Es ist eine traurige Bilanz, die eine Gruppe europäischer Journalisten, darunter zwei NZZ-Redaktorinnen, in der Untersuchung The Migrants' Files ziehen: Seit dem Jahr 2000 sind über 23'000 Migranten auf dem Weg nach Europa gestorben oder als vermisst gemeldet worden – deutlich mehr als bislang angenommen.
Auch Schweizer Vorfälle sind in der Datenbank verzeichnet – 16 an der Zahl. Anhand von Daten der «NZZ» und der Menschenrechtsorganisation Augenauf konnten einige der Schicksale rekonstruiert werden.
Name: unbekannt
Geschlecht: weiblich
Alter: 30
Nationalität: Nigeria
Todesursache: ungeklärt
Datum: 3. Juni 2011
Ort: Polizeigefängnis Zürich
Die Frau war am 1. Juni wegen ihrem auffälligen Verhalten im Flughafen Zürich überprüft worden. Dabei stellte sich heraus, dass ihr Asylgesuch abgelehnt wurde und sie bereits im August 2009 das Land hätte verlassen müssen.
Name: unbekannt
Geschlecht: männlich
Alter: unbekannt
Nationalität: möglicherweise Kamerun
Todesursache: erstickt
Datum: 18. April 2010 (Leichenfund)
Ort: Weisslingen (ZH)
Zwei Frauen fanden die Leiche in einem Waldtobel. Knochenbrüche und eingedrückte Baumkronen legten nahe, dass sich der junge Mann im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs versteckt hatte und beim Anflug aus der Maschine gefallen war.
Name: Alex Khamma
Geschlecht: männlich
Alter: 29
Nationalität: Nigeria
Todesursache: Herzversagen
Datum: 17. März 2010
Ort: Flughafen Zürich
Alex Khamma starb am Flughafen Zürich, bevor er mit einem Sonderflug in sein Heimatland hätte ausgeschafft werden sollen. Gemäss Obduktionsbericht ging sein Tod «auf ein Versagen des schwer vorgeschädigten Herzens zurück». Obwohl unklar war, welcher der Faktoren Hungerschwäche, Zwangsanwendung und Herzfehler beim Tod Khammas welche Rolle gespielt hatte, sah die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft den Fall als geklärt. Die Behörden wurden von der Menschenrechtsorganisation Augenauf daraufhin scharf kritisiert.
Name: Andy Bestman
Geschlecht: männlich
Alter: 24
Nationalität: Nigeria
Todesursache: ertrunken
Datum: 30. Mai 2008
Ort: Rhein bei Basel
Andy Bestman war in der Nacht von zwei Polizeifahndern kontrolliert worden. Er flüchtete und sprang in den Rhein. Die Polizei fand ihn nicht und ging davon aus, dass er wieder an Land geklettert war. Bekannte aus dem Umfeld des Asylbewerbers kritisierten, die Polizei habe zu wenig unternommen, um ihn zu retten.
Name: Abdi Daud
Geschlecht: männlich
Alter: 40
Nationalität: Somalia
Todesursache: Tuberkulose
Datum: 23. März 2008
Ort: Universitätsspital Zürich
Abdi Daud verstarb auf der
Intensivstation des Universitätsspitals Zürich an einem heftigen Ausbruch von Tuberkulose. Daud
war vom Flughafengefängnis Zürich, wo er in Durchsetzungshaft
gesessen hatte, eingeliefert worden. Die Menschenrechtsorganisation Augenauf kritisierte damals, der Somalier sei während der Haft ungenügend medizinisch behandelt worden.
Name: Mariame Souaré
Geschlecht: weiblich
Alter: 25
Nationalität: Guinea
Todesursache: Sturz
Datum: 25. August 2007
Ort: Genf
Die junge Frau, die sich illegal in der Schweiz aufhielt, starb bei einem Sturz aus dem fünften Stockwerk beim Versuch, über ihren Balkon vor der Polizei zu fliehen.
Name: John Wallas
Geschlecht: männlich
Alter: unbekannt
Nationalität: Liberia
Todesursache: ungeklärt
Datum: 13. September 2007
Ort: Genf
John Wallas wurde tot auf der Strasse gefunden. Er litt offenbar unter Alkoholproblemen und war einen Monat zuvor aus einer Asylunterkunft weggewiesen worden.
