Cannes, Tag 2, und die Briten sind aus dem Häuschen: Victoria Beckham ist irrsinnig glücklich weil Zoe Seldana gestern Abend in einem weiss geraften Victoria-Beckham-Kleid über den roten Teppich schritt (es war aber auch schön), und die anderen freuen sich über den Wettbewerbsbeitrag von Mike Leigh, dem Meister des etwas ambitionierteren Wohlfühlfilms («Happy-Go-Lucky», «Another Year»).
In «Mr. Turner» hat sich Mike Leigh nun einem anderen Grossbriten gewidmet, dem Herrn der Nebel nämlich, dem Maler Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Dieser Herr Turner (Timothy Spall) ist ein irrsinnig grantiger Mann, er und seine ganze Familie sind durch eine grosse Abwesenheit an körperlichen Vorzügen geprägt, aber den feinen Sinn für wattige Landschaften, den hat er mit riesigen Löffeln gefressen. Insgesamt wäre das alles nicht uninteressant, zum Beispiel, wie Turner sich während eines Sturms an einen Schiffsmast fesseln lässt, um das Ungetüm namens Wetter so richtig mitzukriegen. Aber von der Tonalität wirkt der Film, als hätte die BBC einen besonders schlechten Kostüm-TV-Tag gehabt: Es herrscht eine anhaltende pittoreske Betriebsamkeit mit trippelnden Frauen und spitzen «Oh, I say!»-Rufen, dass man den Film als künstlerisch markanten Wettbewerbsbeitrag im Ernst nicht Ernst nehmen kann.