06:15 Uhr: Warren Beatty und Faye Dunaway präsentieren den letzten Oscar. Für den besten Film. Der vorletzte ging an Emma Stone für «La La Land». Die beiden alten Hollywood-Royals plädieren für Diversität und Weltfrieden. Sie sind richtig altes Hollywood. Gemeinsam 155 Jahre alt. Und sie kommen als Paar. Das kann nur «La La Land» heissen. Oder? Oder nicht? Ja, heisst es. Zuerst! Weil Warren Beatty irrtümlicherweise das Kärtchen für Emma Stones Oscar in die Hand geraten ist.
Da rennt also die «La La Land»-Crew auf die Bühne, beginnt sich zu bedanken, alle wischen sich Tränen aus dem Gesicht, schwafeln über Liebe und Freude, plötzlich heillose Verwirrung. Jordan Horowitz, der gerade zwei Oscars für den «La La Land»-Soundtrack und den besten Song gewonnen hat, schreit: «Guys, guys, I'm sorry, no, no, there's a mistake, ‹Moonlight›, you guys won best picture!»
Was für ein Chaos. Das «Moonlight»-Team weiss jetzt auch nicht mehr richtig, was sagen. Menschen aus zwei Filmen sind auf der Bühne und stürzen einander in die Arme, es ist der tollste Moment einer langen, laschen Nacht.
05:55 Uhr: Casey Affleck ist jetzt bester Schauspieler. Er hat schon den ganzen Abend über nasse Augen. Er ist Schauspieler geworden wegen Denzel Washington, sagt er, und jetzt hat er ihn zum ersten Mal getroffen. Auch Denzel hat nasse Augen. Ach ja, Damien Chazelle, 32, ist von der Academy zum besten Regisseur für «La La Land» gewählt worden. Fuck you, Academy.
05:37 Uhr: «Wir lassen euch auch die nächsten vier Jahre nicht allein», sagt Barry Jenkins, Drehbuchautor und Regisseur von «Moonlight» zu allen Verzweifelten Amerikas. Zu all den von der Regierung Trump Abgehängten. Sein Kollege widmet den gemeinsamen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch für «Moonlight» allen «schwarzen und braunen Jungs und Mädchen und allen, die nicht geschlechterkonform leben wollen».
05:20 Uhr: Drei Oscars hintereinander für «La La Land». Bitte NICHT bester Film. Bitte NICHT. Der Abend begann doch so gut. Jennifer Aniston kündigt die Rückschau auf die Verstorbenen an und muss weinen, als sie Bill Paxton («Big Love», «Aliens», «Titanic») erwähnt, der am Samstag gestoben ist.
05:00-05:10 Uhr: Von Mery Streep erwarten wir jetzt aber alles. Was gegen Trump, was gegen Karl Lagerfeld, mit dem sie übers Wochenende einen Krieg der Kleider auszufechten hatte. Und dann? Nichts. Einfach nichts. John Legend muss die reine weisse Seele von «La La Land» retten, indem er die beiden nominierten Songs «City of Stars» und «The Fools Who Dream» singt.
04:49 Uhr: Zweite Schweizer Oscarhoffnung auch tot. Aus, fertig. Nichts für den Kurzfilm «La femme et le TGV». Wir haben das ja realistisch gesehen, nicht weinen, Leute. Auch für den Dokfilm «I Am Not Your Negro», einer schweizerisch-französisch-belgisch-amerikanischen Koproduktion gab es nichts.
04:20 Uhr: Huch? Ein Touristenbus wurde zu den Oscars entführt? Menschen ohne Make-up und im Reisebus-Outfit klicken sich mit ihren Smartphones an den Stars vorbei. Die Strasse trifft auf die Sterne. Was aber keine Milchstrasse ergibt, sondern bloss einen etwas ungelenken Scherz.
04:14 Uhr: «Als migrantischer Arbeiter, als Mexikaner, als Mensch bin ich gegen jede Mauer, die uns trennen könnte», sagt Gael Garcia Bernal. Er kündigt die nominierten Animationsfilme an. Da ist «Ma vie de Courgette» noch dabei. Im Gewinner-Couvert dann allerdings nicht mehr. Husch, husch, verflüchtige dich, Schweizer Traum vom Oscar.
03:50 Uhr: «Oh captain, my captain, Denzel Washington! Thank you!» Viola Davis dankt ihrem Regisseur und Leinwandpartner. Sie hat es geschafft, endlich. Sie weint, andere weinen. Danke, Academy, danke! Auch von uns!
