Mittwochabend, 22. April 2015: Draussen ist wunderbares Wetter, im TV läuft die Champions League – aber wenn es um die SCL Tigers geht, zählt alles andere nicht. An diesem Mittwochabend ist der grosse Tigersaal im Langnauer Hockeytempel voll. Gut 800 Leute sind herbeigeeilt, um einem Podiums-Gespräch des Lokalradios Neo1 zu lauschen. Es geht um die SCL Tigers. Wie geht es nach dem Aufstieg weiter? Unter anderem stehen Präsident Peter Jakob, Sportchef Jörg Reber und Nachwuchschef Ivan Brägger Red und Antwort.
Das enorme Publikumsinteresse ist ein weiteres Zeichen, dass es um viel mehr geht als um Sport. Die SCL Tigers sind hier ein Teil der Kultur, des öffentlichen Lebens und das Interesse ist grösser als bei jeder politischen Informationsveranstaltung über weitaus wichtigere Fragen des öffentlichen Lebens. Diese tiefe Verwurzelung des NLA-Aufsteigers ist fast unheimlich und in den urbanen Zentren des Landes unvorstellbar.
Aber was sind diese SCL Tigers nach dem grandiosen Wiederaufstieg? Die Blüemlisalp oder die Titanic? Die Blüemlisalp ist das wunderbar restaurierte Dampfschiff aus der «Belle Epoque», das heute wieder auf dem Thunersee fährt. So sehen viele die SCL Tigers. Ein Dorfklub aus der «Belle Epoque», der wunderbar restauriert wieder durch die stürmischen Gewässer der höchsten Liga dampft.
Oder ist es am Ende die Titanic? Ein stolzes Schiff, das von allen überschätzt wird und mit dem Trainerwechsel bereits den Eisberg gerammt hat? Aber niemand merkt es? Die Passagiere auf der echten Titanic hatten den Zusammenstoss mit dem Eisberg damals auch nicht bemerkt. Bloss ein leises Zittern war durchs Schiff gelaufen.
Ein Mysterium sind die SCL Tigers auf jeden Fall geworden: ein Hockeyunternehmen, das sich der Erklärbarkeit immer mehr entzieht.
Warum ist der Vertrag von Aufstiegstrainer Bengt-Ake Gustafsson nicht mehr verlängert worden? Das wird vorne auf dem Podium auch diskutiert. Dabei zeigt sich nun, dass es nicht einfach um eine nachvollziehbare Veränderung im Hinblick auf eine neue Herausforderung geht.
Erst wurde erklärt, Sportchef Jörg Reber habe so entschieden und sein Entscheid sei vom Verwaltungsrat bloss noch abgesegnet worden. Nun gibt Präsident Peter Jakob auf die Frage, ob es stimme, dass der Sportchef dem Trainer für den Falle eines B-Meistertitels einen neuen Vertrag versprochen habe, vorne auf dem Podium eine seltsame Antwort: Das könne schon deshalb nicht sein, weil der Sportchef gar keine Kompetenz habe, solche Versprechen zu geben. Die Trainerfrage entscheide der Verwaltungsrat.
Wer trägt nun also die Verantwortung für den Trainerwechsel? Der Verwaltungsrat oder der Sportchef? Die Trainerfrage wird immer mehr zum Mysterium. Es ist gar grober Unfug vom Sportchef vorne auf dem Podium zu sagen, man könne eben in der Öffentlichkeit nicht alles sagen, was zur Trennung geführt habe. So entsteht der Eindruck, Bengt-Ake Gustafsson habe sich etwas zu Schulden kommen lassen.
Zu einem guten Hockey-Unternehmen gehört eine starke Nachwuchsabteilung. Die Junioren werden in Langnau gern und viel gerühmt. Langnau war 1976 mit einer Mannschaft Schweizer Meister, in der nur zwei Spieler nicht aus dem Dorf kamen: Torhüter Edgar Grubauer und Stürmer Heinz Huggenberger.
