Die Affäre nimmt eine neue politische Wendung: Am Montag beteiligte sich Jonas Fricker in Baden an der Solidaritätskundgebung «Geri bleibt» für Stadtammann Geri Müller, am Dienstag liess der Präsident der Grünen Aargau Müller als Nationalrat fallen. , erklärte Fricker in der Sendung «TalkTäglich» auf Tele M1. Die ganze Affäre sei für ihn auch Ausfluss einer Überlastung
Auf die Nachfrage von Moderator Werner De Schepper, ob Müller denn als Nationalrat zurücktreten sollte, wenn er Stadtammann von Baden bleiben will, meinte Fricker: «Das ist jetzt hart für mich als Präsident der Grünen, aber in letzter Konsequenz würde ich sagen: Ja.» In Watte gepackt, was die Tonalität betrifft, aber in der Aussage dennoch ganz klar: eine Rücktritts(auf-)forderung.
Zweitens: Beherzigt Müller den Rat seines Parteipräsidenten, wäre es dieser selbst, der daraus Kapital schlagen kann. Es wäre Fricker, der Geri Müller ersetzen und in den Nationalrat nachrücken könnte. Er schaffte es bei den Wahlen 2011 zwar nur auf den zweiten Ersatzplatz hinter Patricia Schreiber. Sie hat aber eben ihre letzte Sitzung als Grossrätin absolviert und erklärt auf Anfrage unmissverständlich, dass sie sich definitiv aus der Politik zurückziehen will: «Ich freue mich auf eine politikfreie Zeit.» Es sei für sie «kein Thema», bei einem allfälligen Rücktritt Müllers Platz einzunehmen, sagt Schreiber gegenüber der az. Sie selbst glaubt allerdings ohnehin eher, dass sich Geri Müller nicht als Stadtammann wird halten können und dafür Nationalrat bleibt – vorderhand.
Wenn nicht, könnte Parteipräsident Jonas Fricker 2015 als Bisheriger in die Nationalratswahlen steigen. Mit einem Sitzgewinn der Grünen ist realistischerweise kaum zu rechnen. Ausser vielleicht, wenn eine grosse Links/Grün/Mitte-Listenverbindung zustande kommt und den zusätzlichen 16. Sitz in ihre Reihen holt. Wie vor vier Jahren hinter Geri Müller wären die anderen Kandidaten auf der grünen Liste hinter ihrem Parteipräsidenten also zu Statisten degradiert.
Und so hat man sich das nicht vorgestellt. Vielmehr setzten viele in der Partei auf eine offene Ausgangslage für die Wahlen 2015. Selfie-Affäre hin oder her: Geri Müller hätte damit rechnen müssen, dass seine Kandidatur für eine weitere Legislaturperiode in der Partei infrage gestellt worden wäre. An der Basis würden viele erwarten, dass er sein Mandat auf die Wahlen 2015 hin zur Verfügung stellt, sagt Patricia Schreiber: «Eine Machtkonzentration von zwei so wichtigen Ämtern wird bei den Grünen nicht gutgeheissen.» Auch die ehemalige Parteipräsidentin Gertrud Häseli gehörte zu jenen, die in der Diskussion um die «Affäre Müller» das Doppelmandat offen infrage stellten.
Aus dem inneren Zirkel der Partei wird bestätigt, dass schon seit einiger Zeit darüber diskutiert wird, solche Doppelfunktionen für grüne Mandatsträger formell auszuschliessen – unabhängig von der aktuellen Entwicklung. «Die Ämterkumulation widerspricht Grundsätzen der grünen Politik», sagt dazu Irène Kälin, Co-Präsidentin der Grossratsfraktion.
Für Kälin ist es ein Fehler, dass die Diskussion erst aufgekommen ist, nachdem Geri Müller die Wahl zum Stadtammann von Baden schon geschafft hatte. Die Wahlen 2015 seien die Gelegenheit für eine Korrektur. Diese Gelegenheit biete sich aber eben dann, nicht jetzt im Zug der Diskussion um irgendwelche Nacktbilder. «Ich hätte diese Aussage sicher nicht gemacht», geht Kälin vornehm auf Distanz zum Statement ihres Parteipräsidenten.
Kälin gehört neben Fricker zu den möglichen Anwärterinnen auf Müllers Nachfolge. Fricker seinerseits will seine Aussage in der Fernsehdiskussion nicht als Rücktrittsforderung verstanden wissen. Er habe sich dazu hinreissen lassen, seine ganz persönliche Meinung zu einem hypothetischen Szenario zu äussern, das aber derzeit gar nicht zur Debatte stehe. Das sei ein Fehler gewesen, und dafür habe er sich auch bei Geri Müller entschuldigt.
Die Partei werde erst wieder Stellung nehmen, wenn Müller sich selber zu seiner Zukunft äussere. Im Übrigen habe es nie Gespräche zwischen Patricia Schreiber und der Partei darüber gegeben, ob sie auf ein Nachrücken verzichten würde, falls Müller tatsächlich zurücktreten sollte.