Well said, @violadavis. #Oscars pic.twitter.com/dVyZJ8Zn5B
— The Academy (@TheAcademy) 27. Februar 2017
Überhaupt läuft bis jetzt alles genau so, wie wir uns das gewünscht haben. Oscars für «Moonlight», «Arrival» und Viola Davis. Wehe, die wichtigen Kategorien gehen an «La La Land», wehe! Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, spätestens in etwa drei Stunden.
03:40 Uhr: Das Wort «Trump» fiel bisher ein einziges Mal, bei Jimmy Kimmel. Der im übrigen sagte, auch er würde die «geteilte Nation» nicht wieder vereinen können, nicht einmal Braveheart könne das. Also der anwesende Mel Gibson. Bis jetzt waren alle vornehm zurückhaltend. Hoffentlich kommt Madonna noch und sagt, sie möchte das Weisse Haus in die Luft sprengen.
03:25 Uhr: Kleine Fallschirme mit Süssigkeiten fallen auf das Publikum.
It's raining candy at the #Oscars. https://t.co/LOhkJ3ZP65 pic.twitter.com/hgVxzP189o
— ABC News (@ABC) February 27, 2017
03:13 Uhr: Ezra Edelman nimmt den Oscar für den Dokfilm «O.J.: Made in America» entgegen. Von den drei Heroinnen aus «Hidden Figures», die auf der Bühne von der ältesten noch lebenden ehemaligen NASA-Mathematikerin begleitet werden. Sie heisst Katherine Johnson, ist 98 und wird im Film von Taraji P. Henson gespielt.
Im November 2015 hatte Barack Obama eine Medal of Freedom an Johnson verliehen.
Nicole Kidman can't clap either why is this happening pic.twitter.com/EJbJ6ePrxl
— lauren yap (@itslaurenyap) February 27, 2017
Früher in der Nacht: Colleen Atwood hat soeben ihren fünften Oscar entgegen genommen! Mahershala Ali, der coolste Mann im Dolby Theatre, weint. Vier Tage nach der Geburt seiner Tochter hat er einen Oscar gewonnen. Es ist der erste Oscar des Abends, der erste für «Moonlight».
Wir sind an einer Feier unter Freunden. Die Stimmung: ausgelassen, überbordend emotional, schlicht, schön. Justin Timberlake kam als Eröffner singend und tanzend von draussen rein, Moderator Jimmy Kimmel sagte, dass die Oscars in 225 Länder ausgestrahlt werden, «die uns jetzt hassen», und dass es doch grossartig sei, sich vorzustellen, wie Trump morgens um fünf «während seines Stuhlgangs und in Grossbuchstaben» über die Oscarreden twittern werde.
Und gleich gibt Justin Madonna einen Zungenkuss auf der Bühne um sich an Britney Spears zu rächen. #Oscars #Oscars2017
— Beatkotelett (@Beatkotelett) February 27, 2017
Wir führen dann mal eine Strichliste #Oscars2017 pic.twitter.com/HzFGRRJ5Yf
— SZ Magazin (@szmagazin) February 26, 2017
Jetzt ist auch Ryan Gosling da! In einem Rüschenhemd. Really, Ryan? Anna findet übrigens das Vorhang-Röckli von Emma Stone entsetzlich. Aber Anna trinkt jetzt auch wieder Red Bull. Obwohl sie eigentlich auf Entzug ist.
Jamie Dornan aka Christian Grey hat ja an den Oscars nicht wirklich was zu suchen, darf aber die Kategorie «Ausstattung» ansagen. Wahrscheinlich, weil seine eigene Ausstattung in «Fifty Shades» immer so gut zu sehen ist. Er ist jetzt schon voll fertig, weil er Meryl Streep begegnen wird.
Gätjen will von ihm wissen, ob er, Gätjen, mal nackt moderieren soll. Wären wir jetzt nicht drauf gekommen. Dornen rät: «Ich würde einfach meinen, machs nicht!» Dornans Leinwand-Spielgefährtin Dakota Johnson trägt primelgelb Zerknautschtes von Gucci.
Sandra Hüller! Die Göttin aus «Toni Erdmann», die Cate Blanchett des europäischen Kinos! Eben stand sie noch in Zürich auf der Theaterbühne. ProSieben-Mann Steven Gätjen will auch von ihr wissen, ob er nackt moderieren soll, schliesslich habe sie mit der grossen Nacktszene in «Toni Erdmann» ja viel Erfahrung ... Was für ein Exhibitionist!
