Das christliche Hilfswerk Open Doors hat seinen Weltverfolgungsindex 2015 veröffentlicht, ein Ranking von Staaten, in denen Christen am meisten diskriminiert werden. Demnach wird die Mehrzahl von ihnen in muslimischen Ländern unterdrückt – und das könnte in der aktuellen Debatte um Pegida und ähnliche islamfeindliche Bündnisse für Zündstoff sorgen.
Dass «Open Doors» dem evangelikalen Netzwerk der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) nahesteht, macht es nicht gerade besser. Der Verein besteht aus überwiegend bibeltreuen Mitgliedern, die in jedem Gläubigen auch einen Missionar sehen.
«Open Doors» selbst sieht sich als überkonfessioneller christlicher Verein, der mittels Spenden weltweit Glaubensbrüder und -schwestern unterstützt. «Wir wollen nicht, dass der Index für politische Zwecke instrumentalisiert wird», betont Markus Rode, Geschäftsführer von «Open Doors» Deutschland. Die Diskussion zur Stellung des Islam in Deutschland sei spannungsgeladen, dies könne aber kein Grund sein, auf das Ranking zu verzichten. «Wir müssen unseren Auftrag erfüllen und Millionen verfolgten Christen zeigen, dass sie nicht vergessen sind.»
Die von «Open Doors» kolportierte Zahl von geschätzt 100 Millionen verfolgten Christen weltweit ist von Vertretern sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche in Deutschland mehrfach kritisiert worden. Dem Verein wurde vorgeworfen, nicht angemessen zu differenzieren zwischen sozialen Anfeindungen und schwerwiegender Verfolgung mit Freiheitsentzug, Gewaltanwendung oder Todesfolge.
Auch ist es naturgemäss schwierig zu unterscheiden, ob staatliche oder gesellschaftliche Diskriminierung ausschließlich gegen Christen oder etwa Andersgläubige, Nichtgläubige oder innerislamische Minderheiten gerichtet ist.
Dennoch kann das Ranking von «Open Doors» einer Einordnung dienen: Dass religiös motivierte soziale Anfeindung weltweit zunimmt, stellt auch das US-Forschungszentrum Pew in einer Studie fest. Christen und Muslime sind die am häufigsten davon Betroffenen – kein Wunder, sie machen zusammen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aus.
Für die Rangliste von «Open Doors» wurden externe und interne Experten weltweit beauftragt, die Situation von Christen für den Zeitraum 1. November 2013 bis 31. Oktober 2014 zu bewerten.
Angesichts der menschenverachtenden Gräueltaten des Islamischen Staates im Irak und in Syrien landeten diese Länder auf den Rängen drei und vier der Negativ-Liste. Durch das Kalifat des IS mit Mord, Vertreibung und Sklaverei sei ein «Allzeittief» erreicht, so die Macher der Studie.
Die christliche Gemeinschaft in der irakischen Ninive-Ebene nordwestlich von Mossul sei komplett verschwunden. Von etwa 1,2 Millionen Christen, die Anfang der neunziger Jahre im Irak lebten, seien nur 300'000 übrig. Vor allem christliche Frauen und Kinder seien bedroht. Laut einer «Preisliste» für Entführte, die im Irak gefunden wurde, bringen sie – sowie Jesiden – am meisten Geld ein.
Im nordsyrischen Rakka seien Christen und weitere Andersgläubige gezwungen worden, entweder zum Islam zu konvertieren oder sich dem sogenannten «Dhimmi-Vertrag» zu unterwerfen. Der macht sie weitgehend rechtlos und verpflichtet sie zur Zahlung von Schutzgeld. Die «Schutzbefohlenen» (Dhimmi) sollen «aus freien Stücken den Tribut entrichten und ihre Unterwerfung anerkennen», heisst es in der Koransure Sure 9,29, auf die sich die Verfechter des Vertrages berufen.
