Als Amy Winehouse stirbt, am Samstag, den 23. Juli 2011, sitze ich in Zürich auf dem Idaplatz und denke, okay, für einmal soll sich die Sonne jetzt verpissen. Soll sich der Himmel dunkel verschleiern. Back to black. Amy ist 27.
Als Amy Winehouse am 25. Oktober 2007 im Zürcher Volkshaus auftritt, ist sie nach 50 Minuten auch schon wieder fertig. Es ist eins ihrer Katastrophenkonzerte. Vier Monate nach ihrem verheerenden Auftritt in Belgrad, den sie nie hat machen wollen. Aber damals hat das Management die schlafende, volltrunkene Sängerin in einen Wagen gezerrt, hat sie zum Flughafen gefahren und in ein Privatflugzeug nach Belgrad verfrachtet. Dort bleibt sie bei der Verweigerung.
In Zürich auch. Ihr unsäglicher Gatte Blake Fielder-Civil reicht ihr vom Bühnenrand aus Gin Tonic, Whisky Cola, Rotwein. Amy Winehouse weint, setzt sich auf den Boden, schmeisst das Mikrofon weg, kratzt sich, gähnt. Von den Augen ist unter den schwarzen Balken oft nur das Weisse zu sehen. Manchmal singt sie. Meist falsch. Aber manchmal richtig. Und das ist zum Sterben schön. Ihre Stimme scheint das letzte Organ in ihrem Körper zu sein, auf das gelegentlich Verlass ist. Eine Stimme, tief wie das Meer, weit wie der Himmel. Vor sechs Wochen ist sie 24 geworden.
All das war einmal.
Und jetzt ist da also der Film. «Amy – The Girl Behind The Name» von Asif Kapadia. Zwei Stunden und sieben Minuten über Amy Winehouse. Exakt 55 Minuten lang ist alles gut. Wir sehen ein enorm fröhliches, enorm begabtes, 14-jähriges jüdisches Mädchen, das ein ausgelassenes Geburtstagsständchen singt und sich für die altmodische, schwierige Disziplin Jazz interessiert. Mit 16 wird sie von einem 19-Jährigen, der für Sony arbeitet, «entdeckt».
Es folgen unbeschwerte, abenteuerlustige Jahre, das erste Album, das erste grosse Geld, die erste eigene Wohnung. Amy hat die grösste und lustigste Klappe des britischen Musikbusiness. Klar, sagt sie, wolle sie in ihren Songs ihr Leben bewältigen, aber immer mit einem schrägen, schwarzen Twist, den sie der Realität hinzufügt. Manchmal hat sie einen Freund. Aber vor allem hat sie die Musik. Der Soul ist ihre Seele, ihre Liebe, ihre Sucht und weit komplexer, als alles, was ihr Alltag zu bieten hat. Eine eigene Dimension.
Dann befinden wir uns im März 2006, Amy Winehouse steht im New Yorker Tonstudio von Mark Ronson und nimmt das Album «Back to Black» auf. Und singt «Back to Black». Und verarbeitet im Song das Ende ihrer Beziehung zu diesem fürchterlichen, dummen Ego-Arschloch-Schmarotzer Blake Fielder-Civil.
In dieser 55. Minute kommt alles hoch: Amys Genialität, Amys Kunst, das Glück ihrer Musik, die bleiben wird, auch wenn sie selbst nicht mehr ist. Es ist die Minute, in der man weinen will und soll.
Doch «Back to Black» heisst 2006 auch back to Blake. Das Beziehungsende entpuppt sich als blosse Pause. Die beiden heiraten. Amys Karriere schnellt in die höchsten Höhen, sie selbst stürzt ab. Blake füttert sie mit Heroin, Crack, Kokain. Fünf Jahre lang werden die Medien ihren lebenden Leichnam ausweiden. Werden sich in der Rehab, die ihr Russell Brand vermittelt und zu der sie schliesslich nicht «no, no, no» sagt, einquartieren und die Telefone ihrer Freunde und Familie hacken.
Neben Blake lernt man auch Amys Vater noch einmal so richtig hassen. Er gehört auf den gleichen Misthaufen wie die Väter von Bobbi Kristina Brown, Beyoncé, Michael und Janet Jackson. Ein Vater, der sich an der Tochter bereichern will. Der zuerst den Entzug nicht für nötig hält. Der eine Konzerttour nicht absagen will, obwohl die Tochter vor seinen Augen stirbt. Der sie mit einem unangekündigten Kamerateam in den Ferien heimsucht, weil er den Dokfilm «My Daughter Amy» drehen will.
Und was tut Asif Kapadia? Er nimmt keine Distanz, er macht keine Analyse. Er kritisiert niemanden, schliesslich haben ihm alle ihr Material zur Verfügung gestellt. Gerade der Vater. Aber wieso interviewt er den musikalisch so klugen Mark Ronson und Amys Zeit- und Schicksalsgenossen Peter Doherty, auf den sie so stolz war, nicht richtig? Oder Russell Brand, der den ergreifendsten Nachruf auf Amy Winehouse schrieb? Waren die zu teuer?
Statt dessen zeigt er noch einmal das ganze Elend, all die Bilder, die wir schon zu oft gesehen haben, bloss füllen sie jetzt eine ganze Leinwand. Natürlich hat das was von einem Elends-Thriller, natürlich schütteln einem die Gefühle nur so durch, natürlich möchte man in einem fort schreien: «Amy, I miss you!» Aber es gäbe auch noch Anderes. Ihre Musik, dieses verdammte Wunder. Wie machte sie die? Und wieso erhielt 2007 zum Beispiel «Rehab» den Grammy als beste Single der Welt und nicht Rihannas «Umbrella»?
Und warum hat sich Kapadia nicht die Mühe genommen, Amys Geschichte so zu erzählen, wie vor Kurzem das Leben von Kurt Cobain in «Montage of Heck» erzählt wurde? Kreativer, ungewöhnlicher, umsichtiger, sensibler?
Das Musikportal «Pitchfork» ist sich sicher, dass es sich dabei um ein «Gendering von Märtyrertum» handelt. Dass männliche Musiker mit Drogenkonsum ihren Mythos um eine romantische Aura erweitern können. Ein Kurt Cobain, ein Peter Doherty, ein Jimmie Hendrix. Dass bei ihnen auch das Elend Glamour hat. Während Frauen regelrecht hingerichtet werden. Ihr Elend ist eklig, denn von einer Frau wird die perfekte Hülle erwartet. Nicht Kotze, Blut und Kontrollverlust.
Der Drogenmusiker ist trotz aller Ohnmacht immer Subjekt. Die Drogenmusikerin dagegen ein Abjekt. Ein Objekt des Abscheus. Siehe Amy Winehouse, Whitney Houston, Janis Joplin. Da muss man ja draufhalten als Filmemacher, bloss keine Schonung. Rehe sind zum Schiessen da.
Es ist nur eine These, aber sie scheint auf tragische Weise schlüssig. Schade, Amy Winehouse hätte einen Film verdient, der es mit ihrer Musik aufnehmen könnte. Und mit ihrem grossen Lachen, das sie so früh verlor. Und ihrem Herz, das gut war, bis es an einem Samstag im Sommer still stand. Amy, I miss you.
«Amy»: Internationaler Kinostart am 3. Juli. Schweizer Kinostart am 16. Juli.