Gätjen weiss auch, dass Viggo Mortensen findet, Frauen spielen besser als Männer. Und wie wendet Viggo dies nun auf sich selbst an? «Ich hab ein grosses Mädchen in mir drin. Ich frag sie immer: Was soll ich jetzt tun? Und dann hör ich ihr zu und gehorche ihren Befehlen.»
Samuel L. Jackson hat für «La La Land» nur ein zwischen zusammengebissen Zähnen hervorgepresstes «right» übrig.
Zu den #Oscars aufbleiben, It's much heavier than I imagined. #Oscars2017 pic.twitter.com/1yWZAOHCMu
— Howdy Simon (@suubmarine) 27. Februar 2017
Trump-Anhänger protestieren gegen die Hollywood-Elite auf dem Hollywood Boulevard. Es waren im Ganzen sagenhafte 12 Personen. Ihre Hoffnung: Immer, wenn die elitären Stars Trump bashen, wechseln Millionen von Zuschauern den Kanal und sorgen für schlechte Einschaltquoten. Hahaha.
#SunnyPawar is litch the cutest lil guy @LionMovie #Oscars pic.twitter.com/SHBNiHXneJ
— Aaron Vallely (@Vallmeister) 26. Februar 2017
Die blaue Schleife, die zum Beispiel Ruth Negga trägt, ist eine Trump-Protest-Schleife. Sie repräsentiert die Nichtregierungs-Organisation American Civil Liberties Union (ACLU). Die ACLU protestierte als erste gegen Trumps Einreisesperre.
«It's Sting, I'm in Hollywood», sagt Sting auf dem roten Teppich. Und dass «Mitgefühl» in diesen politisch schwierigen Zeiten am wichtigsten sei. Der rote Teppich lebt und bebt jetzt. Jackie Chan hat zwei Pandabären dabei, aus Stoff natürlich, sie sind die Botschafter seiner Charity-Organisation.
«Nicole Kidman, was erwartest du fashionmässig?», fragt ein ProSieben-Mädchen Michael Michalsky, den ganz gewiss nicht grössten lebenden Modedesigner Deutschlands. «Uuuuu, sie wird sicher wieder wie ein Papagei aussehen», und dass ihr Körper «ein Work in progress» sei und man sie vielleicht gar nicht erkennen würde. Frech.
Falls ihr noch mehr über den Riesenkatzenfilm mit Melanie Griffith wissen wollt, von dem ProSieben gerade erzählt hat (und der einer der gefährlichsten Filme war, die je in Hollywood gedreht wurden) – hier ist er:
Hier sind wir. Eure Anna und Simone. Gemeinsam haben wir immerhin zehn der nominierten Filme gesehen. Das heisst: Anna hat zwei gesehen. Trotzdem haben wir klare Favoriten unter den diesjährigen Nominierten. Hier sind die wichtigsten Kategorien und unsere auf total soliden Grundlagen beruhenden Prognosen:
Anna: Die Aliens wohnen in «Arrival» in dieser Schale ohne Fenster? Das kann nicht gut gehen. Da drin verlieren sie ihren Verstand – falls sie einen haben. Aber sie können uns sowieso nicht vernichten. Sie sind eingesperrt. Ihr Haus hat keine Tür. Das riecht mir nicht nach Oscar. Am liebsten würd ich natürlich den mit Jeff Bridges nehmen, aber der Ben Foster hat so eine saublöde Sonnenbrille an auf dem Cover. Die hat die Macht, einen ganzen Film zu versauen, so dumm ist die. Ich nehme «Moonlight». Schöner unbekannter junger schwarzer Mann, du sollst gewinnen!
Simone: «Moonlight», unbedingt! Ich dachte erst, reiner Männerfilm, Ghetto-Opfer-Kitsch für Arthouse-Gänger, langweilig. Aber dann zertrümmert der Bub, der von seinen Klassenkameraden fertig gemacht wird, weil er einen andern Buben geküsst hat, einen Stuhl auf dem Kopf seines Peinigers, ist kein Opfer mehr und alles wird viel interessanter als etwa in «Brokeback Mountain». Ab da war ich verliebt. Tolle Kamera, harte Jungs mit zarten Gefühlen, und einer von ihnen kann wohl richtig gut kochen.