Logisch also, dass die Junioren bei diesem Mittwochs-Podium ein wichtiges Thema sind. Seit Simon Moser 2009, also seit sechs Jahren (!), hat es kein Langnauer in ein U18- oder U20-WM-Team geschafft. U18-Nationaltrainer Manuele Celio hat im Rahmen der WM gesagt, warum er Fabian Haberstich, Langnaus grösstes Talent, nicht nominiert habe. «Er ist nicht austrainiert, er hat Übergewicht und ihm fehlt die richtige Eistellung. Er glaubt, vom Talent leben zu können.»
Phillip Kuraschew, der Bub von Langnaus Elitetrainer Konstantin Kuraschew, spielt beim SC Bern. Nun geht auch Konstantin Kuraschew und wechselt zu den Lakers. Die Langnauer Elite-Junioren haben zweimal hintereinander die Playoffs verpasst. Langnaus Nachwuchs kann auf höchster Ebene weder als Mannschaft noch mit Einzelspielern überzeugen.
Langnaus Nachwuchschef Ivan Brägger begründet vorne auf dem Podium die Schwierigkeiten mit so viel Charisma wie ein altgedienter Gemeinderat, der seinen Stimmbürgern emotionslos erläutert, warum ein Strassenstück nicht geteert werden kann. Er hat kein Charisma und dem neutralen Beobachter dämmert, dass er kaum jemanden für die Langnauer Nachwuchsorganisation begeistern kann. Es wird bloss gejammert, dass man kein zweites Eisfeld zur Verfügung habe und die anderen halt aufgeholt und dies und das haben, was man nicht habe. Würde das gesamte Unternehmen der SCL Tigers mit dieser Mentalität geführt, würden die Langnauer in der 1. Liga spielen.
In der Nachwuchsabteilung der SCL Tigers, die der Präsident vorne auf dem Podium launig als Forschungs- und Entwicklungsabteilung seines Unternehmens bezeichnet, stimmt offensichtlich viel zu vieles nicht. Und das ist verhängnisvoll. Denn hier wird die Zukunft verspielt. Der neutrale Beobachter dieses Podiums wird den Eindruck nicht los, dass es eigentlich alle wissen, aber dass niemand etwas sagen will – man ist ja aufgestiegen und will die Stimmung, die Andacht nicht trüben.
Wer mag nach diesem grandiosen Wiederaufstieg die Dinge hinterfragen, kritisieren, polemisieren? Niemand. Und das ist logisch. Die Sieger haben immer recht. Der Wiederaufstieg ist eine der erstaunlichsten Leistungen in der neueren Geschichte des Mannschaftsportes. Dieses Podium wirkt daher eher wie Dankesfeierlichkeiten, die einfach niemand stören mag – auch wenn die dabei aufscheinende Widerspräche und Alarmzeichen noch so offensichtlich sind.
Dazu passt, dass er ebenfalls geladene Kevin Schläpfer vorne auf dem Podium für beste Unterhaltung und gute Laune sorgt. Er ist ein so begnadeter Erzähler, dass seine Kritik an den Missständen im Nachwuchs gar nicht wahrgenommen wird. Biels Trainer sagt nämlich, entscheidend im Nachwuchs sei nicht Geld, sondern die Qualität der Trainer. Eltern und Buben wollen dort sein, wo sie Perspektiven sehen und wo sie sich wohlfühlen.
Die Geschichte lehrt uns, dass schicksalsschwere Fehlentscheidungen nicht in der Not, sondern in den Zeiten der grössten Triumphe gefällt werden. Napoléon entschied sich ohne Not auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung dazu, nach Russland zu marschieren. Die SCL Tigers haben sich auf dem Höhepunkt der Euphorie rund um den grandiosen Wiederaufstieges dazu entschieden, den Trainer, der alles richtig gemacht hat, nicht mehr zu beschäftigen. Und durch einen kauzigen Aussenseiter zu ersetzen. Und sie lassen die Nachwuchsabteilung sehenden Auges verkommen.
Alles in allem zu wenig Blüemlisalp und beunruhigend viel Titanic.