Man lernt nie aus. Nachdem man sich jahrzehntelang mit Politik beschäftigt hat, stösst man immer noch auf Dinge, von denen man keine Ahnung hatte. Dazu gehört der Begriff Kakistokratie. Wer dahinter etwas anrüchiges wittert, hat absolut recht. Der aus dem Griechischen stammende Ausdruck steht für die Herrschaft der Schlechtesten.
In den westlichen Demokratien haben wir uns daran gewöhnt, halbwegs anständig bis gut regiert zu werden. Deshalb ist die Kakistokratie – der Begriff stammt aus dem 17. Jahrhundert – in Vergessenheit geraten. Selbst gebildete Menschen haben nie davon gehört. Nun erlebt sie eine Renaissance, in den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump.
So beschreibt es Norm Ornstein, einer der führenden Politologen des Landes, in einem Beitrag für «The Atlantic». Für ihn ist Kakistokratie nicht nur die Herrschaft der übelsten und skrupellosesten Menschen, sondern im weiteren Sinn auch eine unfähige und hochnotpeinliche Art des Regierens. Genau dies könne man nun «aus erster Hand» in Amerika erleben, meint Ornstein.
Wer kann ihm widersprechen? In den knapp neun Monaten seit Trumps Amtsantritt haben der Präsident und die Republikaner, die den Kongress kontrollieren, ein enormes Ausmass an Unfähigkeit und Skrupellosigkeit an den Tag gelegt. Es mag in den USA schlechtere Menschen geben als Donald Trump, aber eine derart schlechte Regierung gab es lange nicht.
Norm Ornstein, der an der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute (AEI) forscht, listet zahlreiche Beispiele auf. Es beginnt mit der Ver(sch)wendung von Steuergeldern für das Chartern von Privatjets durch Kabinettsmitglieder und Mitarbeiter des Weissen Hauses. Teilweise geschah dies für kurze Trips, für die man wie vorgeschrieben eine Linienmaschine hätte benutzen können.
Gesundheitsminister Tom Price trieb es mit der Privatfliegerei auf Staatskosten dermassen bunt, dass er zurücktreten musste. Das neueste Beispiel ist der Auftritt von Vizepräsident Mike Pence bei einem Football-Match in Indianapolis. Als einige Spieler bei der Nationalhymne niederknieten, verliess der scheinbar empörte Pence das Stadion. Offenbar handelte es sich um einen mit Donald Trump abgesprochenen PR-Stunt, der dem Steuerzahler Flugkosten von 100'000 Dollar bescherte.
Der Präsident steht laut Ornstein unter dem Verdacht, sich persönlich zu bereichern. So würden sich Vertreter ausländischer Regierungen regelrecht darum reissen, in seinem Hotel in Washington abzusteigen und Sitzungen durchzuführen – zu Höchstpreisen.
Die Aufnahmegebühr für seinen Golfklub Mar-A-Lago in Florida wurde auf 250'000 Dollar verdoppelt. Und wer dort oder im Trump-Resort in New Jersey eine Hochzeit veranstaltet, darf auf ein Foto mit dem Präsidenten hoffen.
Wen erstaunt es da, dass auch Trumps Angehörige ins Zwielicht geraten? Allen voran Tochter Ivanka und Ehemann Jared Kushner. Ivanka Trump weigert sich, ihre Geschäftsbeziehungen mit China offenzulegen, wo sie einen grossen Teil ihrer Modekollektion herstellen lässt. Zuletzt machte das Ehepaar Schlagzeilen, weil es offizielle Mails wie einst Hillary Clinton über einen privaten Server verschickt hatte.
Die aus ethischer Sicht bedenklichen Praktiken wären für Ornstein Grund genug, dass «ein kompetenter und rechtschaffener Kongress» sich einschalten würde, mit Hearings und Bemühungen, das System zu «säubern». Die Zahl der Hearings, die zu Ethik-Verstössen, Machtmissbrauch und Zweckentfremdung von Steuergeldern angesetzt wurden, beträgt jedoch – null.
Für den Politologen muss deshalb auch das Parlament als Kakistokratie bezeichnet werden. Dessen Bilanz der ersten neun Monate sei «abgründig». Kein einziges der hochtrabend angekündigten grossen Vorhaben konnte umgesetzt werden. Dafür scheiterte der Kongress mehrfach beim Versuch, die Obamacare-Gesundheitsreform rückgängig zu machen.
Norm Ornstein umschreibt diesen Prozess als «peinliches Wirrwarr aus Unfähigkeit, Haarspalterei, Regelwidrigkeit und Abnormität». Teilweise hätten die Republikaner ihre Kollegen und Journalisten belogen und versucht, die widerspenstigen Senatorinnen aus Alaska und Maine zu «kaufen». Weil es nicht gelang, Obamacare zu erledigen, versuchten Trump und seine Leute nun, das Gesetz zu sabotieren, schreibt Ornstein und nennt dies «sadistisch und empörend».
Es gäbe weitere Bespiele, etwa den Knatsch zwischen Trump und Aussenminister Rex Tillerson (Stichwort Nordkorea) und Verteidigungsminister Jim Mattis (Stichwort Iran-Abkommen). Oder die Tatsache, dass von 602 hohen Regierungsjobs, die vom Senat bestätigt werden müssen, erst 142 besetzt wurden. Für die Hälfte gibt es noch nicht einmal eine Ernennung. Selbst das Ministerium für Innere Sicherheit ist führungslos, seit John Kelly im Juli zu Trumps Stabschef ernannt wurde.
Besonders akut ist die Lage im Aussenministerium, etwa bei den Botschafterposten. Für die Schweiz wurde ein Gesandter ernannt, aber geostrategisch bedeutende Länder wie Südkorea, Saudi-Arabien, Ägypten und Türkei sind immer noch vakant. Tillerson soll erfahrene Bush-Leute vorgeschlagen haben, doch das Personalbüro des Weissen Hauses habe sein Veto eingelegt, weil sie Trump im Wahlkampf kritisiert hätten, schreibt Ornstein.
Senator Bob Corker bezeichnete das Weisse Haus in seiner Twitter-Fehde mit Donald Trump sinngemäss als «Kita für Erwachsene». Tatsächlich ist Trump ein betreuungsintensiver Präsident. Seine engsten Mitarbeiter hätten ihre liebe Mühe, ihn von seinen Bauchentscheiden abzubringen, schildert Politico. Obwohl Trump über politische Instinkte verfüge und auch abweichende Meinungen anhöre, gelinge dies nicht immer.
Das vielleicht beste Beispiel ist die Entlassung von FBI-Chef James Comey. Rund eine Woche lang habe Trump diesen Schritt erwogen, so Politico. Er sei eindringlich vor den gefährlichen Konsequenzen gewarnt worden, sogar vom umstrittenen Chefstrategen Steve Bannon. Dennoch feuerte er den FBI-Direktor, was zur Folge hatte, das dessen Vorgänger Robert Mueller als Sonderermittler in der Russland-Affäre eingesetzt wurde. Auch ihn wollte Trump schon entlassen.
Das alles hat sich wie erwähnt in gerade einmal neun Monaten ereignet. Man fragt sich einmal mehr, wohin das noch führen wird. Das Revival eines Begriffs, den wir für überwunden geglaubt haben, könnte am Ende das kleinste Problem sein.