Die Aussagen von André Blattmann in der «Schweiz am Sonntag» sorgten gestern international für Schlagzeilen: «Schweizer Armeechef hortet Notvorräte», titelte der «Spiegel» auf seinem Onlineportal. Blattmann hatte im Interview gesagt, er lagere 30 oder 40 Sechserpackungen Mineralwasser ohne Kohlensäure zu Hause. Zudem habe er eine Wasserzisterne und ein Cheminée mitsamt Holz, weil die Heizung bei einem Blackout nicht mehr funktionieren würde. Sein Ratschlag: «Vielleicht müsste man den Leuten sagen: Es ist gut, wenn ihr ein paar Vorräte für den Notfall zu Hause habt.» Zuvor hat der Armeechef analysiert, dass unsere Gesellschaft verletzlich geworden sei und wir nicht wirklich auf neue Risiken vorbereitet seien.
Mit seinen Aussagen polarisiert Blattmann – nicht zum ersten Mal. Nationalrat Cédric Wermuth (SP/AG) bezeichnete auf Twitter den Chef der Armee als «übergeschnappt». Die Reaktionen gehen hoch, weil der Begriff «Notvorrat» an Kalten Krieg und geistige Landesverteidigung erinnert.
1969 verteilte der Bund ein rotes Büchlein an alle Haushaltungen. Es hiess «Zivilverteidigung» und sollte das Pendant zum feldgrauen Soldatenbuch für die Wehrmänner sein. Darin ist unter anderem detailliert beschrieben, was als Notvorrat für jede Person des Haushaltes gelagert werden sollte. Unter anderem je zwei Kilogramm Reis und Zucker, ein Kilo Speisefett und ein Liter Speiseöl. Der «eiserne Bestand» sollte für mindestens zwei Monate halten. Denn, wer im Notfall Panikkäufe tätige, zeige einen Mangel an Gemeinsinn und bestätige, dass er versäumt habe, seinen Not- und Kata strophenvorrat ordnungsgemäss anzulegen. Die letzte landesweite Kampagne mit Empfehlungen zum Notvorrat lancierte der Bund 1988. Mittlerweile agiert das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) zurückhaltender und informiert nur noch im Internet. Aber noch immer nach dem Motto: «Kluger Rat – Notvorrat.»
«Ein Notvorrat hilft, ungewohnten Situationen gelassener zu begegnen», sagt BWL-Sprecher Simon Schläppi. Ein Vorrat mache Sinn, allerdings müsse jeder für sich selber entscheiden, was man lagern will: «Den idealen Notvorrat gibt es nicht», sagt Schläppi. Das BWL ist deshalb davon abgerückt, konkrete Mengenangaben zu den einzelnen Lebensmitteln zu machen. Mit einer Ausnahme: Neun Liter Wasser pro Person empfiehlt das BWL in seiner Broschüre «Kluger Rat – Notvorrat.» Damit sei man drei Tage gut versorgt, sagt Schläppi. Denn in einer Notlage müssen die Behörden in der Lage sein, ab dem vierten Tag die Bevölkerung wieder mit Trinkwasser zu versorgen. Sind die 300 Liter Mineralwasser, die Armeechef Blattmann zu Hause hortet, also übertrieben? «Wir kommentieren das nicht», heisst es beim BWL. Schläppi sagt nur: «Jeder muss selber entscheiden, was für ihn sinnvoll ist.»
Immerhin: Mit dem Holzvorrat für das Cheminée liegt Blattmann ganz auf der Linie des BWL. Das Bundesamt hat nicht nur einen Stromratgeber für die Wirtschaft, sondern auch für die Bevölkerung erarbeitet. Darin heisst es etwa, man solle sich überlegen, wie man ohne Strom eine warme Mahlzeit zubereiten, die wichtigsten Nachrichten hören oder eben mindestens ein Zimmer warmhalten könne.
Das BWL ist im Übrigen keine Folkloreorganisation. Die letzten Aktivitäten liegen nicht weit zurück. 2009 und 2012 musste das BWL auf Pflichtlager zurückgreifen, weil zwei Antibiotika aufgrund von Produktionsausfällen und Lieferschwierigkeiten nicht mehr verfügbar waren. 2010 musste der Flughafen Genf mit Kerosin aus Pflichtlagern beliefert werden – Auslöser der Versorgungslücke war ein Streik in Frankreich. Die Aktivitäten der wirtschaftlichen Landesversorgungen sind längst nicht mehr auf kriegerische Bedrohungen ausgerichtet. Sondern ganz grundsätzlich auf alle Risiken, welche die Versorgung stören.