sonntag».
Ortungsdaten von Smartphones und Navigations-Geräten können helfen, Staus vorherzusagen und den Autofahrer um den Stau herum zu lotsen. Mit Bewegungsmustern von Pendlern lassen sich Bewegungsströme in Bahnhöfen optimieren. Und Verbindungsdaten von Terrorverdächtigen können deren Kontakte enthüllen.
All dies ist mit der Analyse von Metadaten möglich, also ohne dass auf den Inhalt der Gespräche, SMS und E-Mails zugegriffen wird. Beziehungsprofile, wie das Beispiel mit Nationalrat Glättli, können Geheimdienste in Sekundenschnelle berechnen. Dies ist möglich, weil nur Metadaten in die Berechnungen einfliessen und nicht die weit umfangreicheren Inhalte von Gesprächen oder E-Mails.
Seit bekannt wurde, dass die Geheimdienste der USA und Englands den weltweiten Internetverkehr überwachen, wird der Ausdruck Metadaten von Politikern meist beschwichtigend verwendet. So sagte Barack Obama nach Edward Snowdens NSA-Enthüllung, dass niemand die Gespräche mithöre, man analysiere nur die Metadaten. Gleich argumentiert der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob im Interview mit watson: «Die Mobilfunk-Anbieter zeichnen die Gespräche und den Inhalt von SMS in der Regel nicht auf. Inhalte sind viel sensibler als die gespeicherten Vorratsdaten, die lediglich zeigen, wer wann wo mit wem telefoniert hat.»
Fakt ist: Metadaten lassen sich viel einfacher als Inhalte mit Computern auswerten und können so mehr über Personen verraten, als die Inhalte selbst. Inhalte muss man interpretieren, Metadaten sprechen für sich selbst. Dies erklärt, warum die NSA laut Snowden täglich sechs Milliarden Metadaten sammelt und warum Glättlis Mobilfunkprovider in einem halben Jahr 7112 Datenbankeinträge speichert.
Wie viele Informationen eine Analyse von Metadaten ergibt, zeigt eine aktuelle Studie von Forschern der Stanford University. Die Wissenschaftler haben Smartphone-Nutzer gebeten, eine App zu installieren, die ihnen keine Inhalte, aber die Metadaten aus der Handy-Nutzung übermittelte. Durch den Abgleich der Handy-Verbindungs- und Ortungsdaten mit Online-Telefonbüchern, Facebook etc., war es den Forschern möglich, die Namen von 72 Prozent der damit verknüpften Studienteilnehmer herauszufinden.
Die genaue Analyse der Daten ergab interessante Einblicke in das Leben der Studienteilnehmer: Diese hatten Gespräche mit den Anonymen Alkoholikern, Waffengeschäften, Gewerkschaften, Scheidungsrichtern, auf Sexualkrankheiten spezialisierte Kliniken oder Strip-Clubs geführt. Ein Teilnehmer habe lange mit Herzspezialisten telefoniert, kurz mit einem medizinischen Labor gesprochen, Anrufe einer Apotheke entgegengenommen und immer wieder eine Hotline kontaktiert für ein Gerät, mit dem kardiologische Störungen überwacht werden können.
Eine andere Mitmachende habe zwei Tage nach einer ausführlichen, in den frühen Morgenstunden geführten Unterredung mit ihrer Schwester wiederholt mit einer Einrichtung für Schwangerschaftsabbrüche telefoniert. Die Forscher folgern daraus, dass Metadaten, obwohl keine Inhalte abgegriffen werden, «höchst sensibel» seien.