Vor dem Bürgerkrieg lebten in Syrien laut «Open Doors» rund 1,8 Millionen Christen – knapp 40 Prozent von ihnen sollen ihre Heimat bereits verlassen haben, viele landeten als Binnenflüchtlinge im Kurdengebiet.
Unangefochten an Platz 1 des Weltverfolgungsindexes steht Nordkorea, wo Christen immer wieder deportiert und exekutiert werden. Von geschätzt 200'000 bis 400'000 Untergrundchristen befinden sich bis zu 70'000 als «Feinde des Regimes» in Arbeitslagern, wo sie Folter und Schwerstarbeit ausgesetzt sind.
Im Sudan, wo sich der mehrheitlich christliche Süden 2011 vom Norden getrennt hat, haben vor allem muslimische Konvertiten zu leiden. Der Fall der 27-jährigen Mariam Yahya Ibrahim sorgte weltweit für Empörung: Sie war zum Katholizismus übergetreten und heiratete kurz darauf einen Christen. Daraufhin wurde sie zum Tode verurteilt. Im Gefängnis brachte die junge Frau in Ketten ihre Tochter zur Welt. Schließlich kam sie frei.
Laut «Open Doors» sind eine Reihe von Christen wegen ihres Glaubens im Sudan getötet worden; mindestens zehn Angriffe auf christliche Objekte wie Kirchen, Schulen und Krankenhäuser wurden registriert, vor allem in Südkordofan und der südöstlichen Provinz Blauer Nil. Mehr als dreißig Christen wurden demnach durch gezielte Bombardements der sudanesischen Luftwaffe getötet.
In Eritrea wurden 138 Christen und Kirchenführer inhaftiert. Der Druck geht überwiegend von der Regierung unter Präsident Isaias Afewerki und der «Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit» aus.
In Nigeria wurden Tausende von Christen vertrieben. Die äusserst brutal agierende islamistische Boko Haram hat in der Stadt Gwoza ein Kalifat ausgerufen. Mindestens 4000 Menschen sollen der Gruppierung aus dem Norden des Landes zum Opfer gefallen sein, die Mehrzahl von ihnen Christen. Neben Boko Haram gibt es Stämme wie Hausa-Fulani, die ebenfalls christliche Dörfer überfallen und Tausende in die Flucht getrieben haben sollen.
Sorgen bereitet den Verfassern der Studie die merkliche Verschlechterung der Lage in Kenia und Dschibuti. Grund sei die zunehmende Islamisierung in der Region. Kenia ist ein mehrheitlich christliches Land, nur etwa elf Prozent sind Sunniten. Die muslimische Bevölkerung lebt grösstenteils in den Küstengebieten. Immer häufiger dringen militante Islamisten aus Somalia über die Grenze und verüben Anschläge auf Christen. Islamistische Al-Shabaab-Milizen griffen im November einen Bus an und töteten 28 Christen. Anfang Dezember verloren 36 christliche Arbeiter in einem Steinbruch nahe der Stadt Mandera bei einem Angriff ihr Leben.
Auch in Dschibuti wird der Einfluss islamischer Extremisten für die Regierung zu einem Problem. Sie verbreiten in der Gesellschaft einen ultrakonservativen Islam in Form des saudi-arabischen Wahhabismus. Christliche Konvertiten mit muslimischem Hintergrund sind Hauptopfer der Verfolgung. Einige wurden gezwungen, Muslime zu heiraten, ihre Häuser wurden durchsucht und geplündert.
Als dauerhaft repressiv in Sachen Christentum gelten laut «Open Doors» Somalia, Nordkorea, Afghanistan, die Malediven, Eritrea, Saudi-Arabien, der Jemen, Irak, Iran und Libyen. «In diesen Ländern kann bereits der Besitz einer Bibel zu ernsthaften Problemen führen», heisst es. Viel zu tun für eine Organisation, deren Gründer Anne van der Bijl in den fünfziger Jahren mit einem VW Käfer Bibeln hinter den eisernen Vorhang schmuggelte. (trs)