Wirtschaft
Schweiz

«Herr Lampart, war die Mindestlohn-Initiative ein Eigengoal?»

Ein junger Mann schaut sich am Abstimmungssonntag ein «Glücksrad» mit verschiedenen Löhnen an.
Ein junger Mann schaut sich am Abstimmungssonntag ein «Glücksrad» mit verschiedenen Löhnen an.Bild: KEYSTONE
Interview mit dem Chefökonomen des Gewerkschaftbundes

«Herr Lampart, war die Mindestlohn-Initiative ein Eigengoal?»

Die Gewerkschaften haben am Wochenende Schiffbruch erlitten. War das deutliche Nein zu einem Mindestlohn das Signal für ein allgemeines Lohndumping?
19.05.2014, 13:4923.06.2014, 14:18
Mehr «Wirtschaft»

Herr Lampart, mal ehrlich, wie gross ist der Kater?
Daniel Lampart: Klar, das Resultat ist enttäuschend. Wir haben jedoch im Vorfeld der Abstimmung eine Reihe von Erfolgen erzielt. Verschiedene grosse Unternehmen haben ihre untersten Löhne deswegen angehoben. Mehrere Zehntausend Erwerbstätige verdienen heute dank der Initiative mehr. Unter dem Strich hat sich unser Engagement gelohnt. 

Trotzdem: Drei Viertel der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben ein Nein eingelegt. Haben sich die Gewerkschaften nicht überschätzt?
Es war ein sehr ehrgeiziges Projekt. Doch die Initiative hat eine landesweite Diskussion darüber ausgelöst, was ein fairer Lohn sein soll.

«Verschiedene grosse Unternehmen haben ihre untersten Löhne wegen der Mindestlohn-Initiative angehoben.»

Auch von links werden die Gewerkschaften hart kritisiert. Rudolf Strahm beispielsweise wirft Ihnen vor, einen lauen und schlechten Wahlkampf geführt zu haben.
Wir waren mit unserer Kampagne nahe bei den Menschen. Es ist uns immerhin gelungen, viele falsche Vorstellungen über den Mindestlohn zurechtzurücken. 

«Die Initiative hat eine landesweite Diskussion darüber ausgelöst, was ein fairer Lohn sein soll.»

SP und Grüne haben sich vornehm zurückgehalten, die Gewerkschaften waren weitgehend auf sich alleine gestellt. Warum?   Wir haben die Initiative lanciert und waren daher auch verantwortlich für die Kampagne. Es gab schon Unterstützung, verschiedene Frauenorganisationen, beispielsweise. 

Warum hat man so starr an der 4000-Franken-Grenze festgehalten und sich nicht flexibler gezeigt, beispielsweise im Tessin?
Ich glaube nicht, dass das entscheidend war. Es ging ums Prinzip. Das wichtigste Argument war, dass der Staat sich nicht in Lohnfragen einmischen soll. 

Bild
Bild: KEYSTONE
Zur Person
Daniel Lampart, 45, ist Doktor der Wirtschaftsgeschichte. Er hat an den Universitäten Zürich und St. Gallen studiert. Lampart stammt ursprünglich aus Willisau (LU) und hat während seines Studiums auch als Software-Entwickler und freischaffender Musiker (Kontrabass) gearbeitet. Zwischen 1999 und 2006 war er an der Konjunkturforschungsstelle der ETH tätig. Seit 2006 ist er beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, seit 2011 Chefökonom. Lampart ist unverheiratet und Vater einer Tochter. (pl)

Bei der 1:12-Initiative hat man nachträglich gesagt, mit 1:20 wäre sie möglicherweise angenommen worden. Wäre auch die Mindestlohn-Initiative angenommen worden, wenn man bloss 3500 Franken gefordert hätte?
Es hätte kaum einen Unterschied gemacht. Es ging ums Prinzip. Ich denke nach wie vor, dass die Mehrheit der Schweizer einen anständigen Lohn auch für die Schwächsten will, aber keine staatlich festgelegte Untergrenze. Umgekehrt wäre es für uns wenig sinnvoll gewesen, für einen bescheideneren Mindestlohn zu kämpfen. Das wäre bloss für die Galerie gewesen.

Im Niedriglohnsektor sind vorwiegend Ausländerinnen beschäftigt. War das der Grund für das Nein?
Es sind auch viele Menschen mit Schweizer Pass davon betroffen. Daher glaube ich das weniger. Es hat ganz einfach an Solidarität mit den Erwerbstätigen mit den tiefsten Löhnen gefehlt. 

Wird die deutliche Ablehnung zum Eigengoal, zum Signal für Arbeitgeber, die untersten Löhne zu drücken?
Die Unternehmen wissen, wie wichtig ihr Ruf auf dem Arbeitsmarkt ist und dass sie sich selbst schaden, wenn sie als Lohndrücker gelten. Wir werden auch in Zukunft Firmen an den Pranger stellen, die Lohndumping betreiben. 

«Wir werden auch in Zukunft Firmen an den Pranger stellen, die Lohndumping betreiben.»
«Ein Absaufen dieser Löhne wie in Deutschland hat es in der Schweiz nicht gegeben.»

Und was, wenn diese sich – wie das Beispiel Zalando zeigt – davon nicht beeindrucken lassen?
Es wird immer solche schwarzen Schafe geben, das hat auch das Beispiel Bata gezeigt. Doch auch diese Firma ist unter unserem Druck eingeknickt und hat die Löhne angehoben. 

Europa hat eine erschreckend hohe Arbeitslosigkeit, gerade bei der Jugend. Das ist doch ein ideales Umfeld für das Zalando-Modell, das auf schlecht bezahlte Hilfskräfte setzt.
Wir konzentrieren uns vorläufig auf die Schweiz. Hier sind tüchtige Arbeitskräfte nach wie vor gesucht.

Lesen Sie auch:

Die Gefahr eines Niedriglohnsektors wie in Deutschland besteht für die Schweiz nicht?
Nein, in den letzten 15 Jahren konnten die untersten Einkommen mit den mittleren Schritt halten. Ein Absaufen dieser Löhne wie in Deutschland hat es nicht gegeben. Darauf sind wir Gewerkschaften ein bisschen Stolz.

Was für eine Lehre ziehen Sie aus der Klatsche vom Wochenende?
Es ist noch zu früh dazu, wir müssen zunächst das Resultat analysieren.

Wie sieht ihr persönliches Fazit aus?
Mit der Forderung nach anständigen Löhnen auch für die untersten Einkommen waren wir bei den Leuten, mit einem staatlichen Mindestlohn offenbar nicht. Wir werden uns daher auf andere Initiativen konzentrieren. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
3
ETH Zürich sieht Top-Position wegen fehlender Mittel gefährdet

Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich sieht ihre Top-Platzierungen in den Hochschulrankings gefährdet. Das Budget werde in den kommenden Jahren nicht mit den weiterhin steigenden Studierendenzahlen Schritt halten können. Deshalb müssten einschneidende Massnahmen geprüft werden.

Zur Story