Simone: Ich glaube, im richtigen Leben könnte ich Natalie Portman nicht ausstehen. Die ist zu perfekt. Ein zu guter Mensch. Und schon wieder schwanger. Aber eine tolle, tolle Schauspielerin. Gerade als Jackie Kennedy. Quasi ein gebrochener majestätischer Hirsch.
Anna: Meryl, weisst du denn nicht, dass Hugh ein Unsympath ist?! Aber dafür, dass du deinen Kopf so vertrauenswürdig an seine Schulter lehnst und dabei noch so aussiehst, als ob das Ganze ein nicht enden wollender Genuss ist, hast du einen Oscar verdient.
Anna: Ryan, es tut mir leid. Aber Musicals sind ganz generell der allergrösste Mist. Ich will das Kind mit der Gasmaske, das Viggos Hand hält.
Simone: Da bin ich jetzt, wie alle andern auch, klar für Casey Affleck. Sehr rührend, wie er einen spielt, der zu ungeschickt ist, sein Glück zu bewahren. Traurig, tragisch, trotzdem immer wieder lustig. Sehr herziger Independent Film.
Simone: Hmmm ... «La La Land»? Nein, zweifellos «Arrival». Es gibt ja alle paar Jahre mal wieder diese Filme, die ein Genre neu definieren, etwa «Let the Right One In» den Vampir- und «The Girl with All the Gifts» den Zombiefilm. Und das ist nun «Arrival» für das Science-Fiction-Genre. Ungewöhnlich, unheimlich, wunderschöne Bilder. Ich würde gern von einem der klugen Siebenbeiner heimgesucht werden.
Anna: Denis Villeneuve, du hast die Aliens in die Schale gesperrt. Womöglich war das das Beste, was der Menschheit passieren konnte.
Simone: Nicht, dass ich «Fences» gesehen hätte, aber ich liebe Viola Davis heiss aus der Auch-Anwälte-sind-Mörder-Serie «How to Get Away with Murder». Wie soll ich die Serie erklären? Anna, willst du die jetzt erklärt haben? Es ist kompliziert.
Anna: Nein! Aber auch Viola Davis! Dieses Lachen! (Hat ihr da jemand grad seinen verschwindend kleinen Penis gezeigt?)
Anna: Michael Shannon! «Nocturnal Animals» ist der eine von zwei nominierten Filmen, die ich auch wirklich gesehen habe. Und er spielt diesen sehr abgefuckten, sehr grandiosen Sheriff. Einer von der Sorte, die nicht viel reden. Er ist reinste Tat.
Simone: Von mir aus Dev Patel. Nicht, dass ich «Lion» gesehen hätte, aber ich mochte ihn sehr in der britischen Teenie-Serie «Skins», die Anna zum Glück auch kennt. Und er hat mir mal viele Komplimente gemacht. Das würde ihm sehr helfen, wenn ich in der Oscar-Jury wäre.
Anna: «She is as cool as the ocean»?! Dümmster Spruch ever. Aber Moana ist tatsächlich sehr toll. Stark und eigenwillig. Ein wunderbares Idol für kleine Mädchen.
Simone: Ich interessiere mich nicht für Animationsfilme. Den Schweizer Kandidaten «Ma vie de Courgette» hab ich gesehen. Schrecklich. Aber ich mag auch keine Puppen mit zu grossen Köpfen. Und sentimentale Waisenkindergeschichten. Aber nach zwei Césars? Ich fürchte, der gewinnt.
Simone: Ich glaube, ich hasse Kurzfilme, sorry. Wahrscheinlich wird Favorit «Timecode» auch diesen Preis gewinnen. Er hat schon so viele. Die Geschichte dürfte Depro pur sein. Langeweile, leere Parkhäuser. Nur gut, dass dies kein langer Film wurde. Kann mir nicht vorstellen, dass die Schweiz gewinnen sollte. Zu betulich. Zu viele Käsewitze.
Anna: Wie kurz sind Kurzfilme eigentlich? Bis zu einer halben Stunde, sagt Simone. Mobbing («Sing») geht nicht. auch nicht für eine halbe Stunde. Und auch nicht in Ungarn. Ich finde diese Botschaft wichtiger als das mit dem TGV. Sorry, Schweiz.
Sie alle haben noch keinen und sind auch jetzt nicht nominiert. Du kannst entscheiden, wer weiterhin (k)einen verdient hätte.