Die US-Demokraten tun sich immer noch schwer damit, ihre Wahlniederlage an 11/9 zu verdauen. Nicht nur das Weisse Haus, auch beide Kongress-Kammern sind in der Hand der Republikaner. Am rechten Rand wird umso lauter jubiliert. Die weissen Chauvinisten der Alt-Right-Bewegung feierten am letzten Wochenende in Washington, «Heil Trump!»-Rufe und Hitlergrüsse inbegriffen. Ihr Ziel ist es, den «Vormarsch» der Minderheiten zu stoppen oder rückgängig zu machen.
Ist damit das Zeitalter eines neuen Faschismus angebrochen? Nicht unbedingt. Ein Blick an die Westküste lässt Hoffnung bei allen aufkommen, die angesichts der politischen Lage in den USA zu verzweifeln drohen. In Kalifornien, mit knapp 39 Millionen Einwohnern der grösste Bundesstaat, haben die Demokraten entgegen dem nationalen Trend weiter zugelegt. Hillary Clinton besiegte Donald Trump mit 61,5 zu 33 Prozent, sie machte also fast doppelt so viele Stimmen.
Selbst einstige konservative Hochburgen wie Orange County bei Los Angeles wählten dieses Mal demokratisch. Ebenso eindrücklich verliefen die regionalen Wahlen. In der Assembly, der kalifornischen Abgeordnetenkammer, eroberten die Demokraten eine Zweidrittelmehrheit. Im Senat könnten sie nachdoppeln, ein Sitz befindet sich noch auf der Kippe. Falls er den Demokraten zufällt, können sie auf staatlicher Ebene schalten und walten, wie sie wollen.
Die Demokraten hätten Kalifornien «in einem nahezu eisernen Griff», konstatierte die «Los Angeles Times». Die «New York Times» stellte fest, die Republikaner seien im Golden State «so etwas wie eine aussterbende Spezies» geworden. Eine linke Gruppierung strebt nach der Trump-Wahl sogar den Austritt aus den USA an, den «Calexit». Sie reichte eine entsprechende Volksinitiative beim Justizministerium in Sacramento zur Prüfung ein.
Wie konnte es so weit kommen?
An der Westküste herrschte stets ein liberales Klima, politisch aber war Kalifornien bis vor nicht allzu langer Zeit mehr «rot» als «blau». Von 1952 bis 1988 gewannen die Republikaner hier neun von zehn Präsidentschaftswahlen. Einzige Ausnahme war 1964 die Niederlage des Rechtsaussen Barry Goldwater gegen Amtsinhaber Lyndon Johnson. Seither aber haben nur noch die Demokraten triumphiert, mit stetig wachsendem Vorsprung.
Zum eigentlichen Wendepunkt wurde das Jahr 1994. Damals kämpfte Gouverneur Pete Wilson, ein eher moderater Republikaner, um seine Wiederwahl. Sie war nach unpopulären Entscheiden unter anderem für höhere Steuern akut gefährdet. Deshalb traf Wilson eine folgenschwere Entscheidung: Er unterstützte eine Volksinitiative mit der Bezeichnung Proposition 187, die zum gleichen Zeitpunkt zur Abstimmung gelangte. Sie wollte illegale Einwanderer und deren Kindern von allen staatlichen Leistungen ausschliessen, inklusive Schulbesuch und ärztliche Versorgung.
Das Volksbegehren hatte einen klar fremdenfeindlichen Hintergrund. Es appellierte an die Ängste der «weissen» Kalifornier vor «Überfremdung» durch die stark wachsende Latino-Bevölkerung. Ein Schuft, wer da nicht an die Alt-Right denkt. In Kalifornien hatte die Strategie Erfolg, Proposition 187 wurde angenommen und Gouverneur Wilson wiedergewählt. In Kraft getreten ist die Initiative jedoch nie. Sie wurde 1998 von einem Bundesgericht als verfassungswidrig eingestuft. Wilsons demokratischer Nachfolger Gray Davis liess sie in der Schublade verschwinden.