Name: unbekannt
Geschlecht: männlich
Alter: 25-30
Nationalität: arabischer Raum
Todesursache: erhängt
Datum: 23. Januar 2005
Ort: Genf
Der abgewiesene Asylbewerber erhängte sich mit einem Leintuch in einer Zelle im Untersuchungsgefängnis des Polizeigebäudes Sarnen.
Im Januar 2004 erhängten sich zwei Untersuchungshäftlinge in Lachen (SZ) und Bellinzona. Über beide Männer ist nicht mehr bekannt.
Name: unbekannt
Geschlecht: männlich
Alter: unbekannt
Nationalität: Osteuropa
Todesursache: unbekannt
Datum: 20. August 2004 (Leichenfund)
Ort: Uznach (SG)
Ein Wanderer hatte menschliche Knochen entdeckt. Die Ermittlungen ergaben, dass die menschlichen Überreste einem jungen Asylbewerber aus Osteuropa gehörten. Dieser war Mitte Juni zusammen mit drei weiteren Männern vor einer Polizeikontrolle im Zusammenhang mit einem Autodiebstahl geflüchtet.
Name: Osuigwe Christian Kenechukwu
Geschlecht: männlich
Alter: 22
Nationalität: Nigeria
Todesursache: Lungenentzündung
Datum: 12. Februar 2003
Ort: St. Gallen
Osuigwe Christian Kenechukwu litt an Windpocken. Sein Zustand verschlechterte sich massiv, dringliche Bitten an die Heimleitung, ein Spital aufsuchen zu dürfen, wurden abgelehnt. Seine Wohngenossen verständigten die Polizei. Als die Ambulanz eintraf, war der Nigerianer bereits tot. Die Behörden verwiesen auf Drogenmissbrauch, später zeigte eine Autopsie, dass eine Lungenentzündung Todesursache war. Die Menschenrechtsorganisation Augenauf und die Anlaufstelle gegen Rassismus CaBi warfen dem Asylheim Verweigerung ärztlicher Hilfe und rassistisch motiviertes Handeln vor.
Name: Hamid Bakiri
Geschlecht: männlich
Alter: 30
Nationalität: Algerien
Todesursache: erhängt
Datum: 19. September 2001
Ort: Chur
Hamid Bakiri nahm sich das Leben, einen Tag bevor er hätte ausgeschafft werden sollen. Die Familie des Flüchtlings forderte 40'000 Franken Genugtuung, da der Freitod Bakiris auf die «unmenschlichen Haftbedingungen» im Untersuchungsgefängnis zurückzuführen seien. Die Klage wurde abgewiesen.
Name: Samson Chukwu
Geschlecht: männlich
Alter: 27
Nationalität: Nigeria
Todesursache: plötzlicher Gewahrsamstod
Datum: 1. Mai 2001
Ort: Granges (VS)
Samson Chukwu erstickte im Walliser Gefängnis Granges. In jener Nacht hätte der abgewiesene Asylsuchende nach Nigeria ausgeschafft werden sollen. Dagegen wehrte er sich heftig. Als er mit auf dem Rücken gefesselten Händen bäuchlings von Polizisten auf den Boden gedrückt wurde, bekam er nicht genug Luft und starb. Die Familie forderte Genugtuung, doch der zuständige Untersuchungsrichter sagte, es deute nichts auf übertriebene Gewaltanwendung hin. Amnesty International kritisierte die Schweiz für ihre Polizeimethoden.
Name: unbekannt
Geschlecht: männlich
Alter: 20
Nationalität: Westafrika
Todesursache: erhängt
Datum: 31. Dezember 2000
Ort: Schaffhausen
Der Ausschaffungshäftling erhängte sich an Silvester 2000 mit einem Leintuch am Fensterrahmen seiner Zelle. Der Gefängnisaufseher fand ihn bei der Essensausgabe. Trotz der sofort eingeleiteten Reanimation durch die Rettungskräfte der Polizei und des Kantonsspitals konnte nur noch der Tod des Mannes festgestellt werden.
Der neueste Eintrag in der Datenbank stammt aus dem Jahr 2011. Seither sind leider vier weitere Migranten in der Schweiz ums Leben gekommen.