Alle sprachen von Geert Wilders. Würde es dem Rechtspopulisten und seiner Ein-Mann-Partei «für die Freiheit» (Wilders ist das einzige offizielle Mitglied) gelingen, die Parlamentswahl in den Niederlanden am Mittwoch zu gewinnen? Am Ende war alles halb so wild mit Wilders. Er gewann Stimmen und Sitze hinzu, blieb aber deutlich hinter dem rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte zurück.
Europa atmete auf, der vermeintlich unaufhaltsame Vormarsch der Rechten war gestoppt. Zwei Dinge wurden dabei übersehen. Wilders war zwar nicht die Nummer eins, in gewisser Weise aber doch der Sieger. Mit seiner rabiaten Rhetorik gegen Migranten und den Islam sorgte er dafür, dass Kritik an vermeintlich nicht integrationswilligen Ausländern salonfähig wurde.
Gleichzeitig aber gab es eine Gegenbewegung. Keiner verkörpert sie so eindrücklich wie Jesse Klaver. Der 30-jährige Chef der Grünlinken ist quantitativ der grösste Gewinner der Wahl. Seine Partei steigerte sich von 4 auf 14 Sitze. Das ist nicht ganz so viel, wie in den Umfragen teilweise vorhergesagt. Und natürlich profitierte sie vom Kollaps der stolzen Arbeiterpartei, die für die teilweise harten Reformen, die sie als «Juniorpartner» der Regierung Rutte mittrugen, gnadenlos abgestraft wurde.
Dennoch ist es ein beträchtlicher Erfolg, der aus einer Kleinstpartei eine ernsthafte politische Kraft macht. Verantwortlich dafür ist in erster Linie ihr charismatischer Vorsitzender, der teils respektvoll, teils spöttisch als «Jessias» bezeichnet wird. Jesse Klaver verkörpert sowohl das alte, tolerante Holland wie auch eine moderne, weltoffene Nation.
Damit punktet der Vater zweier Kinder insbesondere bei einer jungen und urbanen Wählerschaft. In der Metropole Amsterdam und in Nijmegen waren die Grünlinken die stärkste Partei, auch in Universitätsstädten wie Leiden und Utrecht holten sie viele Stimmen.
Seine offensichtliche Ähnlichkeit mit dem kanadischen Regierungschef Justin Trudeau schadet dem Senkrechtstarter dabei sicher nicht. In mancher Hinsicht ist er die Anti-These zu Geert Wilders. Während der Rechtspopulist seinen – indonesischen – Migrationshintergrund mit einer wasserstoffblonden Mozartfrisur zu «tarnen» versucht, ist Klaver stolz auf seine Multikulti-Herkunft.
Er ist der Sohn eines marokkanischen Vaters und einer niederländisch-indonesischen Mutter, die bei seiner Geburt 20 Jahre alt war. Aufgewachsen ist Klaver in einer Sozialwohnung, was ihm zusätzliche «Street Credibility» verleiht. Während Wilders geschlossene Grenzen und einen «Nexit» propagiert, sind die Grünlinken für die EU-Mitgliedschaft und eine grosszügige Flüchtlingspolitik. Die Partei setzt sich ein für soziale Gerechtigkeit und Energie aus Wind statt Kohle.
Jesse Klavers eigentliches Vorbild ist Barack Obama. Seine Auftritte in gut gefüllten Hallen erinnerten an den früheren US-Präsidenten. «Jesse we can!» lautete ein Slogan seiner Anhänger. «Wir müssen in den Niederlanden zeigen, dass der Populismus gestoppt werden kann und es eine Alternative dazu gibt. Diese Alternative sind wir», sagte Klaver vor der Wahl im Interview mit der Agentur Reuters. Mangelndes Selbstbewusstsein kann man ihm definitiv nicht nachsagen.
Sein jugendlicher Optimismus und das progressive, proeuropäische Programm sprechen jene jungen Menschen an, die häufig als «Generation Erasmus» bezeichnet wird. Sie haben nie ein anderes Europa erlebt als das heutige mit den offenen Grenzen und der Personenfreizügigkeit. Dieses Europa wollen sie gegen die Nationalisten und Abschotter verteidigen.
Häufig können sie andere «Millennials» aber nur schwer motivieren. Sie interessieren sich für Politik, finden sie aber auch mühsam, wie eine neue Umfrage des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente (DSJ) zeigt. Wohin das führen kann, zeigte sich bei der Brexit-Abstimmung, als viele Junge den Wahllokalen fern blieben und das Ergebnis konsterniert zur Kenntnis nahmen.
Wer diesem Segment ein gutes Angebot macht, kann profitieren. In der Schweiz hat sich die Operation Libero entsprechend positioniert. In Frankreich ist es der 39-jährige Emmanuel Macron, der ebenfalls ganze Hallen füllt und junge Wählerinnen und Wähler begeistert. Er hat beim heutigen Stand sehr gute Chancen, die Präsidentschaftswahl gegen Marine Le Pen zu gewinnen, der zweiten grossen Figur des europäischen Rechtspopulismus neben Geert Wilders.
Klaver und Macron könnten zu Leaderfiguren eines offenen, integrativen Europas werden. Dazu müssen sie aber beweisen, dass sie mehr sind als ein One-Hit-Wonder. Jesse Klaver ist dazu bereit. Er wolle Ministerpräsident werden, sagte er unbescheiden. Dieses Mal wird es (noch) nicht reichen. Aber die Grünlinken könnten an einer neuen Regierung beteiligt werden.
Bei seinem umjubelten Auftritt am Wahlabend hatte Jesse Klaver auch eine Botschaft für seine linken Freunde in Europa: «Versucht nicht, die Leute hinters Licht zu führen. Steht zu euren Prinzipien. Seid aufrecht. Seid für Flüchtlinge. Seid für Europa. Wir legen in den Umfragen zu. Ihr könnt den Populismus stoppen.» Und im Reuters-Interview sagte er mit einem Seitenhieb auf Wilders: «Wir wollen einen Wandel durch Hoffnung, nicht durch Furcht.»