«Hate Speech» bei Facebook ist ein Problem.
Ein Riesenproblem.
Doch wir lösen es nicht mit der Justiz. Denn für viele ist Hass eine Bewältigungsstrategie.
Sollen wir dem Treiben also tatenlos zuschauen? Uns aus Online-Debatten mit vergiftetem Klima zurückziehen?
Ganz ehrlich: Als ich am Montag vom Urteil des Bezirksgerichts Zürich hörte, war ich zunächst erfreut. Hoch erfreut.
Meine Reaktion hat mit persönlichen Ressentiments zu tun. Nach Bekanntwerden der Wahl Donald Trumps im letzten November verliess ich bewusst meine harmonische Filterblase und fing an, Postings zu lesen, die weh taten. Ja, richtig schmerzten.
In aller Regel ist es kein offener Rassismus, der mir aus den Kommentaren ganz normaler User und Userinnen (ja, es sind auch Frauen) entgegenschlägt. Aber es ist eine scheinbar unaufhaltsame Flut von abfälligen Bemerkungen, meistens über die Politik, gewürzt mit einer Prise Ausländerhass.
Wäre es nicht schön, wenn solchen Postings ein Riegel geschoben würde? Wenn sich die Verfasser zumindest bei jedem Satz ernsthaft fragen müssten, ob sie damit zu weit gehen?
Angst ist ein brutal starker Antrieb, den niemand unterschätzen sollte: Wer sich im Kampf um die wirtschaftliche Existenz, ja ums eigene Überleben wähnt, ist anfällig für Rattenfänger.
Zwei Schweizer Juristen, die ich für ihre Expertise schätze, brachten mich auf eine andere Spur. Zuerst las ich das Interview mit dem Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger, dann sprach ich mit dem Basler Rechtsanwalt Jascha Schneider.
Für die erfahrenen Anwälte ist klar, dass die Meinungsäusserungsfreiheit nicht beschnitten werden darf. Im Gegenteil!
Das Recht auf freie Meinungsäusserung sollte von den Schweizer Gerichten stärker gewichtet werden. Schneider meint, dass wir uns von den USA eine Scheibe abschneiden könnten.
Die Gerichte stoppten viel zu rasch die Berichterstattung, obschon die Zivilprozessordnung eigentlich sehr hohe Hürden dafür vorsehe. Hier bestehe klar Handlungsbedarf, findet Schneider.
Womit wir wieder bei der Eigenverantwortung sind: Schnelles unreflektiertes Drücken des «Gefällt mir»-Buttons hielt ich noch nie für eine sinnvolle Tätigkeit: Wer dies weiterhin tut, sollte die Risiken und Nebenwirkungen kennen:
Wenn eine Aussage bei Facebook (oder sonst wo) klar ehrverletzend ist, oder gegen die Antirassismus-Strafnorm verstösst, dann muss jeder, der sich als Sympathisant zu erkennen gibt, mit Strafverfolgung oder zivilrechtlichen Schritten rechnen. Es ist dann an den Richtern, im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Verhalten strafbar war oder nicht. Dabei müssen auch die Motive des Beschuldigten und die gesamten Umstände zählen.
Das sagte die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon 2015 in einem Zeitungsinterview. Ich stimme der Politikerin zu und füge an, dass man sich aber sehr wohl bewusst sein sollte, dass Facebook ein unkontrollierbares Konstrukt ist. Wenn man giftigen Dampf hineinpumpt, kann er an verschiedenen Orten austreten ...
Als Mitglieder der Zivilgesellschaft haben wir andere Möglichkeiten, die wir aber auch aktiv wahrnehmen müssen, um die Gesamtsituation zu verbessern. Der deutsche Blogger Sascha Lobo brachte es in einer lesenswerten Kolumne bei Spiegel Online auf den Punkt: Gegenrede hilft – aber ohne Hass.
Dass die jüngste Initiative aus Deutschland hilft, die Meinungsfreiheit zu stärken, ist hingegen zu bezweifeln. Facebook und Co. sollen innert gewisser Fristen beanstandete Inhalte löschen, sonst drohen Bussen bis zu 50 Millionen Euro. Das Problem: Die Meinungsfreiheit ginge verloren, wenn die gewinnorientierten Unternehmen heikle Postings auf Vorrat löschten.
Weitere Informationen: «Geh sterben!» Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet (2015, PDF).