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Nasswerden ist sowas von 2010 – wir, das Wetter und das World Wide Web

Auf diesem Bild lässt sich die Sonne durch ein sonniges Smiley vertreten. 
Auf diesem Bild lässt sich die Sonne durch ein sonniges Smiley vertreten. Bild: AP
Ein Volk von Wetterfröschen

Nasswerden ist sowas von 2010 – wir, das Wetter und das World Wide Web

21.07.2014, 20:1231.07.2014, 16:42
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Ein Facebook-Freund schreibt: «Der Nebel ist ein Arsch». Jörg Kachelmann sagt auf der Seite Kachelmannwetter, man solle bei Unwetter «... niemals Kinder und Tiere einfach so bescheuert im Auto zurücklassen» und dass Hamburg und Berlin «gar nie so ein richtiges Gewitter-Durchmarsch-Gedöns bekommen». Daneben steht: «Zur Vermeidung von #blödtod bei starken Gewittern...». Ja, das steht da tatsächlich. Das Time-Magazin postet noch immer Bilder vom Hagelsturm an einem sibirischen Strand.

Am Sonntag in der Badi sagt die eine Kioskfrau zur andern: «Zwischen eins und zwei kommt ein Gutsch, ab 17 Uhr stürmts dann richtig». Die andere meint: «Sehr blöd, ein Gutsch zwischen eins und zwei. Was soll denn da die Lena machen?». «Tee kochen, wir brauchen Eistee», sagt die erste. Abwarten und Tee kochen. Eine Freundin versichert uns, dass die Kioskfrau exakt diese Information von einer ganz bestimmten Wetter-App habe.

Wo kann man sich bloss gegen Regen beschweren? Auf Tripadvisor? Bei Kachelmann?
Wo kann man sich bloss gegen Regen beschweren? Auf Tripadvisor? Bei Kachelmann?Bild: AP CHINA COLOR PHOTO

Unser schönstes Weathergirl: Rihanna unter dem «Umbrella»

Der Gutsch kommt nicht, und der Sturm beginnt gegen 22 Uhr. Aber falsch geschätzt ist immerhin halb gewarnt. Nass werden wäre sowas von 2010. Man würde dabei ja etwas Unangenehmes spüren. Am eigenen Leib. Wäre das Wetter ein Mensch, man könnte es sofort der körperlichen Belästigung bezichtigen. Aber wo soll man sich denn jetzt beschweren? Auf Tripadvisor? Bei Kachelmann? Beim lieben Gott? Am Montagmorgen schreibt der Blick: «Der Regen hört nicht auf – kommt jetzt das Hochwasser?» Dabei ist ab Mittwoch schon wieder grosse Besserung in Sicht. Diese Medien!

Mein Liebesleben ruft: «Ein Regenbogen über Wiedikon! Komm auf den Balkon!» Zu exakt diesem Zeitpunkt hab ich den Regenbogen über Wiedikon schon von allen möglichen Seiten und von allen möglichen Balkonen gut dreissigmal auf Facebook gesehen, versehen mit allerlei positiven Gefühlsergüssen. Kein Mensch sagt da: «Der Regen ist ein Arsch.» 

Ich poste versuchshalber die denkbar langweiligste Wetterkonstellation von allen: Wolken bei Aarau. Die ersten beiden Likes kommen nach zwei Sekunden. Sind Wolken die neuen Büsis? Und schon frag ich mich: Soll ich die Einladung zur Facebook-Gruppe «Gesellschaft zur Wertschätzung der Wolken» vielleicht doch annehmen? Und Wolken wirken so wohlig beschwichtigend... Die weissen Wattebäusche der Engel... 

Mein Facebook-Testbild: Wolken bei Aarau.
Mein Facebook-Testbild: Wolken bei Aarau.Bild: Simone Meier

Früher einigte man sich darauf, dass das Wetter die unverfänglichsten Tischgespräche erlaube. Abseits der Gefahrenzonen Geld, Politik und Sex. Und jedermann zugänglich. Genau wie heute. Das Tischgespräch ist jetzt allerdings ein globalisiertes, einer der Gastgeber heisst Facebook, und gern reissen da die Dilettanten das Wort an sich.

Ende Januar, zum Beispiel, präsentierte ein amerikanischer Meteorologe das Modell eines fiktiven Schneesturms über New Jersey auf Facebook. Die Laien-Wetterfrösche unter den Usern dachten, die Simulation sei eine echte Vorhersage, sie wollten halt nicht lesen, was daneben geschrieben stand. Ein 16-jähriger Hobby-Meteorologe, die Feuerwehr und Gawker multiplizierten die Falschmeldung und New Jersey begann sich hysterisch auf einen Schneesturm vorzubereiten, der selbstverständlich ausblieb. In der Zwischenzeit hatten mehrere der Multiplikatoren die Meldung widerrufen, aber das war dann auch egal, was oft genug wiederholt wird, gilt am Ende als wahr.

Das Wappen von Arosa.
Das Wappen von Arosa.Bild: via Wikipedia

Das Emotionalisierungs-Potential, das dem Wetter innewohnt, ist für die (sozialen) Medien viel zu attraktiv, um es brach liegen zu lassen. Und gerade Facebook ist ja ein gärender Komposthaufen der Alltagsgefühle. Die Rede ist hier nicht von grossen Unwettern, die Verletzte und Tote fordern. Das ganz gewöhnliche Wetter macht Menschen glücklich, sauer, müde, krank. Der wetterfühlige Mensch redet dann gern von «Naturgewalt». Und die Natur wie die Gewalt muss man zähmen und bewältigen, beide sträuben sich gegen die virtuelle Sterilisierung unseres Alltags. Sie sind Feind und Faszinosum und nur dann Freunde, wenn die Sonne am Himmel steht und uns wärmt, aber nicht zu sehr.

Die Sonne verhält sich also am besten wie ein strahlendes Smiley, das seinerseits eine kleine Sonne darstellt. Im Smiley machen wir die Sonne zu unserem Stellvertreter. Vor uns haben sich schon Könige von einer Wonne-Sonne vertreten lassen oder Arosa und die Anti-AKW-Bewegung. 

Seit den 70ern bewegt diese rote Sonne die AKW-Gegner.
Seit den 70ern bewegt diese rote Sonne die AKW-Gegner.Bild: KEYSTONE

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Die Sonne ist uns zu jeder Jahreszeit willkommen: im Winter, wenn sie die Skipisten zum Glitzern bringt, im Frühling, wenn sie die ersten Blümlein aus der Erde herauskitzelt, im Sommer sowieso und um Herbst erst recht, wenn sie tiefer hängt und wie ein grosser goldener Kürbis vor sich hin leuchtet. Dabei ist Nebel wunderschön. Und Regen lebenswichtig. Es sei denn, der Regenradar der NZZ sagt mir, dass sich jetzt gleich eine Wolke über mir und meinem Velo erleichtern wird. Dann ist der Regen ein Arsch. 

P.S. Zum Schluss ein kleiner Wetterwitz: Eine Brünette, eine Rothaarige und eine Blondine treffen sich bei sengender Hitze in der Wüste. Die Brünette hat Wasser für alle mitgebracht. Die Rothaarige Sonnencreme. Die Blondine eine Autotür. „«Wofür den das?», fragen die beiden anderen. Darauf die Blondine: «Damit ich das Fester runterkurbeln kann, wenn es heiss wird.» (sme)

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