Seit Konsumenten ihre Lebensmittel online bestellen können, beissen sich die Detailhändler an Frischprodukten die Zähne aus. Sie müssen ihren Kunden beweisen, dass Bananen und Erdbeeren aus dem Internet genauso frisch sind wie an der Theke. Dabei würden Berufstätige mit wenig Zeit gerne morgens im Pyjama in der eigenen Küche Joghurts, Aufschnitt oder Milch bestellen und abends nach der Arbeit abholen oder am nächsten Tag nach Hause geliefert bekommen.
Nun gesellt sich zu den logistischen Herausforderungen auch ein neuer Konkurrent: der Online-Shopping-Gigant Amazon. Er testet derzeit in den USA einen kleinen elektronischen Scanner namens Dash (siehe Kontext). Mit ihm sollen gestresste Mütter oder Banker künftig ihre Kühlschränke füllen. Kinderleicht sei die Bedienung, verspricht Amazon. Nie wieder Rangeleien zwischen den Regalen oder zeitraubendes Schlangestehen an der Kasse. Das bietet heute nur noch der Tante-Emma-Laden um die Ecke.
Für Branchenkenner ist jetzt schon klar: Amazon Fresh wird mit seinem Stift nach Europa kommen. Als Kandidaten werden Frankreich, England und Deutschland gehandelt. Bereits verbreitet sich das Gerücht, Amazon wolle ab Herbst den neuen Wunderstift auch in Deutschland testen und verhandle mit Kühlhausanbietern und Lieferdiensten.
Und wie sieht es mit der Food-Shopping-Revolution hierzulande aus? Für Amazon Fresh ist der Schweizer Markt ein kleiner Fisch im Gegensatz zu Deutschland oder England. Die Schweiz ist aber wegen ihres hohen Preisniveaus attraktiv. Zudem glauben Branchenkenner, dass Amazon es schwer haben wird, sich gegen die angestammten Schweizer Detailhandelsriesen Coop und Migros durchzusetzen.
Experten sehen das Potenzial des kleinen Stifts eher in Megacitys wie London, Tokio oder New York. In London, wo es wenig Parkmöglichkeiten gibt, wird man dankbar mit dem Stift bestellen.
Dominique Locher, CEO der Migrostochter LeShop.ch, zeigt sich trotzdem offen gegenüber Amazons neuem Wunderstift: «Ich frage mich zwar, ob Kunden neben Smartphone und Tablet noch ein weiteres Gerät wollen und brauchen, um online zu bestellen. Aber der Vorteil des Stiftes ist, dass er nur das Eine kann und damit viel günstiger und schneller ist als ein Smartphone oder Tablet.» Dort müsse man zuerst die Applikation öffnen, sich einloggen und dann scannen. Fraglich sei, wie gut die Stimmerkennung funktioniere und wie viele Produkte bereits in der Amazon-Datenbank erfasst seien. «Für Amazon ist der Dash sicher ein Tool, das die Kunden bindet», vermutet Locher. «Für uns von LeShop ist dies eine der Entwicklungen, die wir besonders aufmerksam verfolgen», sagt er.
Schweizer Konsumenten kaufen heute gerade mal ein Prozent ihrer Lebensmittel online ein. Bis 2020 könne der Online-Markt noch bis zu sechs Prozent wachsen. Die fehlenden Prozente sieht Locher bei den Digital Nativs: «Die Jahrgänge nach 1982 sind mit dem Internet aufgewachsen. Diese Generation wird in sechs Jahren die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, und diese Konsumenten werden auch frische Lebensmittel im Internet kaufen.»
Konkurrenz für den Online-Giganten sehen die Experten auch am unteren Ende der Detailhandels-Kette: nämlich beim guten alten Tante-Emma-Laden um die Ecke. Zum einen haben diese kleinen Lebensmittelgeschäfte das Vertrauen ihrer Kunden und man kennt sich persönlich. Etwas, das mit der zunehmenden Anonymität beim Shoppen immer wichtiger werden dürfte. Gerade ältere Menschen schätzen den persönlichen Kontakt im Geschäft, so die Experten.
Zum anderen könnten diese kleinen Quartierläden auch beim jüngeren Publikum mit einem zusätzlichen Online-Service punkten. Wenn der Kunde künftig die Gelegenheit bekomme, via Smartphone auch in kleinen Geschäften zu bestellen, und er genau wisse, woher die Frischeprodukte kämen und wer sie liefert, könne das ein Riesenvorteil sein gegenüber anonymen Riesen wie Amazon.