Politisch wurde sie zu einem Rohrkrepierer der Extraklasse. Die zuvor eher passiven Latinos oder Hispanics wurden aufgeschreckt, sie trugen sich massenhaft in die Wahlregister ein. Mit verheerenden Folgen für die Republikaner, denn auch andere nichtweisse Wähler wie die Amerikaner asiatischer Herkunft wandten sich wegen der fremdenfeindlichen Politik von ihnen ab. «Die Entscheidung, ganz auf weisse Wähler zu setzen in einem Staat, der weniger weiss wurde, verfolgt die Partei bis heute», schrieb der Autor Jason Riley im «Wall Street Journal».
Daran wird sich so schnell nichts ändern. Seit 2014 sind die Latinos definitiv die grösste Bevölkerungsgruppe im Bundesstaat. Wer heute Los Angeles besucht, hat manchmal das Gefühl, er befinde sich in Lateinamerika. Dabei sind viele Hispanics in gesellschaftlichen Fragen konservativ. So stimmten die Kalifornier vor zwei Wochen zwar für die Legalisierung von Cannabis, sie lehnten aber auch die Abschaffung der Todesstrafe ab. Und noch 2008 sagten sie Nein zur Homo-Ehe.
Die Republikaner aber bleiben unwählbar. Mit Arnold Schwarzenegger konnten sie zwar 2003 erneut das Gouverneursamt erobern, doch dies verdankten sie vor allem der damals herrschenden wirtschaftlichen und finanziellen Krise. Ausserdem hütete sich der Actionstar vor latinofeindlichen Äusserungen. Seit seinem Abgang 2011 sind die Demokraten definitiv tonangebend. Gouverneur Jerry Brown hat die zuvor völlig zerrütteten Staatsfinanzen saniert. Auch wirtschaftlich geht es Kalifornien vergleichsweise gut, nicht zuletzt dank dem «Zukunftslabor» Silicon Valley.
Könnte sich diese Entwicklung im ganzen Land wiederholen? Donald Trumps Anhänger verweisen darauf, dass ihr Kandidat gemäss den Exit Polls bei den Latinos «nur» mit 29 zu 65 Prozent verloren und damit besser abgeschnitten hat als Mitt Romney 2012. Doch stimmen diese Zahlen? Das Umfrageinstitut Latino Decisions kam bei seinen Nachwahlbefragungen zu ganz anderen, für Trump bedenklichen Werten: Clinton gewann mit 79 zu 18 Prozent.
Einiges spricht für diese Version, insbesondere die Resultate in den Staaten Arizona und Texas, wo der Anteil der Hispanics ebenfalls zunimmt und Hillary Clinton deutlich besser abschnitt als Barack Obama 2012. Sein Rückstand im Cowboy-Staat Texas betrug 16 Prozent, jener von Clinton weniger als zehn Prozent. Diese Entwicklung müsste bei den Republikaner sämtliche Alarmglocken läuten lassen, denn Texas ist der zweitgrösste Bundesstaat. Und in Arizona wurde der berüchtigte Sheriff und Latino-Hasser Joe Arpaio abgewählt.
Eine ähnlich erdrückende Dominanz wie in Kalifornien wird es für die Demokraten auf nationaler Ebene nicht geben. Wenn Präsident Trump jedoch sein fremdenfeindliches Programm durchzieht, wenn er eine Mauer – oder einen Zaun – an der Südgrenze baut, das Freihandelsabkommen Nafta zu Ungunsten Mexikos neu aushandelt, Millionen «Illegale» ausschafft und die bescheidenen Fortschritte, die Barack Obama ihnen gewähren wollte, rückgängig macht (von einer echten Einwanderungsreform ganz zu schweigen), dann könnte es für die Republikaner sehr eng werden.
Das ist in den meisten anderen Bundesstaaten überhaupt nicht so. Darum ist es unzulässig von Kalifornien auf die ganze USA zu schliessen.